Die Bundeskanzlerin kritisierte er für ihre Äußerung, der Islam gehöre zu Deutschland. In seinem Buch „Der islamische Faschismus“ stellt er die These auf, dass faschistoides Gedankengut im Ur-Islam angelegt sei. Und im Gespräch mit der Redaktion nennt er die Diskussionskultur in Deutschland „vergiftet“, wenn es um den Islam geht. Am kommenden Donnerstag spricht der Autor Hamed Abdel-Samad in der Würzburger Residenz. Anlass ist die Gründung einer Regionalgruppe Unterfranken der „Giordano Bruno Stiftung“, die sich dem Humanismus verschrieben hat und Religionskritik fördern will. Ein passendes Umfeld für den bekanntesten Islamkritiker der Republik.
Dabei war dem 43-jährigen Ägypter ein anderer Weg vorgezeichnet. „Ich wurde sehr streng muslimisch erzogen“, sagt Abdel-Samad. Als Sohn eines konservativen sunnitischen Imams habe er als Kind den Koran auswendig gelernt, sei mit der islamischen Theologie aufgewachsen. Später, als Student, hat er einige Zeit bei den Muslimbrüdern in Kairo verbracht. Und heute? „Ich bin weder Atheist noch gläubiger Moslem und ich lehne auch jede Bezeichnung in Bezug auf Religion ab“, erklärt Abdel-Samad etwas knapp. Ausführlicher wird er, wenn man ihn auf seine Islamkritik anspricht.
Denn den Mund will sich Abdel-Samad nicht verbieten lassen – obwohl das einige versucht haben. Nachdem er 2013 den Muslimbrüdern „islamischen Faschismus“ vorgeworfen hat, lebt er mit Morddrohungen radikaler Islamisten. Und unter Polizeischutz. „Das ist belastend“, sagt er. „Ich versuche, naiv davon auszugehen, dass nichts passiert – obwohl ich weiß, dass jederzeit etwas passieren kann.“ Das Preis für seine Meinung, die er sich nicht nehmen lässt: „Der Islam war keine Lehre, die ein paar Hundert Jahre später politisch wurde, wie das Christentum. Der Islam ist politisch und gewalttätig geboren. Und der Islamismus speist sich direkt aus der Entstehungsgeschichte des Islam mit dem Propheten Mohammed, dessen Kriegen, Überfällen und Sklavenhalten als Vorbild.“
Vom Koranschüler zum scharfen Kritiker der Religion – ein Wandel, der nicht alltäglich ist. „Es gab mehrere Wendepunkte in meiner Beziehung zum Islam“, erinnert sich Abdel-Samad. Neben seiner Zeit bei den Muslimbrüdern, denen er „Doppelmoral und Heuchelei“ vorwirft, nennt er vor allem seine Forschungszeit.
Er habe die Heiligkeit und Autorität der Korantexte beiseitegelegt und dabei erkannt, dass die Entstehungsgeschichte des Korans direkte Auswirkungen auf die Probleme islamischer Gesellschaften von heute hat: Gewalt, Terrorismus, Kriege und Gesetzgebung, aber auch Antisemitismus, die Haltung zu Ungläubigen oder die Rollenverteilung von Mann und Frau – alles finde sich wieder. Was ihn stört, ist das Gottesbild mit Allah als oberster Instanz und Gesetzgeber. Und dass der Koran als Gebrauchsanweisung des Lebens verstanden wird und sich die Religion in alles einmische. Doch ist das nicht auf nahezu jede Religion übertragbar?
Dass Kritiker Abdel-Samad vorwerfen, populärwissenschaftlich und zu vereinfacht an die komplexe Thematik heranzugehen, stört ihn nicht. Abdel-Samad ist in seinem Element, kommt bei Fragen zu den Problemen des Islams in Plauderlaune. Wenn er antwortet, wirkt es, als rufe er die Worte aus seinen zahllosen Vorträgen ab. Bei persönlichen Fragen muss er dagegen etwas länger überlegen. Er wägt ab.
Ob er gläubige muslimische Freunde hat, wollen wir wissen. „Ja, meine ganze Familie ist gläubig. Viele Freunde in Ägypten und Deutschland auch“, sagt er und wechselt sogleich wieder ins Allgemeine. „Meine engen Freunde wissen ganz genau, dass ich Muslime nicht verteufle. Ich unterscheide sehr klar zwischen einer Religion und den Menschen, die ihr angehören.“ Eine Differenzierung, die ihm wichtig ist. „Nicht jeder Moslem ist automatisch eine lebende Bombe. Und es gibt viele gläubige Muslime, die ihren Glauben im Privaten ausleben und die Welt nicht erobern oder den Dschihad ausrufen wollen.“ Wenn man den Fundamentalisten vorwerfe, dass sie in Schubladen denken, indem sie die Welt in Gläubige und Ungläubige aufteilen, dann dürfe man nicht dasselbe mit Muslimen tun.
Schubladendenken. Geschieht das aber nicht gerade auch unter den Islamkritikern in Deutschland, die sich etwa bei Pegida-Demonstrationen Gehör verschafften? Abdel-Samad weicht aus. Die Ängste bei Pegida seien legitim, sagt er. „Dass heißt aber nicht, dass die Argumentation dort richtig ist.“ Und es gebe Menschen, die es „übertreiben“, indem sie befürchten, dass alles islamisiert wird. Die Skepsis gegenüber dem Islam sei allerdings nicht erst durch Pegida entstanden. „Pegida ist nur ein Ausdruck davon.“
Das Problem: „In Deutschland wird dem Islam zu schnell ein Persilschein ausgestellt“, findet Abdel-Samad. Gründe seien wirtschaftliche Interessen und die deutsche Geschichte. Es heiße immer, Islamismus hätte nichts mit dem Islam zu tun. Eine Fehleinschätzung, findet Abdel-Samad. „Die Legitimation, die Sprache, die Heilsvision, die Erlösungs- und Vernichtungsfantasien – das alles kommt vom Islam.“ Wer das kritisiere, werde ins rechte Eck gestellt. „Das zeigt, dass wir eine vergiftete Diskussionskultur haben.“
Und eine Lösung? „Man muss die Debatte öffnen und nicht nur mit den Islamverbänden sprechen, sondern auch mit der muslimischen Zivilgesellschaft, Frauenorganisationen, mit säkularen Muslimen oder Islamkritikern“, fordert Abdel-Samad. „Der Islam ist nicht reformierbar. Aber die Muslime sind es.“ Die Religion müsse sich neu erfinden. „Dafür braucht der Islam keinen Martin Luther oder kluge Theologen. Der Islam braucht mehr Ketzer, die Fundamentalkritik üben.“ Eine solche liefert der Chef-Ketzer gleich mit: „Die Lösung ist eine Entmachtung des Korans und des Propheten.“ Doch bleibt dann überhaupt noch eine Religion übrig?
Hamed Abdel-Samad
Der streitbare Islamkritiker wurde 1972 in Kairo geboren. Abdel-Samad studierte dort Sprachen, wechselte 1995 zum Politikstudium nach Augsburg. Danach arbeitete er am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Uni Erfurt und lehrte an der Universität München. Einem breiten Publikum bekannt wurde er durch die Sendung „Entweder Broder – Eine Deutschland-Safari“ an der Seite des jüdischen Publizisten Henryk M. Broder. Am Donnerstag, 4. Juni, spricht er ab 19.30 Uhr bei der „Giordano Bruno Stiftung“, in deren Beirat er sitzt, im Toscanasaal der Würzburger Residenz, Thema: „Der islamische Faschismus“. Text: ben