
Schwester Ancilla trägt ein blaues Leinenkleid, eine weiße Schürze und einen weißen Schleier. Das ist ihre Arbeitskleidung. Immer dienstags ist Backtag im Karmelitinnenkloster „Regina Pacis“ in Rödelmaier. Der kleine Ort liegt fünf Kilometer von Bad Neustadt entfernt, im Landkreis Rhön-Grabfeld. Im Jahr 1968 haben die Schwestern das Inventar einer Hostienbäckerei aus Fulda übernommen. „Die Vinzentinerinnen überließen uns die Backeisen und ihren Kundenstamm.“ Seitdem beliefert das kleine Kloster Gemeinden in mehreren Bistümern mit Hostien.
In einer grauen Wanne wiegt Schwester Ancilla Mehl ab. Eine Mischung aus dem Haushaltsmehl Type 405 und Type 550. Hostien bestehen aus Weizenmehl und Wasser. Kein Salz, keine Hefe, kein Backpulver. Der Brauch, bei der Eucharistiefeier Oblaten aus Weizenmehl und Wasser zu verwenden, entwickelte sich in der Karolingerzeit (8./9. Jahrhundert). Mehl und Wasser verquirlt eine Rührmaschine – genau zwölf Minuten. „Den ersten Teig rühre ich um 4 Uhr früh an.“ Dann ruht er drei bis vier Stunden.
Schwester Ancilla heißt mit bürgerlichem Namen Johanna Bulowski und stammt aus Kassel. Mit 21 Jahren ist sie dem Karmelitinnenkloster beigetreten. „Damals war ich die 23. Schwester, heute sind wir acht.“ Der Karmel ist ein strenger Orden, bei dem das Gebet, die Eucharistiefeiern und die persönliche Beziehung zu Jesus Christus im Mittelpunkt stehen. „Was könnte der Wille Gottes sein?“, ist die Kernfrage, die sich die Schwestern immer wieder stellen. Als Jugendliche konnte die heute 56-Jährige sich vorstellen, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Heute ist sie glücklich mit ihrem Leben im Karmelitinnenkloster, das sie seit vier Jahren auch leitet. Viele Freiheiten erlaubt das Leben hinter Klostermauern nicht. Die Schwestern gehen nur im Klostergarten spazieren und in die Stadt fahren sie nur, wenn sie einen Arzttermin haben.
Etwa 70 000 der millimeterdünnen Oblaten entstehen an einem Backtag. „Die Priesterhostien sind etwas größer, damit sie die Gläubigen bei der Erhebung gut sehen“, erklärt Schwester Ancilla. Als schmückende Prägung ist das Jesusmonogramm „IHS“ eingeprägt sowie ein Kreuz. Die kleineren Oblaten ziert das XP (Chi Ro), das ebenfalls aus dem Griechischen kommt und für Christus steht. Es gibt glatt weiße Hostien und solche, die haben die Farbe von Brot. „Diese wurden ein bisschen heißer gebacken.“
Im Jahr 1975 wurden die handbetriebenen Backeisen durch einen Backautomaten ersetzt. Schwester Ancilla holt sich einen Hocker und setzt sich vor die Maschine. Dort drehen sich zwölf viereckige Backeisen, sie ähneln Waffeleisen. Ein Schlauch saugt den Teig aus der Schüssel an und spritzt ihn auf das Eisen. Der Deckel schließt sich, und das Waffeleisen verschwindet für zwei Minuten in der Maschine. „Meine Aufgabe ist es, die fertigen Teigplatten abzunehmen“, erklärt sie. Eine schweißtreibende Aufgabe und laut dazu. Der Automat von 1975 rattert vor sich hin.
Das Backen der Hostien unterlag früher strengen Vorschriften. Zeitweise durften sie nur von Klerikern gebacken werden, die liturgische Gewänder trugen und dazu Psalmen sangen. Die Sorge für die Einhaltung der kirchlichen Vorschriften hat in der Neuzeit dazu geführt, dass Hostien in der Regel in Frauenklöstern bereitet wurden. Auch in Rödelmaier wird die Arbeit stillschweigend in einer Atmosphäre des Gebets verrichtet.
