Die Tötung von jungen Giraffen und Löwenbabys im Zoo von Kopenhagen sorgte genauso für Schlagzeilen, wie es die Proteste von Tierschutzorganisationen gegen die Delfinhaltung im Nürnberger Tiergarten tun: Zoologische Gärten haben ein Imageproblem. Zwar werden heute Wildtiere nicht mehr in engen Käfigen präsentiert und Zoos sind eher Orte der Wissensvermittlung als Tiermenagerien. Aber ist das Zur-Schau-Stellen von exotischen Tieren noch zeitgemäß und überhaupt moralisch vertretbar? Ein Gespräch über tierethische, juristische und politische Aspekte mit dem Meeresbiologen und Verhaltensforscher Dr. Karsten Brensing, der für die internationale Wal- und Delfinschutzorganisation WDC arbeitet.
Karsten Brensing: Nein. Ich bin ja nicht der Meinung, dass man Zoos abschaffen muss. Es gibt nur eben Tiere, die man dort gut halten kann und andere eben nicht. So leiden zum Beispiel Elefanten in Gefangenschaft unter Bewegungsmangel und Menschenaffen werden häufig mit Psychopharmaka ruhig gestellt.
Brensing: Nach heutigem Kenntnisstand sind die kognitiven Leistungen von großen Menschenaffen, Elefanten und Delfinen so hoch, dass man davon ausgehen darf, dass sich die Tiere in ihrer Selbstwahrnehmung und in ihrem Verständnis der Umwelt von uns Menschen kaum unterscheiden. So meistern sie viele verhaltensbiologische Experimente genauso gut wie wir. Aus diesem Grund möchten einige Verhaltensbiologen, aber auch Philosophen und Rechtswissenschaftler den Personenbegriff erweitern und auch Tieren den Status von Personen zuerkennen. Daraus ergeben sich . . .
Brensing: Es gibt keine verbindliche Definition. Gemeinhin gilt als Person, wer intelligent und planvoll agiert und kommuniziert, Gefühle hat und Mitgefühl zeigt, wer ein Bewusstsein von sich selbst und eine Vorstellung von der Existenz von Anderen hat. Eine Person hat auch eine Biografie, also ein gutes lebenslanges Gedächtnis und eine Vorstellung von Raum und Zeit. Hirnforscher bestätigen, dass hoch entwickelte Tiere neuronal zu diesen Fähigkeiten in der Lage sein können. Und vergleichende Verhaltensforschung aber auch Untersuchungen im Freiland zeigen, dass diese Tiere viel mehr können, als man bislang ahnte: Menschenaffen geben zum Beispiel lokale Traditionen von Generation zu Generation weiter. Das sind kulturelle Merkmale, die man bislang nur Menschen zugeschrieben hat. Auch bei Delfinen wurden solche Bräuche entdeckt. Vor Australien gibt es eine Gruppe, die mit ihren Kiefern Schwämme aufspießt und als „Handschuhe“ benutzt, um den sandigen Meeresgrund nach Futter zu durchsuchen. Andere Populationen kennen das nicht. Auch zeigen Delfine soziale Kompetenzen, die man bislang nur Menschen zugetraut hat.
Brensing: Ja. Und die Konsequenzen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse beschäftigten jetzt auch Juristen, Soziologen und Politikwissenschaftler. Konsequenterweise müsste man kognitiv hoch entwickelten Tieren wesentliche Rechte wie die auf Freiheit und Selbstbestimmung zugestehen. Man dürfte sie weder einsperren, noch ihren Lebensraum zerstören.
Brensing: In erster Linie bin ich mitfühlender Mensch aber auch ausgebildeter Wissenschaftler und es geht um wissenschaftliche Erkenntnisse. Moralisch wurde unsere anthropozentrische Perspektive bereits in den 70er Jahren vom australischen Philosophen Peter Singer infragegestellt. Jetzt ist bewiesen, dass wir nicht so einzigartig sind, wie wir bislang geglaubt haben. Man kann sich vor diesen Erkenntnissen nicht drücken, auch wenn sie unbequem sind, da sie am Hergebrachten rütteln.
