Etliche Burgen sind nur noch als Ruine erhalten, sei es die Karlburg bei Karlstadt und die Homburg bei Gössenheim (beide befinden sich im Landkreis Main-Spessart) oder die Burg Botenlauben bei Bad Kissingen. Dennoch sind es beeindruckende Zeugnisse aus dem Mittelalter. Die Mauerzüge lassen ihre einstige Mächtigkeit und Wehrhaftigkeit erahnen. Für Burgenforscher erschließt sich jedoch weit mehr – auch wenn keine steinernen Reste mehr vorhanden sind.
„Wir stehen jetzt auf einem der Türme“, erklärt Professor Peter Ettel den Umstehenden. Zu sehen ist auf dem Veitsberg bei Hohenroth (Lkr. Rhön-Grabfeld) nichts als Ackerland. Ettel zeigt auf eine abgemähte Fläche. Für den Vor- und Frühgeschichtler und die anderen Wissenschaftler ist das kein Problem. Vor ihrem geistigen Auge entsteht ein Bild von einer Burg, die schon viele Jahrhunderte nicht mehr existiert.
Die Männer und Frauen, etwa 80 an der Zahl, nehmen an der Tagung der Burgenforscherorganisation Château Gaillard teil. Sie halten nicht nur Vorträge, sondern besuchen auch die Burgen in der näheren und weiteren Umgebung. Der Veitsberg hoch über dem Saaletal ist Teil des dichten Programms – und darin das einzige Objekt, das nicht mehr steht. Von dem abschüssigen Gelände aus reicht der Blick bis zur Salzburg, deren älteste Teile aus dem 12. Jahrhundert stammen, und der Gemeinde Salz. Die Wissenschaftler kommen aus vielen Ländern Europas und sind für eine Woche in Bad Neustadt zu Gast – weil dort laut dem renommierten Burgenforscher Joachim Zeune „eine der außergewöhnlichsten Burgenanlagen Deutschlands“ – eben die Salzburg steht und sich auf dem Veitsberg unter der Erdoberfläche ein äußerst interessantes Bodendenkmal befindet.
Königspfalz auf dem Veitsberg?
Es könnten die Überreste der karolingischen oder der ottonischen Pfalz sein, informiert Petra Wolters von der Universität Jena. Sie leitete die Grabungen beziehungsweise archäologische Untersuchungen von 2010 bis 2013. Drei früh- bis hochmittelalterliche Befestigungsphasen konnten nachgewiesen werden, erzählt Wolters. Anhand der Funde wird die Anlage ins 8. bis 10. Jahrhundert datiert. Doch noch ist laut Wolters die Frage nicht geklärt, ob sich auf dem Veitsberg tatsächlich die in schriftlichen Quellen erwähnte „villa regia Salz“ befand und ob dort – wo jetzt die Burgenforscher stehen – also auch Karl der Große Hof hielt. Erstmals erwähnt wird die Anwesenheit des berühmten Karolingers in der Pfalz Salz für das Jahr 790. „Bis 948 belegen über ein Dutzend Königsaufenthalte, hochrangige Gesandtschaften und politische Versammlungen die Bedeutung der Pfalz und der gesamten Region innerhalb des (ost-)fränkischen Reiches.“ So steht es in den Tagungsunterlagen der europäischen Burgenforscher – auf Deutsch, Englisch und Französisch. Und aufgrund dieser Bedeutung würde es auch Ines Freifrau von und zu Guttenberg gefallen, wenn die „villa regia Salz“ nicht auf dem Veitsberg beheimatet war, sondern gegenüber, auf der anderen Seite der Saale, auf dem Bergsporn, wo heute die Salzburg thront, meint Peter Ettel mit einem Schmunzeln. „Aber der Streit ist noch nicht entschieden.“
Exklusiver Club
