Es war ein pompöses Fest – und ein lautes. Es begann zur Mittagszeit. Ab zwölf Uhr läuteten eine Stunde lang alle Glocken in Amorbach. Zugleich „ertönte die Luft vom Klang der Trompeten und vom Dröhnen der Trommeln“, schrieb Pater Ignatius Gropp in seiner Chronik über den Samstag im Jahr 1734. Dazu kam das Krachen der Geschütze, die aus den Kirchtürmen und an den Stadttoren abgeschossen wurden. Die Benediktinerabtei feierte ihren eintausendsten Geburtstag. Auch wenn die genauen Ursprünge des Klosters im Dunkeln liegen, gilt 734 als das Gründungsjahr.
Eine Woche lang, vom 12. bis 19. September 1734 dauerte das Jubiläumsfest. „Herr Christoph“ war dabei, der Weihbischof von Mainz, ebenso Johann Bernhard Mayer, der Weihbischof von Würzburg, Kanoniker der Ritterkirche zu St. Peter in Wimpfen im Tal, die Bürger von Amorbach, der Schulmeister mit seinen Schülern, Prozessionen aus den benachbarten Pfarreien Weilbach, Schneeberg und Kirchzell, die Äbte von Seligenstadt und Schönthal und viele mehr – und natürlich die Gastgeber: die Amorbacher Benediktinermönche mit ihrem Abt Engelbert Kinbacher. Auch die Armen waren eingeladen und erhielten an allen acht Tagen mehrmals Brot und Fleisch, sogar etwas Geld, heißt es in der Chronik von Ignatius Gropp.
Der Benediktinerpater, als Johann Michael Gropp 1695 in Kissingen (damals noch ohne Zusatz Bad) geboren, war zu dieser Zeit Bibliothekar im Kloster St. Stephan in Würzburg. Die Chronik über die Abtei Amorbach gilt als erster Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens als Historiker, schreibt Bernhard Springer, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Amorbach, in seiner Einleitung zum 2014 veröffentlichten Nachdruck. Gropps Festschrift „Historia Monasterii Amorbacensis“ erschien erstmals 1736, zwei Jahre nach der Millenniumsfeier – so aufwendig und umfangreich waren seine Ausführungen zur tausendjährigen Geschichte des Klosters. Sein Manuskript wird in der Universitätsbibliothek Würzburg aufbewahrt.
Die Benediktinerabtei zählt zu den ältesten Klöstern in der fränkischen Region. Eine Legende verortet die Urzelle nach Amorsbrunn unweit der Stadt Amorbach, wo der heilige Amor als erster Abt fungiert haben soll. Natürlich hat auch der Name Amor zu mehreren Interpretationen geführt: Sie reichen von „Ammer“ für Gewässer bis hin zu „Amor“ für Liebe Gottes. Seit 734 sollen sich die Mönche an der jetzigen Stelle niedergelassen haben, und kein Geringerer als der heilige Bonifatius habe die dort errichtete Klosterkirche geweiht.
Als historisch gesichert gilt, dass sich die Benediktiner um 800 unter den Schutz Karls des Großen gestellt haben. Das Kloster wurde eine Reichsabtei. Später kam das Kloster zum Hochstift Würzburg, dann hatten die Mainzer die Oberhoheit inne. 1803 wurde es säkularisiert.
Wenige Jahre nach den einwöchigen Jubiläumsfeierlichkeiten im Jahr 1734 wurde die romanische Abteikirche abgebrochen. Nicht etwa, weil womöglich einige Festböller in die verkehrte Richtung abgeschossen worden waren und Schaden angerichtet hatten. Die in ihren ältesten Teilen aus dem neunten Jahrhundert stammende Kirche galt als baufällig und vor allem nicht mehr als zeitgemäß. Sie hatte zwar etlichen Ein- und Umbauten im Lauf der Jahrhunderte erfahren. Nun sollte sich der Kirchenraum in etwas Helles verwandeln, Leuchtendes, in die Höhe Strebendes, in etwas, was die Gläubigen in ehrfürchtiges Staunen versetzt.
Es war ein schnelles Projekt. Der Um- und Neubau nach den Plänen des kurmainzischen Hofarchitekten Maximilian von Welsch dauerte nur fünf Jahre: von1742/43 bis 1747. Auch der Bamberger Baumeister Justus Heinrich Dientzenhofer sowie Würzburgs Barockgenie Balthasar Neumann wurden eingeladen, Pläne einzureichen. Neumann wollte erst nicht, lieferte aber einige Risszeichnungen ab. Dientzenhofer fertigte Pläne, wollte sie später auch ausführen, aber der am fürstbischöflichen Hof in Mainz wohlgelittene Maximilian von Welsch erhielt den Zuschlag.
Nicht alles wurde neu konzipiert, sagt der Würzburger Architekt Friedrich Staib, der intensiv in alten Unterlagen geforscht hat. Seinen Angaben zufolge wurde die romanische Basilika von Osten her abgebrochen und neu errichtet. Die weithin sichtbaren romanischen Türme im Westen wurden dagegen erhalten. Sie erhielten jedoch neue Dachhauben. Langhaus, Querschiff und Chor wurden um eine Mauerstärke verbreitert, die Stützen im Langhaus verringert. Friedrich Staib vermutet, dass sich im Kern noch die Säulen des romanischen Vorgängerbaus befinden und damals eckig ummauert wurden.
