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Akrobatik mit Federhut und Plisseerock
Tanzmariechen: Michelle Maldonado von der Tanzsportgarde Coburger Mohr ist ein Ausnahmetalent, sagt Trainerin Dominique Scholz. Nur die besten dürfen dem närrischen Publikum ein Solo bieten: Akrobatik, Tanz und Hochleistungssport in Fantasieuniform.
Von unserem Redaktionsmitglied Christine Jeske
 |  aktualisiert: 25.01.2013 17:11 Uhr

Geschafft: Michelle strahlt. Sie steht in blau-weißer Uniform auf der Bühne in Oberhausen, der Rücken ist kerzengerade, die Arme sind grazil in die Taille gestemmt, die Füße leicht auseinandergewinkelt. Auch wenn sie nicht tanzt, macht sie eine gute Figur. Dabei würde sie am liebsten die Arme hochreißen und vor Freude in die Luft springen. Denn auf dem großen Monitor leuchtet in großen Ziffern ihre Punktzahl. Alle Turnierteilnehmer können sie sehen, die phänomenale Wertung: 97 - 98 - 98 - 99 - 100 - 98 - 98. Das ist der erste Platz. Selten erhält ein Tanzmariechen die magische 100. Michelle Maldonado von der Tanzsportgarde Coburger Mohr ist deutsche Meisterin. Das war 2009. Sie ist es immer noch, denn sie holte den Titel auch 2010 und 2012. Ein Traum.

Die heute 17-Jährige steht seit vielen Jahren ganz oben auf dem Siegerpodest. Nicht nur bei der Deutschen, sondern auch bei der Oberfränkischen, Fränkischen und Süddeutschen Meisterschaft. Zu Hause in Rödental bei Coburg häufen sich die Pokale im Regal. Meist glänzen sie in Gold und Silber. Den ersten Pokal erhält sie für den dritten Platz bei der Oberfränkischen Meisterschaft in der Saison 2002/2003. Ein Jahr später wird ihr Können mit dem ersten Platz belohnt. Seither gehört sie zu den besten Tanzmariechen in ihrer Region – und im ganzen Land.

„Sie ist ein Ausnahmetalent“, sagt ihre Trainerin Dominique Scholz stolz. Sie kennt Michelle, seit die damals knapp Sechsjährige zum ersten Mal etwas schüchtern im Tanzstudio Scholz in Coburg stand. Das ändert sich sofort, als der Gymnastik- und Tanzkurs beginnt. Dominiques Mutter Ramona Scholz, die Chefin des Tanzstudios, erkennt schnell und mit geübtem Blick die enorme Begabung der kleinen Halbspanierin. Michelle ist bereits damals keine Anfängerin mehr. Sie turnt, seit sie drei Jahre alt ist, im Verein in ihrer Heimatgemeinde Rödental, hat erste Auftritte in der Purzelgarde.

Ramona Scholz trainiert seit vielen Jahren zusammen mit ihrer Tochter die Tanzsportgarde Coburger Mohr. Sie sind ein eingespieltes Team und können mittlerweile viele Erfolge ihrer Schützlinge für sich verbuchen. Auch die Garde ist mehrfacher Deutscher Meister und Vizemeister. Und Ramona Scholz ist selbst Preisträgerin. Bernhard Schlereth, Präsident des Fastnacht-Verbands Franken, überreichte ihr im vergangenen Jahr den „Schembartläufer“, eine hohe Auszeichnung für besondere Leistungen und Erfolge im Bereich der Jugendarbeit.

Schlereth kennt Michelle ebenfalls sehr gut – von ihren Auftritten bei „Fastnacht in Franken“, solo oder mit der Tanzgarde. „Das ist eine große Ehre“, sagt Michelle. In wenigen Tagen, wenn die Sendung aus den Mainfrankensälen in Veitshöchheim wieder live im Fernsehen ausgestrahlt wird, ist Michelle erneut mit von der Partie. „Zum sechsten Mal“, sagt sie und zählt dabei ihre Solos als Tanzmariechen bei der Jugendsitzung mit. Der große Auftritt vor Millionenpublikum sei aber etwas ganz Besonderes – und Aufregendes. „In Veitshöchheim bin ich vor dem Auftritt viel nervöser als sonst. Wenn ich dort einen Fehler mache, dann sehen es so viele.“ Damit keine Patzer passieren, trainiert Michelle hart. Und voller Ehrgeiz. „Ich will tanzen, bis es nicht mehr geht.“