Ettel, Leiter des Bereichs für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Jena sowie des Projekts „Veitsberg“, und Dr. Reinhard Friedrich, Leiter des Europäischen Burgeninstituts mit Sitz in Braubach am Rhein, haben in diesem Jahr die Tagung von Château Gaillard organisiert und nach Bad Neustadt geholt. Wer sich im Internet über die laut eigener Aussage „älteste Burgenforscherorganisation Europas“ informieren möchte, findet nicht viel. Mit Absicht. „Wir sind eine Art Geheimbund“, sagt Reinhard Friedrich, „ein exklusiver Club“. Anmelden kann man sich nicht zu der alle zwei Jahre stattfindenden Zusammenkunft. Es wird eingeladen. Wer dabei sein darf, entscheiden die jeweiligen Vertreter der Länder, für Deutschland also Peter Ettel und Reinhard Friedrich. Sie kennen sich seit ihrer Studienzeit in Würzburg und erinnern sich noch sehr genau an ihren ersten Vortrag vor dem auserwählten Kreis. „Ich war damals sehr stolz“, so Friedrich. Er referierte über mittelalterliche Keramikfunde in Burgen am Niederrhein, sein Dissertationsthema. Peter Ettel stellte sich mit seinen Forschungen über den mittelalterlichen Zentralort Karlburg vor. Die Ruine und die gleichnamige am Main gelegene Siedlung im Tal standen im Zentrum seiner Habilitation. Dieses Projekt hat ihn, einen Bayern, „frankisiert“. Jetzt kehrt Ettel an seine wissenschaftlichen Wurzeln zurück. Die Karlburg ist ebenfalls Teil des Exkursionsprogramms – neben der Festung Marienberg in Würzburg, der Wartburg und der Henneburg in Thüringen, der Burg Querfurt in Sachsen-Anhalt oder der Veste Coburg in Oberfranken.
Salzburg privat
Besonders wird den Forschern wohl ihr Besuch der Salzburg in Erinnerung bleiben. Ines Freifrau von und zu Guttenberg öffnet das sonst verschlossene Tor zu ihrem Privatbereich – zum Innenhof, ihren Gemächern und ihrem verwunschenen Garten. Bis zum Eingangsbereich kann Joachim Zeune seine Kollegen bei seiner Führung über sein Forschungsobjekt noch zusammenhalten. Nach dem Empfang der Burgherrin und ihrer Ankündigung, dass ihre Gäste sich nach Lust und Laune umschauen dürfen, gibt es kein Halten mehr. Als Dank für die ungewöhnliche Offenheit wird ihr ein dickes Werk überreicht: zwei Bände über den Krak des Chevaliers in Syrien, signiert von den beiden Autoren John Zimmer und Werner Meyer. Über vier Jahre haben sie die Burg aus der Zeit der Kreuzzüge zusammen mit Letizia Boscardin erforscht und sind nun sehr besorgt, dass der Krieg in Syrien das Weltkulturerbe zerstören könnte.
Diese Diskussionen und generell der Austausch der Kollegen untereinander, der persönliche Kontakt, sei sehr wichtig, sagt Reinhard Friedrich. „Man kennt sich und kann gemeinsam Projekte anstoßen.“ Deshalb dürften auch nur diese Forscher zur Tagung kommen, die kooperativ sind. Das hat zum Beispiel Peter Ettel längst bewiesen. Als Mitorganisator gibt es für ihn am Ende der Tagung noch eine „Beförderung“. Nach den Statuten von Château Gaillard wird er Präsident der Burgenforschervereinigung – bis zum nächsten Treffen in zwei Jahren.
Château Gaillard
Die europäische Burgenforscherorganisation besteht seit 1962. Ihr Name leitet sich von der Festung Château Gaillard im Norden Frankreichs ab. Dort beziehungsweise in der Stadt Les Andelys war das erste Treffen. Gründungsmitglieder waren Frankreich, Deutschland, Dänemark, England und die Niederlande.
Die Tagung von Château Gaillard findet alle zwei Jahre in einem anderen europäischen Land statt – und aktuell zum vierten Mal in Deutschland. Tagungsort ist bis einschließlich Sonntag, 31. August, Bad Neustadt an der Saale. Nach jeder Tagung gibt es einen dreisprachigen Tagungsband, der in der wissenschaftlichen Burgenforschung einen hohen Stellenwert besitzt.
Organisiert wird Château Gaillard durch das Comité Permanent, dem Vertreter aus zehn europäischen Ländern angehören. Seit 2009 ist das Sekretariat von Château Gaillard am Europäischen Burgeninstitut in Braubach angesiedelt. Sekretär ist Dr. Reinhard Friedrich.