Am Samstagmorgen herrscht im zweiten Stock eines Würzburger Barockhauses reges Treiben. Die „Historische Wertpapierhaus AG“ hat zur 27. Auktion für Historische Wertpapiere geladen, und Sammler aus ganz Europa sind in die Neubaustraße gekommen. Dort erwarten sie rund 800 alte Aktien aus dem 18. bis 20. Jahrhundert.
Eines der Papiere, die hier heute unter den Hammer kommen, hat für viel medialen Wirbel gesorgt: „21,9 x 32,9 cm, grün, schwarz, Knickfalten mit Einrissen an den Enden, Erhaltung sehr gut“, so beschreibt es der Katalog. Die Rede ist von einer Aktie der Chaplin-Studios in Hollywood aus dem Jahr 1923. Dort wurden zwischen 1918 und 1952 alle Filme des britischen Komikers (1889-1977) gedreht, darunter auch „Moderne Zeiten“, „Goldrausch“ und „Der große Diktator“. Vor fast 90 Jahren war die Aktie fast 110 000 Dollar wert und repräsentierte die Mehrheit an der Gesellschaft. „Das ist ein ganz besonderes Stück“, erläutert Auktionator Matthias Schmitt. „Charlie Chaplin hat die Nr. 10, die ihm 55 Prozent des Grundkapitals verbriefte, gleich dreimal unterzeichnet.“ Es ist das erste Mal, dass ein „Chaplin-Triple“ auf einer Auktion versteigert wird. „Ein Highlight, das es nur einmal in drei, vier Jahren gibt“, sagt Nelly Schmitt, die Frau des Auktionators. Zum Endpreis gibt sie keine Prognose ab. 25 000 Euro verlangt ein unbekannter Sammler.
„Jedes Papier hat seine eigene Geschichte“, erklärt Jens-Eric Scheele, ein Sammler aus Düsseldorf, dessen Marokko-Sammlung an diesem Tag ebenfalls versteigert wird. Für ihn ein ganz besonderer Tag: „Jeder Sammler hat eine Frage: Was passiert mit meiner Sammlung? Normal gibt es nach dem Tod eines Sammlers keinen Nachfolger. Dann kommen Stücke auf den Markt, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr aufgetaucht sind. Es ist ein Kreislauf.“
In diesen Kreislauf kehrt jetzt auch die Chaplin-Aktie zurück. Mittlerweile ist es Nachmittag, und die Versteigerung der 50 Highlights hat begonnen. Die Uhr im Saal zeigt 15.59 Uhr. Matthias Schmitt ruft Los 567 auf. Spannung liegt im Saal. Rund 25 Aktiensammler verfolgen aufmerksam, wie der Auktionator kurz den Star des Tages, die Chaplin-Aktie, vorstellt. „Es liegt ein schriftliches Vorgebot in Höhe von 25 000 Euro vor.“ Ein potenzieller Mitbieter hat sich telefonisch zugeschaltet.
Der neue Besitzer
der Chaplin-Aktie
Doch plötzlich meldet sich ein hochgewachsener Herr und signalisiert: 26 000 Euro. Zwei Minuten nach Beginn der Auktion, es ist 16.01 Uhr, da hat die Chaplin-Aktie einen neuen Besitzer. „Ich werde sie in den nächsten Jahrzehnten nicht verkaufen“, sagt der anonym bleiben wollende Neu-Eigentümer. „Sie ist nicht als Kapitalanlage gedacht. Zuerst freue ich mich einfach, dass ich ein seltenes Stück habe.“ Zu Aktien hat der Banker aus Bergisch-Gladbach eine enge Beziehung, seit er 16 Jahre alt ist. Zu der Fahrt nach Würzburg hat er sich jedoch sehr kurzfristig entschieden: „Ich habe noch nie an einer Auktion teilgenommen. Das war eine spontane Idee, die ich gestern Abend vor dem Bildschirm hatte.“
Den Ausschlag für den Erwerb der Chaplin-Aktie hat eine ganz persönliche Überlegung gegeben: „Meine Tochter möchte Filmregie studieren. Da bildet das Wertpapier eine schöne Brücke zwischen ihrer und meiner Leidenschaft – zumal sie am 12. Februar 1993 geboren ist und die Aktie vom 12. Februar 1923 datiert.“
Für den Neubesitzer des wertvollen Wertpapiers stehen nun praktische Probleme an: „Ich bin ein absoluter Anfänger und muss einen endgültigen Platz für die Aktie finden. Sie ist viel zu schade, um sie in irgendein Schließfach zu legen.“ Doch jetzt macht er sich erst einmal auf die Rückfahrt nach Bergisch-Gladbach. „Meine Familie weiß noch nichts davon“, sagt er, „eigentlich wollte ich heute ins Konzert gehen“.