Eine Komödie über den Niedergang des Schlecker-Imperiums? „Das geht nicht, das wäre der Gipfel der Geschmacklosigkeit“, erklärte die Gesamtbetriebsratschefin der Drogeriemarktkette Schlecker, Christel Hofmann, noch vor einem Jahr in Berlin. „Wer will denn darüber schmunzeln, dass 25 000 Frauen die Existenz unter den Füßen weggezogen wurde?“ Das große Schmunzeln ist nun am Dienstagabend bei der Ausstrahlung des Films „Die Schlikkerfrauen“ auf Sat.1 tatsächlich bei vielen ausgeblieben.
„Semmelchen“ aus Mellrichstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) etwa konnte nicht wirklich lachen. „Semmelchen“ ist der Name, der Marion Semmler (Foto unten) durch ihr halbes Leben begleitet hat. Ihr Leben bei Schlecker. Ihr Leben für Schlecker. Für ihre Verkaufsstelle. Semmler war in einem der umsatzstärksten Schlecker-Märkte in Deutschland beschäftigt. Der Marktplatz 4 in Mellrichstadt war seit 1988 im doppelten Sinne ihr Zuhause: „Wir putzten, reparierten, räumten Sachen ein und aus – und zwar vor und nach der Arbeit“, erzählt sie. „Wir waren so blöd. Viel zu lange haben wir uns nicht gewehrt.“
Es ist Mittwochmorgen, der Morgen nach einem langen Fernsehabend bei Sat.1 mit den „Schlikkerfrauen“, einer Komödie, in der das elegante Ekel Theo Schlikker von vier Mitarbeiterinnen einer Filiale gekidnappt wird, in der die Frauen sich mit Besen und Deospray beim Chef Gehör verschaffen. Eine anschließende Dokumentation zeigte den realen Schlecker-Zusammenbruch.
Es ist ein Tag, an dem Marion Semmler von Erinnerungen überrollt wird. Weil das Gespräch mit dieser Zeitung geplant war, hat sie sich den Film tapfer bis zum Ende angeguckt. Hat nicht nach der grotesken Szene, in der Anton Schlecker alias Theo Schlikker (Sky Dumont) seine Ehefrau Christa im Bett mit dem Insolvenzverwalter erwischt, abgeschaltet.
„Das fand ich so an den Haaren herbeigezogen und überhaupt nicht komisch, da war der Film für mich endgültig gelaufen!“ Man hätte, so glaubt sie, für eine echte Komödie alles noch viel mehr entstellen und zuspitzen müssen, „dann wäre das vielleicht sogar lustig geworden“. Aber so sei nach den Wechseln von realitätsnahen Szenen und Fiktion immer ein fader Beigeschmack geblieben. „Am Anfang der Komödie habe ich mich wiedererkannt. „Die Wut der Frauen, die Verzweiflung, die Hoffnung, die Zugeständnisse bis zum Schluss – ja, das war bei uns genauso. Und ja, wir hätten den Schlecker auch mal gerne mit Wischmop, Deospray und Besen attackiert, ihn in ein Zimmer gesperrt und angeschrien.“
Und ja, es gab auch Momente, in denen sie an traurige Wahrheiten erinnert wurde, an Schikanen, an Bespitzelung. „Wenn man das selbst erlebt hat, bleibt einem da vorm Fernseher schon das Lachen im Hals stecken. Ich war Betriebsrätin bei Schlecker – allein dieser Umstand verursacht einem im Nachhinein tatsächlich noch ein gruseliges Gefühl“, sagt Marion Semmler.
„Wir wurden massiv unter Druck gesetzt. Man hat mich strafversetzt mit der Begründung, ich sei unfähig, den Laden zu leiten. In dem anderen, neu eröffneten Laden zwölf Kilometer weiter, hatte ich aber die gleichen Aufgaben.“
Geheime Treffen im Keller und die Frage, wer von der Belegschaft dichthält, wen man auf das Thema Betriebsrat ansprechen kann, prägten die Jahre seit 2005. „Wenn ich in den Laden kam, habe ich immer gemerkt, wenn etwas verrückt war, wenn jemand von der Betriebsleitung heimlich da war. Ich habe auf alte Ware im Lager Punkte gemacht, damit ich sehen konnte, ob sie mir in die Regale geschoben wurde. Wenn man sich das heute überlegt, unglaublich!“ Sie sei, so sagt „Semmelchen“, eine böse Betriebsrätin gewesen. Knallhart. Kompromisslos. Und nur dadurch überhaupt einigermaßen erfolgreich.
Der Zusammenhalt zwischen den Kolleginnen indes sei fast immer super gewesen, noch immer haben knapp vierzig Frauen in der Region Kontakt zueinander. Wenn sie sich im Garten von „Semmelchen“ versammeln, ist ihnen Schlecker ganz nah. Aber sie reden auch über das, was ist und sein wird. „Ich arbeite gerne. Mir macht auch viel Arbeit nichts aus. Aber ich brauche Leute um mich!“, sagt Marion Semmler. So gehe es vielen von ihnen. In der Fabrik anonym zu arbeiten, das mache die Frauen fertig. Deshalb seien heute viele Ex-Schleckerfrauen als Hilfen in Firmen, Praxen oder privaten Haushalten tätig. Der gute Kontakt zu den Kunden, der sei im Film gut rübergekommen. Auch die Intensität, mit der man sich als Verkaufsleiterin mit seinem Laden identifiziert habe. Das sei ja die Strategie der Geschäftsleitung gewesen: Hey, es ist dein Laden, kümmere dich entsprechend drum.
„Die Stammkunden haben uns Abschiedsgeschenke gebracht. Haben uns gedrückt, mit uns gefühlt. Ja, so ein Werttaler wie im Film, das stand bei uns auch zur Diskussion. Eine Filiale selbst zu übernehmen – klar, träumten wir davon. Aber ohne eigenes Startkapital kann man das vergessen. Irgendwann sagen auch die besten Kunden, Moment mal, da drüben im Discounter gibt es das aber viel billiger. Und irgendwann flacht die Solidarität mit den Schlecker-Frauen auch wieder ab“, sprudelt es aus Marion Semmler heraus.
Tatsächlich haben viele Discounter die Versorgungslücke, die nach dem Zusammenbruch der Schleckerläden in den Kommunen entstanden ist, rasend schnell ausgefüllt, sind all jene, die es versucht haben, nach wenigen Monaten an dieser starken Konkurrenz gescheitert. Den Laden dichtmachen, das letzte Mal absperren – diesen letzten Tag vergisst keine der Schleckerfrauen. Auch Marion Semmler nicht. Dazu braucht die Mellrichstädterin keine Komödie, keinen Dokumentarfilm und keinen schwülstigen zweiteiligen Spielfilm, wie ihn das ZDF am 13. und 15. Oktober senden wird („Alles muss raus – eine Familie rechnet ab“).
Die Erinnerung hat sie noch glasklar vor Augen: „Als das Rollo im Schlecker-XL-Markt in Ostheim zum letzten Mal runterging, lagen wir uns in den Armen. Wir waren fertig von den letzten Wochen, von raubtierähnlichen Überfällen von Schnäppchenjägern, die sich um Testlippenstifte geprügelt haben, weil ihnen die 20 Cent auf neue Stifte zu viel erschienen. Monatelang hatten wir gehofft, uns an letzte Strohhalme geklammert. Wir sind dann zu mir gegangen, haben Sekt aufgemacht, den uns Stammkunden geschenkt hatten, und haben einfach nur geheult.“