Der 60-jährige Kunibert bewegt sich noch etwas träge in seinem Gehege hin und her. Hier und da reckt er seinen Hals, streckt sein Köpfchen den Sonnenstrahlen entgegen und hält inne. Kunibert ist eine Griechische Landschildkröte. Wegen des langen Winters ist er erst vor kurzem aus der Winterstarre erwacht. In seinem Häuschen ist eine Wärmelampe an der Decke angebracht. „Es dauert ein bisschen, bis die Schildkröten nach der Winterstarre wieder voll aktiv sind. In unseren Breitengraden benötigen sie Unterstützung durch Wärme und Licht, um auf ihre Vorzugstemperatur von 35 Grad zu kommen“, sagt Anita Scheidig, die in Schwarzach (Lkr Kitzingen) die Schildkrötenhilfe Unterfranken, eine Auffangstation, betreibt. Diese ist Außenstelle des Tierheimes Kitzingen.
In einem kleineren Gehege wuseln 17 Griechische Babyschildkröten herum. Auch sie genießen die Sonne, doch bei jedem ungewohnten Geräusch ziehen sie schnell ihr Köpfchen in den Panzer zurück. „Ich habe die Kleinen an Ostern von einer Züchterin bekommen, die leider sehr erkrankt ist und sich daher nicht mehr um sie kümmern kann. Für die Schildkrötenbabys suche ich ein neues Zuhause“, so die 45-Jährige.
Seit vielen Jahren bietet Scheidig Land-, Wasser und Sumpfschildkröten ein Refugium. „Hier finden sie Schutz und Ruhe. Einige Tiere bleiben hier und werden gemeinsam mit mir alt. Für die anderen suche ich ein neues Zuhause“, so die gelernte Erzieherin und Heilpädagogische Förderlehrerin. Zu ihr kommen Tiere, die gefunden wurden, dem Halter zu groß geworden sind oder aus verschiedenen Lebensumständen wie Krankheit oder Scheidung nicht mehr ins Umfeld gepasst haben. „Es ist traurig zu sehen, welche Schicksale hinter vielen Tieren stehen. Häufig erkennen die Halter nicht, wenn es ihrem Tier nicht gut geht“, bedauert Scheidig. Jahrelange Fehlhaltung zeigt Folgeschäden, wie zum Beispiel Panzerverformung- oder Erweichung oder ein zu schnelles Wachstum, wenn die Winterstarre nicht geboten wurde.
An Schildkröten liebt Scheidig besonders ihre Beharrlichkeit. „Davon würde ich mir gerne etwas abschneiden“, sagt sie und lacht. Schon immer haben Tiere in Not in ihrem Haus ein Plätzchen gefunden, so leben auch Hunde und Katzen auf dem schönen, großen Grundstück im Maindreieck. Die Kosten für Nahrung, Behausung und Arzt für die Schildkröten trägt sie selbst. Neben der Pflege der Tiere fällt auch Verwaltungsarbeit an. Besonders schätzt Scheidig die gute Zusammenarbeit mit den Behörden, wie der Unteren Naturschutzbehörde und dem Veterinäramt.
Unterstützt wird die 45-Jährige bei ihrer Arbeit von ihrem Mann und ihren zwei erwachsenen Kindern. „Vor über 20 Jahren kamen die ersten Wasserschildkröten zu mir, weil der Besitzer keine Lust mehr auf sie hatte.“ Das war der Grund, im Garten einen Teich auszuheben, damit sie im Sommer draußen sein können. Mit der Zeit kamen neben vielen Wasserschildkröten auch immer mehr Landschildkröten aus ganz Deutschland hinzu, denen Anita Scheidig in Freigehegen eine artgerechte Haltung bietet. Für die Wasserschildkröten stehen mehrere Teiche und viele Aquarien zur Verfügung. Auch ein Innen- und Außenquarantänebereich gehören zur Einrichtung.
Wie wichtig die Quarantäne ist, weiß auch Sandra Malguth aus Kitzingen. Auch sie betreibt eine Auffangstation für Landschildkröten und ist überwiegend spezialisiert auf europäische Arten wie die Maurische oder die Griechische Landschildkröte, die Steppenschildkröte oder die Breitrandschildkröte. Seit etwas über einem Jahr ist die Station ein eingetragener Verein, der die Gemeinnützigkeit erlangt hat. Grundvoraussetzung für eine artengerechte Unterbringung im Freilandgehege ist ein gesundheitlicher Check, erklärt sie. Die ersten zwei bis drei Wochen muss der neue Mitbewohner in der Quarantäne-Station verbringen. „Wir wissen ja noch nicht, ob das Tier Krankheiten hat.“ Vor allem die Virusinfektion Herpes könne für Schildkröten gefährlich sein und sogar tödlich enden.