Grund für Staibs Recherchen waren anstehende Konservierungs- und Sanierungsarbeiten. Der über 260 Jahre alte Barockbau mit seinem raffinierten Rokoko-Innenleben war nun ebenfalls in die Jahre gekommen. Seit Frühjahr 2012 hat der Würzburger Architekt die Maßnahmen geleitet, koordiniert – und genau im Blick. Restaurieren bedeutet für den Fachmann nicht, alles in einen Neuzustand zu versetzen. Vieles wurde deshalb „nur“ gereinigt und für die kommenden Jahrhunderte konserviert – bis zur nächsten Sanierung.
Was die Abteikirche so besonders macht, ist der opulent gestaltete Kirchenraum. Der Kunsthistoriker Jean Louis Sponsel bezeichnete ihn vor über 100 Jahren als „Prachtwerk deutscher Rokokokunst“ und lobte die „meisterhafte Innendekoration“. Auch Architekt Staib ist begeistert. Im Gegensatz zu Sponsel hatte er dank der für die Sanierung aufgestellten Gerüste die seltene Gelegenheit, viele Details aus nächster Nähe zu betrachten.
In Amorbach waren Virtuosen am Werk: Matthäus Günther aus Augsburg schuf die Freskenmalerei im Gewölbe sowie einige Altarbilder. Die Stuckateure Johann Friedrich Feichtmayr und Johann Georg Üblhör stammen aus der berühmten Wessobrunner Schule. Besucher sehen zwar nicht die Feinheiten, aber das Ergebnis ihrer Arbeit: die Illusion von Licht und Schatten, von Tiefe und Räumlichkeit. Aus der Nähe betrachtet wirkt die Malerei verzerrt. Die Proportionen stimmen nicht. Manche Köpfe sind riesengroß, Arme und Beine verkürzt. Ausschlaggebend war die Fernwirkung vom Boden aus. Das heißt, dass Matthäus Günther eine enorme Vorstellungskraft besessen hat. Und er musste sehr schnell sein. Die Freskotechnik verzeiht keine Fehler. Gemalt wurde auf den feuchten Putz.
Die illusionistische Inszenierung wurde im Rokoko auf die Spitze getrieben. Gips gaukelte Marmor vor, Putten im Gewölbebereich wachsen aus der Wand, ein prächtiger Vorhang ist teils gemalt, sein Saum dagegen ausgeformt und hängt von der Decke herab: Zweidimensionales wurde ins Dreidimensionale erweitert. In der Stuckatur kam es nur auf die Schauseite an. Die Kulisse musste stimmen. Nicht einsehbare Flächen sind stumpf und grob und voller Gipsreste.
Eine Besonderheit der Abteikirche ist auch die Raumschale: Auf die Wand wurde kein gewöhnlicher Kalkputz aufgetragen, die Oberflächen wirken wie geglättet, und die Farbgebung schimmert bläulich bis hellbeige. Dieses changierende Farbgebung wurde bei der umfangreichen Sanierung bewahrt und keineswegs reinweiß übertüncht.
Vor wenigen Tagen wurden die Arbeiten beendet. Nun leuchtet der Kirchenraum wie bei seiner Vollendung vor über 260 Jahren. Für die Amorbacher ist dies natürlich wieder ein Anlass für ein großes Fest. Es beginnt an diesem Samstag. Gefeiert wird jedoch nicht wie 1734 eine Woche, sondern ein Wochenende (siehe Infotext).
Festprogramm zur Wiedereröffnung am Wochenende
Die ehemalige Benediktinerabteikirche wird nach umfangreichen Sanierungsarbeiten in Höhe von 6,6 Millionen Euro wiedereröffnet. Das Programm startet an diesem Samstag, 18. Juli, um 10.45 Uhr mit einem Festumzug. Der öffentliche Festgottesdienst beginnt um 11 Uhr. Von 14 bis 16 Uhr werden im Stundentakt Führungen mit Orgelvorspiel angeboten. Am Sonntag, 19. Juli, kann das sanierte Gotteshaus ab 11 Uhr bei einer Führung durch Kirche und Konventbau bewundert werden. Um 15 Uhr ertönt ein Glockenkonzert. Für das Festkonzert um 16 Uhr mit dem Bachchor und Bachorchester Würzburg sind nur noch Restkarten an der Tageskasse erhältlich. Weitere Konzerte stehen ab Sonntag, 27. September, auf dem Programm. Informationen beim Informationszentrum. Bayerischer Odenwald: Schlossplatz 1, 63916 Amorbach, Tel. (0 93 73) 20 05 74. Info im Internet: www.odenwald.de
Das Kloster wurde 1803 säkularisiert und
den Fürsten von Leiningen übertragen – als
Entschädigung für die Besitzverluste in ihren
linksrheinischen Stammlanden in der Pfalz. Sie
fielen in den Revolutionskriegen an Frankreich.
Die Abteikirche ist seither evangelisch-lutherische Hofkirche des Fürstenhauses.
Weithin bekannt ist die Orgel, erbaut 1774 bis 1782 von den aus dem Hunsrück stammenden Brüdern Stumm. Sie ist laut Angaben des Fürstenhauses Leiningen eine der größten und klangprächtigsten Orgeln Europas und war bereits im 18. Jahrhundert ein Publikumsmagnet. Mit der Wiedereröffnung der Abteikirche wird nun auch die vor über sechzig Jahren vom Fürstenhaus zu Leiningen ins Leben gerufene Konzertreihe „Amorbacher Abteikonzerte“ fortgesetzt. Informationen im Internet: www.fuerst-leiningen.de/


