Der feine Dunst von Haarspray wabert durch die Luft des großen Zeltes hinter dem Brandenburger Tor in Berlin. Der Geruch vermischt sich mit dem von frisch aufgetragenem Nagellack. Dampf steigt aus den auf Lockenstäbe gedrehten Haaren. Noch sind es knapp zwei Stunden bis zur Show des Labels „Minx“, das seinen Sitz in Volkach (Lkr. Kitzingen) hat, auf der Fashion-Week in der Hauptstadt.
Vor New York und London, Mailand und Paris präsentieren dort viele Designer die Entwürfe für den kommenden Herbst und Winter. Große Marken wie Escada oder Hugo Boss sucht man vergebens. Stattdessen stehen junge, kreative Designer im Mittelpunkt. Und genau das ist es, was diese Modewoche ausmacht. In Berlin gebe es viele neue Modemacher und eine einzigartige Kreativität, sagt Bruce Darnell, Model und Juror bei der Fernsehsendung „Das Supertalent“. Die Hauptstadt habe viele Facetten. Auf der Modewoche können Designer zeigen, dass in Berlin internationale Mode gemacht werde, sagt Laufsteg-Trainer Jorge Gonzalez.
Berlin ist in der Tat Deutschlands Modestadt Nummer eins. Mehr als 2230 Unternehmen sind in der Modebranche der Hauptstadt tätig. Die Umsätze stiegen von 2009 bis 2011 um 17 Prozent auf über zwei Milliarden Euro, die Beschäftigtenzahlen um 23 Prozent auf 18 500. „Hier leben so viele Freigeister und kreative Menschen, das macht auch die Fashion-Week besonders“, sagt denn auch Stylist Boris Entrup.
Zurück zur Show. Während auf dem Laufsteg noch die Kollektion von „Blacky Dress Berlin“ gezeigt wird, wird hinter den Kulissen im Akkord gelockt, gepudert und geschminkt. Die jungen Frauen halten still und tippen gleichzeitig ununterbrochen auf ihren Smartphones. Scheinen völlig unbeteiligt. Als wären die Haare, die auf Wickler gedreht werden, nicht ihre. Als wären die Augen, die mit Lidschatten umrandet werden, nicht in ihrem Gesicht.
„Die Wimpern noch etwas mehr betonen“, ruft Designerin Eva Lutz. Aufgeregt sei sie, sagt sie. Kein Wunder, denn noch fehlen zwei Models. „Ich hoffe nicht, dass es so wird wie bei der Show eines Designers gestern“, lacht sie nervös. Da habe ein Mädchen in der Nacht zuvor so lange gefeiert, dass sie alles verschlafen hat, erzählt sie. Mitten im Gespräch greift sie zum Handy, ruft noch mal ihre Agentur an. Gute Nachrichten: Die Models sind unterwegs. Wenige Minuten später kommen die Vermissten in den Styling-Bereich. Inzwischen ist der Raum gerammelt voll. Kamerateams und Fotografen quetschen sich durch die Armada von Models und Stylisten. In einer Ecke sitzt Bruce Darnell auf einem Plastikstuhl und unterhält sich mit Model-Kollegin Franziska Knuppe. Wie geht es der Familie? Was macht die Tochter? Ach, sechs Jahre ist sie inzwischen! Ganz normale Gespräche in einer ganz und gar unnormalen Situation.
„Noch zehn Minuten bis zur Anprobe“, ruft eine Mitarbeiterin. Einige der Models haben noch Lockenwickler im Haar, andere sind noch ungeschminkt. Doch aus Ruhe bringen lässt sich keiner. Zehn Minuten scheinen hier eine Ewigkeit. Alle sind es gewohnt, unter Zeitdruck zu arbeiten. Zu zweit, teilweise sogar zu dritt, werkeln Frisöre an den Models herum – und wirken dabei erstaunlich gelassen. Dann wird es leer im Styling-Bereich. Generalprobe. Passen alle Outfits? Wer läuft wann? Stimmt die Musik? Noch einmal wird alles bis ins Detail durchgegangen. Für Eva Lutz sind das die Minuten, in denen sie ganz ruhig wird. „Kurz vor der Show funktioniere ich nur noch“, sagt sie. Das große Tamtam spielt sich in diesen Minuten auf dem roten Teppich auf der anderen Seite des Zeltes ab. Prominente wie Schauspielerin Natalia Wörner, Ex-Boxerin Regina Halmich, Sängerin Cassandra Steen oder Joschka-Fischer-Ehefrau Minu Barati posieren ausgiebig auf dem roten Teppich. Ein Handkuss hier, eine Drehung da: Je außergewöhnlicher die Pose, desto besser für die Fotografen. Schließlich geht es jetzt vor allem um das Gesehenwerden. Das Sehen kommt erst später, während der Präsentation.
Keine 100 Meter entfernt demonstrieren Tierschützer für ein Pelzverbot auf der Modewoche. Einer von ihnen zittert vor Kälte. Nur in Unterwäsche stehen sie im eisigen Berliner Januar. Wenige Minuten später wird ein Mann sie attackieren und verdrängen wollen. Auch das ist die Fashion-Week.
Inzwischen sind die Ränge links und rechts des Laufstegs bis auf den letzten Platz gefüllt. Laut wummern die Bässe aus den Boxen. Das erste Model betritt den Laufsteg. Noch ist alles dunkel, doch mit jedem Schritt leuchtet ein weiterer Scheinwerfer auf. Raumgreifend stolziert die junge Frau über die Bühne. Die Zuschauer tuscheln, nicken, fotografieren. Als Franziska Knuppe ins Scheinwerferlicht tritt, geht ein erstes Raunen durch Publikum. Jubelschreie ertönen gar, als Bruce Darnell und eine Model-Kollegin gemeinsam in eleganter Abendrobe über den Laufsteg schreiten. Nur 20 Minuten, dann ist alles vorbei. Begeistert applaudiert das Publikum, als Designerin Eva Lutz sich auf der Bühne zeigt. „Ich bin zufrieden, sehr zufrieden“, wird sie später sagen. Im Zelt leeren sich schnell die Reihen. Einige Prominente gratulieren Eva Lutz hinter der Bühne zur ihrer Kollektion.
Die Mitarbeiter räumen auf, sammeln liegen gelassene Kataloge ein und ermahnen all die, die zu lange sitzen bleiben, zu gehen. Die nächste Show wartet, es eilt. Das Label „Bagaz“ wird in einer halben Stunde seine Mode zeigen. Für Eva Lutz bleiben nur einige, kurze Momente zum Verschnaufen. Später wird sie ihre Stücke auf der Messe präsentieren. Auch viele Models sind schon auf dem Weg zur nächsten Schau oder zur nächsten Anprobe. Ein neuer Look, ein neues Styling. Und noch mehr Haarspray.
Fashion Week
Zweimal im Jahr, im Januar und Juli, präsentieren Designer in Berlin ihre Kollektionen. Die aktuelle Modewoche hat am 14. Januar begonnen und dauert noch bis 19. Januar. Neben den Schauen der Mercedes Benz Fashion-Week am Brandenburger Tor, wo heuer unter anderem Designer wie Guido Maria Kretschmar oder Michalsky ihre Entwürfe zeigten, gibt es in dieser Zeit verschiedene Modemessen. Zu ihnen gehören unter anderem die „Premium“ oder die „Bread & Butter“. Die erste Fashion-Week in Berlin fand im Jahr 2007 statt. SAS