Ancilla bedeutet „Magd des Herrn“. Der Name stammt aus dem Lukasevangelium. Als Erzengel Gabriel Maria verkündet, dass sie Gottes Sohn gebären wird, und sie antwortet: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn.“ Schwester Ancilla hat sich ihren Ordensnamen selbst ausgesucht. Beten sieht sie als ihre Lebensaufgabe. Im Kloster in Rödelmaier gibt es viel Zeit zum Beten. Der Tag der Schwestern beginnt um 6 Uhr mit dem gemeinsamen Gebet, um 7 Uhr folgen Morgenlob und die Heilige Messe. Nach dem Frühstück stehen Arbeiten, wie Hostien backen oder Kerzen verzieren auf dem Programm. Um 11.15 Uhr treffen sich die Schwestern zum Mittagsgebet und Mittagessen. Es folgt eine Stunde gemeinsame Erholungszeit.
„Die Abkehr von allen Ablenkungen ist für ein Leben im Kloster wichtig“, erklärt sie. „Das Gebet ist ein Weg nach innen, der in die Stille führt.“ Die Schwestern arbeiten stillschweigend. Nur bei der gemeinsamen Erholungszeit wird gesprochen. Das innere Gebet spielte bei den Karmelitinnen schon immer eine wichtige Rolle. Als Begründerin des Ordens gilt Teresa von Avila, die 1535 in eine solche Gemeinschaft von 180 Nonnen eintrat. Zusammen mit Johannes vom Kreuz begründete sie den Orden neu. In Deutschland gibt es derzeit 18 Karmelitinnenklöster.
Die fertig gebackenen Teigplatten, die eine Größe von 20 mal 30 Zentimeter haben, werden einzeln auf Holzregalen ausgelegt. „Dort werden sie durch eine hohe Luftfeuchtigkeit geschmeidig gemacht.“ Nun kommt der schönste Teil der Arbeit: das Ausstanzen der Hostien. In einem kleinen Raum steht ein Tisch, an dem eine Art Bohrmaschine befestigt ist. „Hier sitze ich gerne und steche die Hostien aus.“ Sie legt dabei 50 Teigplatten übereinander und beginnt an den Ecken die Oblaten auszustechen. Es gibt verschiedene Schablonen im Durchmesser von 33, 62, 90 und 140 Millimeter. Einmal hat sie sich bei dieser Arbeit am Finger verletzt.
Die acht Schwestern, die heute im Karmel „Regina Pacis“ leben, sind zwischen 46 und 80 Jahre alt. Schwester Teresa Benedicta gehört erst seit vier Jahren dem Orden an. „Manchmal hat man so verrückte Ideen“, sagt sie und lacht. Ihr Leben als Deutsch- und Englischlehrerin war ihr einfach nicht mehr genug. „Deshalb bin ich mit 55 Jahren ins Kloster eingetreten“, erzählt sie. Mit dem strikt geregelten Tagesablauf hat sie sich bereits angefreundet, nur nicht mit dem frühen Aufstehen. „Ich freue mich auf die Exerzitien, dann darf man ausschlafen.“
Zu ihren Aufgaben gehört das Aussieben und Verpacken. In der gemeinsamen Erholungszeit sortiert die Nonne die fehlerhaften Exemplare aus. Je zu 1000 Stück lagern die Hostien in kleinen Plastikkörbchen. Schwester Teresa Benedicta macht die Endkontrolle, bevor sie die Hostien in Papiertüten verpackt. Die jährlich 2,5 Millionen Hostien aus Rödelmaier werden in Pfarrkirchen von Würzburg bis Kassel, im Bamberger und Fuldaer Dom und in einigen evangelischen Kirchen in den „Leib Christi“ gewandelt.