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MILTENBERG
Der Sensationssieger vom Untermain
Landrat in Miltenberg Es war die Überraschung des Wahlabends in Unterfranken: Jens Marco Scherf ist einer der beiden ersten Grünen-Landräte in Deutschland.
Umjubelt von seinen Anhängern: Jens Marco Scherf, der neue Landrat von Miltenberg, lässt sich auf der Wahlparty von Grünen, SPD und ÖDP feiern.
Foto: Winfried Zang, Main-Echo | Umjubelt von seinen Anhängern: Jens Marco Scherf, der neue Landrat von Miltenberg, lässt sich auf der Wahlparty von Grünen, SPD und ÖDP feiern.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:15 Uhr

Montagmittag, 13.30 Uhr. Jens Marco Scherf ist auf dem Heimweg von der Grund- und Hauptschule in Faulbach, deren Rektor er (noch) ist. Der neue Landrat von Miltenberg möchte seine beiden Jüngsten aus dem Kindergarten abholen und zu Hause mit der Familie essen. Danach hat der Wahlsieger vom Sonntag schon den ersten Termin, um sich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Im Landratsamt trifft er Roland Schwing. Der 64-Jährige ist der dienstälteste Landrat in Unterfranken. Seit 1986, seit fast 28 Jahren, ist Schwing Kreischef in Miltenberg. Ein politisches Urgestein wie man so sagt. CSU-Mann Schwing dankt am 30. April ab, am 2. Mai folgt ihm ein 39-jähriger Grüner.

Knapp war's am Sonntag: 40 Stimmen Vorsprung bei über 44 000 Wählern sind ein Klacks. Die Niederlage für den CSU-Kandidaten Michael Berninger (58), Bürgermeister in Erlenbach/Main, ist bitter. „Ein bisschen Glück braucht man auch“, sagt Martin Heilig, der Bezirksvorsitzende der Grünen. „Aber Glück hat nur der Tüchtige, Jens Marco Scherf hat einen tollen Wahlkampf hingelegt.“ Heilig freut sich, dass Unterfranken nun einen der ersten beiden Grünen-Landräte in Deutschland stellt. „Wir sind längt nicht nur in den Städten erfolgreich.“ Neben Scherf hat am Sonntag auch Wolfgang Rzehak gewonnen. Der 46-Jährige wird Landrat im oberbayerischen Miesbach.

Die Zeiten, in denen die CSU in Unterfranken als Landrat aufstellen konnte, wen sie wollte, und der dann auch gewählt wurde, sind vorbei, bestätigt Gerhard Eck. Der Bezirksvorsitzende der CSU sieht das realistisch. „Die Kommunalwahl hat ihre eigenen Gesetze, die Persönlichkeit ist entscheidend.“ Und da werden die Wähler immer wählerischer. Ganz offensichtlich habe der Kandidat in Miltenberg die CSU-Wählerschaft nicht genügend mobilisieren können. Das trübe die Freude über die Erfolge unter anderem bei der Oberbürgermeisterwahl in Würzburg und bei der Landratswahl in den Haßbergen.

Er habe immer an sich geglaubt, sagt Jens Marco Scherf. Mit dem Erreichen der Stichwahl sei der Nimbus einer unschlagbaren CSU gebrochen worden. Zwar lagen am 16. März noch 17 Prozentpunkte zwischen ihm (31,2 Prozent) und Berninger (47,6 Prozent), doch die verbliebene „Minimalchance“ habe sein Wahlkampf-Team motiviert, weiter für einen „Neuanfang“ im Kreis zu werben, für einen jüngeren Bewerber mit längerfristiger Perspektive. Er, so Scherf über sein Erfolgsrezept, stehe für mehr Bürgernähe, eine andere demokratische Kultur. 2500 persönliche Gespräche habe er in den Dörfern zwischen Odenwald und Südspessart geführt. „Es ist beeindruckend, wie Scherf zuhören kann“, sagt der frühere SPD-Landtagsabgeordnete Harald Schneider (Karlstadt), der den Kandidaten selbst ein paar Mal im Wahlkampf begleitet hat. Der neue Landrat brenne leidenschaftlich für Politik. „Das spüren die Leute.“