Malguths Schildkröten tragen eine Nummer am Körper, nach der sie registriert sind. Trotz der Vielzahl an Tieren kennt sie all ihre Schützlinge beim Namen. „Das Geschlecht lässt sich allerdings erst etwa nach vier bis fünf Jahren bestimmen“, sagt sie. Schon lange schlägt Malguths Herz für Schildkröten. „Als Kind hatte ich Wasserschildkröten, meine erste Landschildkröte hieß Daggi“, erinnert sie sich. Sie mag den Charme, die Aura der Tiere. „Für mich strahlen sie Weisheit aus, immerhin leben sie seit 230 Millionen Jahren hier auf der Erde.“
Inzwischen ist der Verein schon so bekannt, dass sich das Einzugsgebiet über ganz Deutschland erstreckt, manchmal sogar über die Grenzen hinaus. Immer wieder gibt es Schicksale, die Malguth berühren: „Weil die Tiere sehr alt werden können“ – ihr ältestes Tier ist momentan über 70 Jahre – „passiert es, dass der Halter erkrankt oder stirbt und die Tiere dann zu uns kommen.“ Für Leute, die ihre vierbeinigen Hausgenossen aussetzen, hat sie kein Verständnis. „Das kann den Tod für die Schildkröten bedeuten.“
Mit vielen ehrenamtlichen Projekten wollen sie und die 56 Mitglieder des Vereins Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit leisten. Neben dem Stammtisch der Schildkrötenfreunde Unterfranken, Infoständen auf Tierheimfesten, gibt es Vorträge in Kindergärten, Schulen oder auf Tagungen. Da werden die Tierliebhaber über die richtige Haltung der Landschildkröten, eine gute Ernährung und die optimale Überwinterung aufgeklärt. Beliebt sind auch die Kräuterexkursionen: „Da zeigen wir, welche Futterpflanzen es in der freien Natur gibt, und welche Pflanzen gefährlich sein könnten“, sagt die Kräuterexpertin, die bundesweit dazu Vorträge hält. So duftet es in ihren Gehegen nach Pflanzen, von denen sich ihre Schützlinge ernähren. Da gibt es Löwenzahn, Spitzwegerich, Taubnessel, Flockenblume oder Hirtentäschel.
Sowohl Malguth als auch Scheidig schauen sich potenzielle Halter sehr genau an. „Ein Freigehege und ein Gewächshaus mit Wärmequelle müssen vorhanden sein, zudem ein adäquater Platz für die Winterstarre und natürlich die nötige Sachkenntnis“, sagt Scheidig. In Winterstarre gehen können die Tiere in Gruppen in sogenannten Schutzhäusern oder im Kühlschrank. Freilandüberwinterung indes erfordere ein besonderes Know-How, so Malguth. Wer sich nicht zutraut, seine Schildkröte selbst in Winterstarre zu bringen, kann dies bei Sandra Malguth tun. Denn sie bietet die Unterbringung der Tiere zu Urlaubszeiten, aber auch für die Winterstarre an.
Für die Pensionsgäste hat der Verein ein Schildkrötenhotel eingerichtet. Die Tiere können abgeholt und wieder heimgebracht werden. Der Lieblingsplatz der Vereinsvorsitzenden ist im Sommer vor den Gehegen im Liegestuhl, um Wilma, Phillipp und all den anderen zuzusehen. Auch Scheidig freut sich auf den Sommer und auf die Aktivität ihrer Tiere. Bis dahin ist bestimmt auch der 60-jährige Kunibert wieder ganz aus seinen Winterträumen erwacht.
Hilfe für Schildkröten
Die Landschildkröten Auffangstation Kitzingen ist unter Tel.: (01 60) 96 96 70 86 und im Internet unter www.landschildkroeten- auffangstation-kitzingen.de erreichbar. Am 27. April organisiert der Verein das Seminar „Basiswissen zur tiergerechten Haltung Europäischer Landschildkröten“. Veranstaltungsort: Alte Synagoge, Landwehrstraße 1, Kitzingen. Bitte anmelden. Die Auffangstation in Schwarzach ist unter www.schildkroeten-unterfranken.de oder Tel.: (0 1 76) 78 63 19 89 erreichbar.