Die Universität Würzburg beschäftigte mit dem Psychiater Werner Heyde nicht nur einen der Hauptverantwortlichen für das „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten. Sie muss sich noch einem weiteren dunklen Punkt in ihrer langen Geschichte stellen: „Insgesamt wurden an der Würzburger Frauenklinik fast 1000 Frauen zwangssterilisiert, was neben der Universitäts-Frauenklinik München die höchste Zahl an derartigen Eingriffen einer Klinik im Deutschen Reich war“, informiert Professor Johannes Dietl (Foto: Norbert Schwarzott), bis Ende April Direktor der Würzburger Frauenklinik. Über Jahre hat er die wechselvolle Geschichte der universitären Einrichtung eingehend erforscht.
Seinen Angaben zufolge war Heyde als Leiter des Rassepolitischen Amtes in Würzburg auch bei den Entscheidungen zur Zwangssterilisation beteiligt. Die praktische Durchführung dieser Maßnahmen oblag Carl Josef Gauß, ab 1923 Direktor der hiesigen Frauenklinik und Hebammenschule, in dessen Amtszeit der Neubau (Beginn 1932) fällt. „Ebenso wie das Gebäude der Frauenklinik sich an den neuen Zeitgeist anpasste, war auch Gauß eng mit dem Nationalsozialismus verbunden“, sagt Dietl. Aus eigener Überzeugung war Gauß bereits vor 1933 für die eugenische Sterilisation durch Bestrahlung eingetreten – etwa bei einem Treffen mit Hitler im August 1930 im „Braunen Haus“ der SA in Würzburg. Nach der „Machtergreifung“ sei durch ihn die Umsetzung des „Gesetzes zur Verhütung von erbkrankem Nachwuchs“ also gewährleistet gewesen.
Betroffene Personengruppen waren vor allem Menschen mit der unspezifischen Diagnose „Schwachsinn“. Es seien also nicht – wie allgemein angenommen – Schwerbehinderte oder schwer Geisteskranke zwangssterilisiert worden, vielmehr sei in der NS-Zeit die „Erbgefahr“ von Trägern „leichter Grundausprägungen“ ausgegangen. Nach heutigen Kriterien wären das laut Professor Dietl: Sonderschüler, Heimbewohner, Homosexuelle und Prostituierte, Hartz IV-Empfänger, Kriminelle, Frauen aus Patchwork-Familien.
Eine eigene Gruppe stellten Sinti und Roma dar. „Sie waren eigentlich aufgrund ihrer Herkunft aus Persien und Indien als Arier anzusehen, aber sie passten nicht ins Bild des Volksdeutschen.“ Letztlich wurden aufgrund dubioser Forschungen über 90 Prozent aller Sinti und Roma als Mischlinge angesehen sowie als „asoziales Lumpenproletariat, dessen Minderwertigkeit in keiner Weise dem Erbstrom der Geisteskranken und Schwachsinnigen nachsteht“, zitiert Dietl den Leiter der „Rassehygienischen Forschungsstelle“, den Arzt Robert Ritter. Diese „Forschungsergebnisse“ führten in Würzburg zwangsläufig auch beim „Zigeunermischling“ Katharina zur Zwangssterilisation. Weil das Mädchen erst 13 Jahre alt war, musste der Vater seine Einwilligung zu diesem Eingriff geben, was er nur unter polizeilichem Druck und einer vermeintlichen Hoffnung auf die Befreiung vor dem KZ getan haben wird, erläutert Dietl, der den Fall näher untersucht hat.
„Auch mit Zwangsarbeiterinnen hatten die NS-Ideologen ein Problem“, sagt Dietl. Sie befürchteten, von diesen gehe eine „rassische Verseuchung des deutschen Volkes“ aus. Schwangere wurden in ihre Heimatländer abgeschoben. Als sich die Fälle häuften, erließ der aus Haßfurt stammende Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, den Geheimerlass, die „Rückführung schwangerer Ostarbeiterinnen wegen dringender arbeitseinsatzmäßiger Erfordernisse einzustellen“. Es erfolgten „rassische Musterungen“: Kinder erwünschter Schwangerschaften, bei denen der Vater ein „Angehöriger germanischen Volkstums“ war, wurden nach der Geburt zur „Wiedereindeutschung“ in Einrichtungen der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ oder in die SS-Anstalt „Lebensborn“ übergeben. Unerwünschte Schwangerschaften wurden abgebrochen. War dies nicht mehr möglich, kamen die Neugeborenen in eine „Ausländerkinderpflegestätte“, wo sie auch nicht überlebten.