Ein kommunalpolitischer Nobody ist der bisherige dritte Bürgermeister von Wörth am Main nicht. Schon als Jugendlicher engagierte er sich, zunächst drei Jahre in der Jungen Union. Eine Jugendsünde? Scherf lacht. „Bei uns in der Region gab es damals nichts anderes.“ Seit 20 Jahren ist er nun Mitglied bei den Grünen, „da fühlte ich mich mit meinen Wertvorstellungen dann doch besser aufgehoben“. Als erste größere politische Aktivität vermerkt er auf seiner Homepage 1991 einen Marsch nach Bonn – „zu Fuß und ohne Geld mit 800 Unterschriften gegen die Ermordung der Yanomami-Indianer in Brasilien“. Scherf ist begeisterter Fußballer („meine Lieblingsmannschaft ist St. Pauli“), als Schiedsrichter erlangte er traurige Berühmtheit, als er 1999 bei einem Bezirksoberligaspiel im Kreis Aschaffenburg von Hooligans zusammengeschlagen wurde.

2002 wurde Scherf erstmals in den Kreistag von Miltenberg gewählt, 2008 zudem in den Stadtrat seiner Heimatstadt Wörth. Gleichzeitig machte er Karriere als Pädagoge. Seit 2008 Rektor der Verbandsschule in Faulbach, baute er diese aus als Ganztagsschule und Profilschule für Inklusion. 2013 belegte die Mittelschule landesweit Platz drei beim Wettbewerb „Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“. Eine Basis für den Erfolg am Sonntag. Die Leute kennen ihn, auch klassisches CSU-Klientel weiß, was er leistet. In Faulbach, wo er Rektor ist, stimmten fast 71 Prozent für den 39-Jährigen, daheim in Wörth immerhin 65 Prozent. „Das Parteibuch spielte keine Rolle.“

Gleichwohl profitierte Scherf bei seinem Erfolg auch vom Verzicht der SPD (und der ÖDP) auf einen eigenen Landratskandidaten. „Diese Zusammenarbeit hat sich ausgezahlt“, sagt SPD-Bezirksvorsitzender Frank Hofmann. Man gönne den Grünen den Erfolg von Herzen. Schließlich habe man vor einem Jahr im Kreis Schweinfurt selbst davon profitiert, dass die Grünen den späteren SPD-Wahlsieger Florian Töpper mitnominierten. „Wenn man sich einig ist, kann man die CSU auch im ländlichen Raum schlagen“, so Grünen-Chef Heilig.

Dabei steht der Landkreis Miltenberg wirtschaftlich sehr gut da. Die Mischung aus Natur und Industrie passt, die Arbeitslosigkeit liegt bei gerade mal drei Prozent. Der Kreis hat unter Roland Schwing zuletzt sogar Schulden abgebaut, die Kreisumlage ist eine der niedrigsten in Bayern. „Vielleicht geht's den Menschen bei uns zu gut“, orakelt der scheidende Landrat. Anders kann er sich die schwache Wahlbeteiligung von 44 Prozent (nach 60 Prozent am 16. März) nicht erklären. Für Schwing aber kein Grund, die Amtsgeschäfte nicht ordentlich zu übergeben. „Ich unterstütze Scherf soweit ich kann. Es geht nicht um Personen, es geht um den Landkreis.“

Das sieht der neue Chef im Landratsamt genauso. Im Kreistag werde er deshalb auf alle Fraktionen zugehen, auch auf die CSU, mit 23 von 60 Sitzen die stärkste Gruppierung. „Ich bin gegen Blockbildung, die Leute erwarten von uns ein Miteinander.“ Inhaltliche Akzente will der Grünen-Politiker bei der Energiewende und der Bildungspolitik setzen, die Maintalbahn soll ausgebaut werden.

Große Zeit zum Feiern bleibt also nicht. Deshalb hat Jens Marco Scherf die Wahlparty am Sonntag in Wörth auch schon um 23 Uhr verlassen. „Nicht betrunken, aber freudentrunken“, wie er launig anmerkt. Eine gute Entscheidung. Montag früh um 0.30 Uhr war nämlich wieder der Familienvater Scherf gefragt. Die vier Jahre Tochter hatte schlecht geträumt und war aufgewacht. „Da wollte sie vom Papa getröstet werden.“

 
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