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Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger über potenzielle Gefahren für die Eurozone
Das Gespräch führte Michael Deppisch
 |  aktualisiert: 13.01.2016 11:06 Uhr

Seit genau zehn Jahren ist Peter Bofinger Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung – und er wird es noch für weitere fünf Jahre sein. Beim Besuch Bofingers in der Redaktion dieser Zeitung sprachen wir mit dem Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Würzburg natürlich über das Thema Schuldenkrise. Aber auch über seine Rolle als Ratgeber der Kanzlerin, ein Angebot des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder – und seinen letzten TV-Auftritt in der ZDF-Sendung „Pelzig hält sich“.

Frage: Guten Tag Herr Bofinger. Wollen wir über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA sprechen? Bei Erwin Pelzig fiel Ihnen in der vergangenen Woche dazu ja nicht allzu viel ein.

Peter Bofinger: Als er das gefragt hat, hab ich mir tatsächlich gedacht: Ach du liebe Güte. Und der macht das ja nicht oberflächlich. Der kennt sich richtig gut aus, hat sich da voll eingearbeitet. Ich gebe zu, er hat mich da kalt erwischt. Aber man kann eben nicht immer alle Themen auf der Pfanne haben.

Das war ja auch sehr sympathisch: Der Wirtschaftsweise, der einräumt, dass er zu einem solchen Thema nicht ad hoc Stellung nehmen kann.

Bofinger: Begeistert ist man natürlich nicht, wenn man zum Einstieg mit so einer Frage konfrontiert wird. Aber ich glaube, wir haben das ganz gut hingekriegt. Es ist ja wirklich so, dass man in dieser Sendung in kalte Wasser geworfen wird. Da gibt es keine vorherigen Absprachen.

Pelzig hat ja dann sogar angeboten, Ihren Studenten eine Vorlesung über das Thema zu halten.

Bofinger: Stimmt, er hat das gesagt. Eigentlich sollten wir das auch machen. Ja, ich werde ihn einladen, bei uns eine Vorlesung zu halten.

Sie sind nun ein Jahrzehnt Wirtschaftsweiser. Was kann der Sachverständigenrat eigentlich bewirken?

Bofinger: Das ist ein spannendes Gremium. Man wird da mit einer Vielzahl von Themen konfrontiert, die man sonst gar nicht so erleben würde. Aber es ist schwer, eine Art Erfolgsbilanz aufzustellen. Aber er hat schon seinen Einfluss, man hört auf uns. Etwa 2008, als wir in der Zeit nach der Lehman-Pleite der Bundesregierung klar gesagt haben, dass das ursprüngliche Konjunkturprogramm viel zu schwach war. Wir haben etwa 2009 klar gesagt, dass es kein Geld für Steuersenkung geben darf – das hat die damalige schwarz-gelbe Regierung auch nicht so gut gefunden. Und wir haben international viel gepunktet mit dem Vorschlag des Schuldentilgungspakts. Der „Economist“ etwa hat geschrieben, das sei der bislang beste Vorschlag zur Bewältigung der Krise. Auch wenn er Frau Merkel nicht so gefallen hat.

Wie ist eigentlich ihr Verhältnis zur Kanzlerin?

Bofinger: Wir haben jedes Jahr ein großes, intensives Gespräch mit ihr, das nächste jetzt im März wieder. Das ist eine sehr offene Diskussion. Und sie ist auch immer sehr gut vorbereitet.

Sie kennen sich ja schon ziemlich lange. Und Sie sind schon länger Wirtschaftsweiser als Angela Merkel Kanzlerin.

Bofinger: Richtig, ich hatte ja noch mit ihrem Vorgänger zu tun, dem Gerhard Schröder.

. . . der Sie 2004 ja sogar zum Präsidenten der Bundesbank ernennen wollte.

Bofinger: Ja, ich saß damals schon mit ihm in seinem Kanzlerbüro in Berlin abends bei einem Glas Rotwein. Aber dann wurde doch nichts daraus: Der damalige Finanzminister Hans Eichel drohte Schröder sogar mit seinem Rücktritt.

Und so wurde Axel Weber Bundesbankpräsident. Sind Sie eigentlich traurig darüber?

Bofinger: Nicht wirklich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Herrn Eichel nicht sogar dankbar sein sollte.