„Auf der Bühne bin ich ein ganz anderer Mensch.“

Michelle Maldonado

Die Freude an der Bewegung liegt ihr im Blut. Das Temperament hat sie von ihrem spanischen Vater Manuel geerbt. „Ich bin sonst eher schüchtern. Aber auf der Bühne bin ich ein ganz anderer Mensch.“ Dann ist sie nicht zu bremsen und begeistert ihr Publikum nicht nur durch ihr Können, sondern auch durch ihre Ausstrahlung. Mutter Beate hat entscheidenden Anteil an der Karriere von Michelle. Von ihr hat sie die Begeisterung fürs Turnen. Beate Maldonado unterstützt ihre Tochter von klein auf, übt mit ihr im heimischen Keller, zittert mit ihr vor jedem Auftritt („viel mehr als Michelle“) und fährt sie zu allen Trainingsstunden. Und sie trainiert zusammen mit ihrer Tochter die jüngeren Mariechen des Coburger Mohrs in Akrobatik. Michelles ältere Schwester Carina hat ebenfalls ein Faible fürs Turnen, aber nicht fürs Tanzen. Nach dem Abitur beginnt sie ein Sportstudium. Das schwebt auch Michelle vor. „Tanzpädagogik gefällt mir ebenso.“ Sie hat ja noch eineinhalb Jahre Zeit, sich zu entscheiden. Wenig Zeit hat sie allerdings, mit ihren Freundinnen zu feiern, ins Kino zu gehen oder ihrem größten Hobby zu frönen: „Shoppen!“ Neben dem enormen Lernpensum fürs Gymnasium steht an vier Tagen die Woche intensives Training im Stundenplan: von Mittwoch bis Samstag übt sie jeweils mehrere Stunden im Tanzstudio Scholz – gemeinsam mit der Tanzgarde oder alleine mit Dominique. Auch im Urlaub kann Michelle nicht lange still sitzen. Zwei Mal im Jahr besucht sie mit ihrer Familie die Oma in Spanien in der Nähe von Salamanca. An ihrem Lieblingsstrand in Oliva liegt sie nicht etwa faul in der Sonne. Der Sand ist optimal für den Salto und fürs freie Rad. Wenn's mal schiefgeht, dann fällt sie weich und verletzt sich nicht.

Überhaupt ist Leistungssport nicht ungefährlich. Mit ersten Verschleißerscheinungen hat sie bereits Bekanntschaft gemacht: im Rücken. „Jetzt ist wieder alles in Ordnung.“ Generell muss Michelle auf ihren Körper hören – und auf ihr Gefühl. „Wenn ich nicht in bester Verfassung bin oder mir der Bodenbelag nicht gefällt, dann lasse ich den Salto oder das freie Rad weg“, erzählt sie. Bei Steinfliesen überlegt sie erst gar nicht, diese schwierigen Elemente in ihren Auftritt einzubauen. „Das wäre viel zu leichtsinnig.“

Die alle zwei Jahre wechselnde Choreografie entwirft Michelles Trainerin, die sie sehr bewundert. „Sie kann so schön tanzen und ist schon immer mein großes Vorbild.“ Dominique Scholz winkt ab. „Das ist lange her. Als ich Tanzmariechen war, vor 30 Jahren, da war alles noch ganz anders“, erzählt sie. „Damals waren noch nicht so viele Akrobatikelemente gefordert, es wurde mehr getanzt – in Stiefeln mit Absatz.“

Heute ist es Hochleistungssport in weißen Ballettstiefeln, in denen die Füße leichter gestreckt und gedreht werden können. Und heute zählen Salto, freies Rad, freier Vorwärtsbogengang, Stand- und Sprungspagat oder der Grätschwinkelsprung zu den Standardelementen eines jeden Auftritts als Tanzmariechen. Eines hat sich jedoch nicht geändert: das Lächeln im Gesicht, auch wenn der Bewegungsablauf schwierig ist und sehr viel Kraft kostet. Gleich geblieben ist auch die optische Erscheinung in Fantasieuniform beziehungsweise glänzendem Kostüm mit Federhut und kurzem Faltenrock. Farben und Details wechseln jedoch. Aktuell tritt Michelle in elegantem Bordeauxrot, kombiniert mit Weiß und Gold auf – und zum ersten Mal mit einem Tanzpartner: Christian Fischer. Das Publikum der Prunksitzung des Karnevalvereins „Coburger Narhalla“ feiert die Premiere der beiden kürzlich mit viel Applaus.

Den 18-jährigen Studenten aus Coburg entdeckt Michelle vor einigen Monaten im Internet: in einem Video auf seiner Homepage. Der passt zu mir, denkt sie sich, und nimmt Kontakt auf. Nun sind die Hebefiguren die schwierigsten Elemente, sagt Dominique Scholz, die mit der Wahl ihrer Schülerin zufrieden ist. Auch auf die Synchronität kommt es an. Diese kennt Michelle vom Gardetanz. „Damit hatte ich bislang nie Probleme“ – ebenso wenig wie ihre Kolleginnen von der Königsgarde. Dennoch gehören glücksbringende Rituale vor jedem Auftritt dazu, wie sie auch bei anderen Sportteams üblich sind: „Wir stellen uns in den Kreis und umarmen uns“ – egal, ob es bei „Fastnacht in Franken“ in Veitshöchheim oder auf einem der vielen, bundesweit ausgetragenen Wettkämpfe ist. Denn Tanzsportgarden und Tanzmariechen sind nicht nur in der Faschingszeit aktiv.

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