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RETZBACH
Deutsch-türkischer Kampf um ein W
Endlich Staatsbürgerin: Mit 21 Jahren hat Wesile Nayir (Mitte) ihren ersten richtigen Ausweis bekommen. Ihr Vater und ihre Geschwister sind längst deutsche Staatsbürger. Im Bild (von links) Rojin, Garibi, Mehmet Habib und Wesile Nayir mit Günther Felbinger, Halil und Amine Nayir.
Foto: M. Fillies | Endlich Staatsbürgerin: Mit 21 Jahren hat Wesile Nayir (Mitte) ihren ersten richtigen Ausweis bekommen. Ihr Vater und ihre Geschwister sind längst deutsche Staatsbürger.
Michael Fillies
Michael Fillies
 |  aktualisiert: 29.11.2013 10:09 Uhr

Der deutsch-türkische Amtsschimmel hat ausgewiehert – Wesile Nayir hält mit 21 Jahren endlich ihren ersten richtigen Ausweis in Händen. Seit fünf Jahren hatten sie und ihre Familie in Retzbach (Lkr. Main-Spessart) darum gekämpft. Allein das W ihres Vornamens hatte Wesile Nayir quasi staatenlos gemacht.

Die Eltern waren in den 1980er Jahren als kurdische Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland gekommen, 1996 erhielt die Familie Asyl. Die 1992 in Lohr geborene Tochter hatte sie zum Andenken an die Großmutter Wesile genannt. Als das Mädchen mit 16 Jahren ihr bis dahin gültiges Reisedokument bei der Ausländerbehörde am Landratsamt Main-Spessart abgeben musste und sich einen türkischen Pass besorgen sollte, begannen die Probleme: Im türkischen Alphabet gibt es die kurdischen Buchstaben Q, W und X nicht, folglich akzeptierte das türkische Generalkonsulat in Nürnberg die Lohrer Geburtsurkunde nicht.

Das Konsulat verlangte eine Abänderung der kurdischen Wesile zu einer türkischen Vesile. Das wiederum lehnte das Landratsamt ab: Eine Namensänderung sei nur für Deutsche oder Staatenlose möglich – Wesile Nayir aber sei „durch Abstammung unzweifelhaft türkische Staatsbürgerin“. Zig Anträge und Vorsprachen im Konsulat und im Landratsamt bewirkten nichts. 2011 lehnte auch das Amtsgericht Würzburg eine türkeikonforme Änderung des Vornamens ab. Anfang 2012 schrieb das Bayerische Innenministerium, Wesile Nayir solle ihre Registrierung vor einem türkischen Gericht durchsetzen.

Dabei wollte die junge Frau die türkische Staatsbürgerschaft überhaupt nicht, sondern nur wie Vater und Geschwister die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Aber: ohne Ausbürgerung aus der Türkei keine Einbürgerung in Deutschland, und ohne Namensänderung in Deutschland keine Registrierung in der Türkei.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, wunderte sich der Gemündener Landtagsabgeordnete Günther Felbinger, als er am 23. April 2012 den Bericht dieser Zeitung „Kein Pass, weil's am Namen hakt“ las. Auch das Bayerische Fernsehen berichtete im Anschluss über den kuriosen Fall. Felbinger besuchte die Familie und erwog erst, im Landtag eine Petition für die Änderung von W in V einzubringen, dann jedoch sprach er am 8. Mai 2012 bei der Generalkonsulin Ece Öztürk Cil in Nürnberg vor. Zwei Monate später schrieb sie dem Freie-Wähler-Abgeordneten, sie könne eine „im Prinzip positive Antwort“ geben. Ende Oktober war Felbinger nochmals im Generalkonsulat, und am 30. November erhielt Wesile Nayir einen türkischen Personalausweis – auf den Namen Vesile.

Damit war wieder die Ausländerbehörde des Landratsamts am Zug. Am 31. Juli 2013 folgte die Austrittszusicherung und am 21. Oktober bekam die 21-Jährige – nun wieder Wesile mit W – ihren deutschen Personalausweis und Reisepass und unternahm mit der Familie gleich ihre erste Reise – zehn Tage Izmir.

Die Familie bedankte sich überschwänglich bei Günther Felbinger. An andere Bundes- und Landtagsabgeordnete in Unterfranken hatten sich die Nayirs zuvor vergeblich gewandt. Ein Frankfurter Anwalt hatte geraten, Wesile Nayir solle in ein anderes Bundesland wie beispielsweise Hessen umziehen, dort sei die Namensänderung durch deutsche Behörden unproblematisch. Tatsächlich meint auch Felbinger: „Das Landratsamt hätte sich mit ein bisschen gutem Willen bewegen können. Bayern baut Mauern, die nicht sein müssen.“

Unverständlich ist auch die jahrelange Unwilligkeit der türkischen Behörden im türkisch-kurdischen Buchstabensalat. Im Zuge der Liberalisierung der Kurdenpolitik sind Namen in der Schreibweise der Minderheit seit einigen Jahren erlaubt. Und auch in der Türkei werden Toiletten mit „WC“ gekennzeichnet, gibt es TV-„Shows“ und beginnen Internetadressen mit „www“.

 
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