Mit der neuen Großen Koalition erleben Sie nun schon die vierte Bundesregierung als Wirtschaftsweiser. Wie macht sie sich denn, die „GroKo“?

Bofinger: Die deutsche Wirtschaft jedenfalls scheint – wenn man den verschiedenen Stimmungsbarometern glaubt – mit der Politik der Großen Koalition keinerlei Probleme zu haben. Das Klima ist so gut, wie seit Jahren nicht mehr. Die andere Frage allerdings ist: Ist die Stimmung besser als die Lage? Haben wir tatsächlich alle Krankheitssymptome der Krise abgeschüttelt?

Das fragt sich jeder: Haben wir die Krise hinter uns?

Bofinger: Die gute Nachricht ist sicher, dass wir den freien Fall verhindert haben, der Abwärtsprozess ist gestoppt. Und wenn man sieht, dass von dem Beginn der Krise im Sommer 2007 bis heute ein sehr langer Zeitraum vergangen ist und die Stimmung so ist, wie sie ist, dann könnte man schon meinen, dass wir die sieben schlechten Jahre hinter uns haben. Ich glaube aber, dass da noch einige tieferliegende Probleme sind, die uns auch noch länger beschäftigen werden. Wir haben etwa immer noch enorm hohe Schuldenstände bei vielen Staaten. Daher bleiben diese Länder sehr anfällig für Panikattacken der Finanzmärkte. In den Problemländern des Euroraums ist zudem die Arbeitslosigkeit extrem hoch und sie wird auch bei einer günstigeren Entwicklung der Wirtschaft nur allmählich zurückgehen. Auch die Banken haben sich noch immer nicht ganz von den Folgen der Krise erholt. Die Währungsunion bleibt anfällig für Schocks.

Konkret: Was macht die Eurozone eigentlich so anfällig? Etwa im Vergleich zu den USA?

Bofinger: Das ist ganz einfach. In den USA macht der Staat so viel Defizit wie nötig, denn die Notenbank kauft die Anleihen auf und druckt damit bildlich gesprochen Geld. Die USA können daher faktisch nicht bankrottgehen. In der Eurozone hingegen haben wir mit dem Euro für jedes einzelne Mitgliedsland die Gefahr der Insolvenz geschaffen. Ob Griechenland, Portugal oder Spanien – die haben sich alle in Staatsanleihen verschuldet, in einer Währung, die sie selbst nicht drucken können. Das kann nur die EZB. Daher kann ein Land wie Spanien schlicht und einfach pleitegehen. Genau das hat ja die Krise in Europa schlussendlich ausgelöst. Dass eben die Märkte irgendwann gemerkt haben, dass Staatsanleihen nicht so sicher sind, wie man immer geglaubt hat. Das hat damals diese Panik verursacht.

Immer wieder ist ja vom Sparen die Rede. Ist das Engerschnallen des Gürtels wirklich der Ausweg?

Bofinger: Wir erleben seit 2008 einen epochalen Wandel. Nach Jahren des Schuldenmachens wird jetzt überall von Unternehmen und Privatpersonen sehr viel Geld gespart. Das klingt gut, ist aber für die Weltwirtschaft ein Problem. Geldsparen bedeutet ja, dass ich von dem was ich einnehme, einfach weniger als bisher ausgebe. Das bremst die Wirtschaft aus. Dass es dabei nicht zu einer globalen Depression gekommen ist, liegt allein an der Bereitschaft der Staaten deutlich mehr Schulden zu machen.

Sie sind ja auf dem Ticket der Gewerkschaften Mitglied des Sachverständigenrats. Redet man Ihnen da eigentlich von Gewerkschaftsseite schon mal rein?

Bofinger: Wir reden häufig miteinander, sind dabei aber auch nicht immer einer Meinung. Etwa als sich der Sachverständigenrat für die Rente mit 69 ab dem Jahr 2060 ausgesprochen hat. Das klingt aus heutiger Sicht völlig absurd, wenn die Lebenserwartung bis 2060 wie erwartet weiter zunimmt, wird man in rund 50 Jahren daran nicht vorbeikommen. Von der erwarteten längeren Lebenszeit würde dabei ein Drittel als zusätzliche Arbeitszeit verbracht. Dagegen kann man als Ökonom wenig sagen – auch wenn es die Gewerkschaften nicht gerne hören.

 
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