Brensing: Weil in der Realpolitik nicht das Richtige oder Logische, sondern die Mehrheit zählt und die wird vor allem von wirtschaftlichen Argumenten dominiert. Außerdem spielen die Zoos nicht mit offenen Karten. So sind zum Beispiel mehr als die Hälfte der angeblich nachgezüchteten Delfine in Europa Wildfänge. Die Zoos verheimlichen das, indem sie die Einsicht in ihre Zuchtbücher verweigern. Aber die politische Diskussion geht weiter. Aktuell beschäftigt sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen mit dem Verbot von Delfinarien. Allerdings geht es bei der Haltung von Zootieren nicht nur um wissenschaftliche und ethische, sondern auch um juristische Aspekte.
Brensing: Weil die Lobby der Zoodirektoren durchsetzten konnte, dass das Gutachten bei vielen Tiergruppen deutlich hinter international anerkannten Mindesthaltungsstandards zurückbleibt. Besonders für die wirtschaftlich bedeutenden Besuchermagneten der Zoos wie Eisbären oder Delfine gibt es nur unzureichende Verbesserungen, die keine verhaltensgerechte Unterbringung dieser Tierarten gewährleisten.
Brensing: Nicht ich, sondern das Tierschutzgesetz verlangt deutlich mehr. Danach bedeutet eine verhaltensgerechte Haltung, dass den Tieren zum Beispiel auch ein artgerechtes Sozialverhalten ermöglicht werden muss. Da sind wir wieder bei den unterschiedlichen Anforderungen. Ein Clownfisch lebt im Aquarium in seiner Anemone, mehr braucht er auch in Freiheit nicht. Ein Delfin lebt im Meer in nach Geschlechtern getrennten Gruppen und baut sich ein kompliziertes soziales Netzwerk auf. Das kann er im Zoo einfach nicht.
Brensing: Aber kein Klagerecht. Der Tierschutz steht zwar seit 2002 im Grundgesetz. Aber wenn sich Tierhalter oder Behörden nicht an die gesetzlichen Bestimmungen halten, können Tierschutzorganisationen diese bislang nicht einklagen, wie das zum Beispiel Naturschutzorganisationen möglich ist. Es ist unerträglich, dass wir in einer Demokratie eine solche Situation haben.
Brensing: Wir sind verpflichtet alle Tiere gut zu behandeln, keine Frage. Und die Massentierhaltung ist eine Schande. Denn jedes Tier kann leiden. Der Vergleich der unterschiedlichen kognitiven Leistung von Tierarten stellt auch keine Wertung dar. Dennoch dürfen wir nicht mehr ignorieren, dass es auf unserem Planeten nicht nur ein „vernunftbegabtes Tier“ gibt. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, diesen Tierarten auch ein Recht auf sich selbst zuzugestehen.
Brensing: Tatsächlich wird die Grenze zwischen uns und den Tieren durch unser neues Wissen eingerissen. Viele Biologen unterscheiden nicht zwischen Mensch und Tier, sondern bestenfalls zwischen Menschen und anderen Tieren. Wir sind aber mit Sicherheit die Tiere, die am besten kooperieren können. Was uns vom Tier unterscheidet, ist nicht, die Tatsache, dass wir Individuen sind, sondern die Fähigkeit, unwahrscheinlich gut und schnell zusammenzuarbeiten. Das ermöglicht uns, diesen Planeten so wahnsinnig schnell und effektiv zu gestalten.
Karsten Brensing
Der 47-Jährige hat an der FU Berlin über die Interaktion zwischen Menschen und Delfinen promoviert und Forschungsprojekte in Florida und Israel geleitet. Die Arbeit mit gefangenen Delfinen erlebte Karsten Brensing so, dass er beschloss, sich künftig gegen die Haltung in Delfinarien zu engagieren.
Bei der Wal- und Delfinschutzorganisation WDC ist er für die Themen Bedrohung der Meeressäuger durch Umweltverschmutzung, Gefangenschaftshaltung und Fischerei zuständig und vertritt WDC in verschiedenen internationalen Beratungsgremien. In seinem im Jahr 2013 erschienenen Buch „Persönlichkeitsrechte für Tiere“ wirbt Brensing für die Helsinki-Deklaration, in der namhafte Wissenschaftler einen Personenstatus für Wale und Delfine fordern (www.walrecht.de). Text: Manuela Göbel
Tiere sind nicht dazu da, dass wir an ihnen experimentieren.
Tiere sind nicht dazu da, dass wir sie anziehen.
Tiere sind nicht dazu da, dass sie uns unterhalten.
Tiere sind nicht dazu da, dass wir sie ausbeuten."