
Wer mit Florian Blümm Kontakt aufnehmen will, der muss den richtigen Moment abpassen. Der falsche Moment zum Beispiel ist, wenn Florian Blümm im Zug sitzt auf einer 36-Stunden-Fahrt in das tiefste Kaschmir hinein. Kein W-LAN, ruckeliges, lahmes Internet, also praktisch abgeschnitten von der unterfränkischen und der übrigen Welt. Dann muss man ein paar Tage warten, um den Mellrichstädter an jene Strippe zu bekommen, die in der schönen, neuen Digitalwelt „das Netz“ heiß. Aber dann hat auch Florian Blümm wieder virtuellen Boden unter den Füßen.
Florian Blümm ist ein digitaler Nomade. Seine Heimat ist die Welt. Sein Arbeitsplatz ist dort, wo sein Laptop Internetanschluss hat: in Thailand, Indien, Südamerika. Oder eben in Kaschmir.
Dass sein Weg ihn so weit weg vom kleinen Flüsschen Streu und dem Landkreis Rhön-Grabfeld führen würde, das hat sich Florian Blümm womöglich gedacht. Dass seine Weltreise nun schon so lange andauert, wohl eher nicht. 2011 hat der Diplominformatiker seinem Arbeitgeber die Kündigung auf den Tisch gelegt. Den Arbeitsalltag im immer gleichen Rhythmus empfand er als zermürbend. Seinem Chef sagt er am Tag seiner Kündigung noch, dass er kein Arbeitszeugnis braucht, weil er nie wieder als Angestellter arbeiten will. Zwei Monate reisen, zwei Monate ins Kloster und zwei Monate, um sich selbstständig zu machen, das ist der Plan von Florian Blümm nach seinem freiwilligen Job-Aus.
Aus den sechs Monaten sind nun schon drei Jahre geworden. Mitte Mai 2014 ist seine Heimat ein Hausboot in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar. „Auf dem Dal-See wimmelt es nur so von Hausbooten, eine Nacht auf dem Wasser gehört zu einem Besuch in Kaschmir einfach dazu“, sagt Florian Blümm. Er hat die vor allem bei Touristen beliebte Übernachtungsart auch deshalb gewählt, weil nur dieses Angebot W-LAN beinhaltet.
Und der Zugang zum Internet ist quasi die Lebensgrundlage für den fernwehgeplagten Rhöner. Als digitaler Nomade verdient er seinen Lebensunterhalt mit dem PC. Dass man mit dem PC Geld verdienen kann, erfährt er schon als 20-jähriger Computer-Nerd. Er ist so tief in eines der beliebten sogenannten Egoshooter-Spiele eingestiegen, dass er die „Unreal Tournament Bible“ schreibt und kostenlos ins Netz stellt.
Mit einem Spielpartner schafft er es von einem Spiele-Wettkampf in Nürnberg bis zum Finale der World Cyber Games in Korea, bei dem Tausende Computerverrückte in einer großen Halle gegeneinander spielen. Sein damaliger Spielpartner nimmt schließlich ein Preisgeld von 20 000 Euro mit nach Hause. Florian Blümm weiß, dass sich am PC Geld verdienen lässt, spielerisch und ohne das Gefühl zu haben, Arbeit zu verrichten. Das geht, wenn man das System durchschaut hat.
Wenige Wochen nach der Kündigung liegt er in seinem Lesesessel in Thailand – im Schatten von Kokospalmen und umgeben vom Grün des Regenwalds. Nach zwei Monaten wird er aus seinem thailändischen Paradies vertrieben, zu Hause ist die Mutter unerwartet schwer krank geworden. Aber das Fernweh ist mittlerweile unstillbar. Der zweite Aufbruch in die große Welt dauert 14 Monate. Er durchstreift Südamerika, er fährt eine Woche mit dem Mountainbike durch den Himalaya – für den Radfahrer eine einmalige Erfahrung mit den weltberühmten, schneebedeckten Achttausendern im Rücken. Die einwöchige Tour mit Übernachtung, Radmiete und Verpflegung kostet ihn rund 250 Euro.
In den 14 Monaten, die seine Weltreise dauert, legt er 80 000 Kilometer zurück, bezahlt 2687 Euro für Transportmittel, 1544 Euro für Unterkünfte und 3812 Euro für Nahrung, Trinken, Nahverkehr, Körperpflege und so weiter. Umgerechnet 780 Euro im Monat kostet ihn das Leben als Weltreisender also. Und als digitaler Nomade kann er auf seiner Tour um den Globus sogar Geld verdienen.
So schreibt er für den Online-Reiseführer „Lonely Planet“, ist als Ghostwriter in Internet-Blogs unterwegs, programmiert freiberuflich Webseiten und entdeckt wieder eine Welt, in die er als Internet-Nerd tief eintauchen kann. Für die Online-Plattform „Flightfox“ stellt Blümm optimale, kostengünstige Flugrouten zusammen.
Richtig gutes Geld kann er mit den aufwendigen Recherchen noch nicht verdienen. Aber es gibt schon schwarze Nullen am Ende eines Monats als selbstständiger Weltenbummler. „Ich strebe in Zukunft schon an, mehr zu verdienen und ausreichend Rücklagen zu bilden. Andererseits scheint es mir manchmal absurd, sich Gedanken über Altersvorsorge zu machen, wenn die meisten Menschen, denen ich begegne, von der Hand in den Mund leben“, sagt Florian Blümm.
Ans Sesshaftwerden denkt er nicht. „Wir Langzeitreisenden sind oft sehr, sehr langsam unterwegs und bleiben auch mal einige Monate an einem Ort hängen. Zuletzt waren meine Freundin und ich für fünf Monate in Thailand, die Hälfte davon in Bangkok. Fester als das haben wir erst mal nicht geplant“, erzählt der 34-Jährige.
Die wichtigste Lehre aus seinen Reisejahren? „Jeder vierte Mensch lebt auf dem indischen Subkontinent und die Lebensbedingungen dort sind aus deutscher Sicht einfach nur katastrophal. Aber die immer freudig lächelnden Inder lehren uns, dass man auch unter widrigen Umständen ein stressfreieres und zufriedeneres Leben führen kann, als wir es uns in Deutschland erlauben“, sagt Blümm.
Entschwindet einem digitalen Nomaden wie Florian Blümm der Sinn für das schöne deutsche Wort Heimat? „Es gibt im Englischen auch kein so schönes Wort wie Fernweh“, sagt der Mann. „Ich vermisse vor allem meine Familie und ein wenig mein Mountainbike und ein frisch gezapftes Kreuzbergbier. Soziale Kontakte kann ich in Zeiten von weltweit verfügbarem Internetzugang einfach mitnehmen“, sagt Blümm.
Über Florian Blümms Weltreise schreiben die Autoren Dennis Betzholz und Felix Plötz in dem Buch „Palmen in Castrop-Rauxel“, 14,80 Euro (ISBN-13: 978-3000457432).
Über seine Reiseerlebnisse schreibt Florian Blümm in seinem Blog: