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WÜRZBURG
Experten warnen vor gefährlichen Kräutermischungen
Immer mehr junge Menschen greifen auch in Unterfranken zu Kräutermischungen, um sie zum Beispiel zu inhalieren. Die Risiken sind groß.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:56 Uhr

Sie heißen „Couch Trip“, „Explosion“ oder „Hammer Head“ und sind im Internet bestellbar: Kräutermischungen oder sogenannte „Legal Highs“. Mehrere Jugendliche sind in den vergangenen Monaten nach dem Konsum solcher synthetisch hergestellter Cannabinoide mit Vergiftungserscheinungen in Kliniken in der Region behandelt worden.

Der Begriff Kräutermischung ist irreführend. „Die pflanzliche Herkunft bedeutet nicht, dass es sich bei diesen Drogen um harmlose Substanzen handelt“, sagt Ilse Bieniek, Leiterin der Suchtberatung in Schweinfurt.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Konsum ist mit großen Risiken verbunden. „Ich rate dringend davon ab, solche Kräutermischungen zu konsumieren.“ Einerseits ist die Wirkung unkalkulierbar, da der Wirkstoffgehalt der pflanzlichen Inhaltsstoffe stark schwanken kann. Andererseits kann die Wirkung bei jedem anders ausfallen.

Das Landeskriminalamt in München verzeichnet immer mehr Vergiftungserscheinungen nach dem Konsum von „Legal Highs“. „Diese neuen psychoaktiven Substanzen sind teilweise noch nicht durch das Betäubungsmittelgesetz verboten“, so Joachim Huber, Kriminaloberrat vom Rauschgiftdezernat des Landeskriminalamts.

Die zum großen Teil in Asien produzierten Drogen werden als Badesalz, Kräutermischung oder Lufterfrischer verpackt und verkauft – ohne die wirklichen Inhaltsstoffe anzugeben. Das Gefährliche daran: „Die genaue Zusammensetzung ist daher auch den Konsumenten nicht bekannt“, sagt Huber. 2013 sind in Deutschland drei Menschen nach dem Konsum gestorben.

In Würzburg und Bad Kissingen wurden Jugendliche nach dem Inhalieren einer unbekannten Kräutermischung in Kliniken eingeliefert, im Landkreis Bamberg ist ein 14-Jähriger, nachdem er solche Substanzen genommen hatte, vom Balkon gestürzt.

In Erlenbach (Lkr. Main-Spessart) lösten neun Jugendliche nach dem Rauchen einer Kräutermischung einen Rettungseinsatz aus. Einige Jugendliche wurden in die Universitätskinderklinik nach Würzburg gebracht. „Alle waren bewusstlos und nur schwer erweckbar“, sagt Professor Christian Speer, Leiter der Universitätskinderklinik. „Sie hatten ein Blackout und somit keinerlei Erinnerung. Das zeigt, wie gefährlich diese Substanzen sind.“

Die Jugendlichen, die Kräutermischungen mit synthetischen Cannabinoiden inhaliert hatten, waren meist kaum ansprechbar und „nicht mehr Herr ihrer Sinne“, so Peter Häusinger, Pressesprecher der Polizei Unterfranken. Viele klagten über Übelkeit, Erbrechen, Herzrasen und zeigten typische Rauschzustände. Wenn die Polizei solche Substanzen sicherstellt, wird in der Regel ein Verfahren nach dem Betäubungsmittelgesetz eingeleitet.

In Bayern und Baden-Württemberg werden laut dem Alternativen Drogen- und Suchtbericht 2014 überdurchschnittlich viele Legal Highs konsumiert. Diese Länder seien dafür bekannt, „dass die Drogenprohibition in besonders scharfer Form und mit unverhältnismäßig drakonischen Strafen durchgesetzt wird“, so der Alternative Drogen- und Suchtbericht.

Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) konsumieren immer mehr Menschen diese neuen psychoaktiven Substanzen, die keiner internationalen Kontrolle unterliegen. Die EBDD identifizierte allein im vergangenen Jahr 650 Websites, über die „Legal Highs“ angeboten werden.

2009 wurde die Kräutermischung „Spice“ in Deutschland vertrieben. Heute ist sie verboten, erklärt Holger Faust, Leiter der Würzburger Drogen- und Jugendberatung. Etwa 20 bis 30 Klienten wenden sich pro Jahr wegen „Legal Highs“ an die Beratungsstelle. „Die Konsumenten sind oft völlig betäubt oder kollabieren. Viele können nicht mehr zur Schule gehen oder nicht mehr arbeiten. Kommt eine Psychose dazu, landen sie zumeist in der Psychiatrie.“

Der Europäische Gerichtshof hat im Juli 2014 entschieden, dass „Legal Highs“ nicht als Arzneimittel anzusehen sind und keiner Zulassungspflicht unterliegen. Daher ist der Konsum dieser Substanzen mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden. „Es wurden einige Fälle bekannt, bei denen nach dem Konsum lebensgefährliche Vergiftungen aufgetreten sind“, sagt Kriminalkoberrat Huber. Hier kann es zu Kreislaufversagen, Ohnmacht, Psychosen, Wahnvorstellungen, Muskelzerfall bis hin zu Nierenversagen kommen.
 


Legal Highs

Synthetische Drogen: Die hauptsächlich in Asien produzierten Drogen sind synthetische Varianten von Cannabis und Amphetaminen. Sie werden als „Spice“, „Kräutermischungen“, „Badesalze“ oder „Pflanzendüngemittel“ im Internet angeboten.

Inhaltsstoffe: Was wirklich drin ist, wird nicht angegeben. Die Gemische enthalten häufig Betäubungsmittel oder ähnliche Substanzen.

Wirkungen: Geraucht, geschnupft oder geschluckt erzielen sie eine Rauschwirkung. Ihr Konsum kann aber auch zu Übelkeit, Erbrechen, starkem Zittern, Herzrasen oder Orientierungslosigkeit bis hin zu Bewusstlosigkeit führen. Die Substanzen unterliegen häufig (noch) nicht dem Verbot nach dem Betäubungsmittelgesetz.

Der Grund: die Produzenten verändern den Stoff, sobald sein Verbot geplant ist.

 
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