Mitten auf dem Würzburger Marktplatz steht am Samstagvormittag ein großer grüner Traktor nebst ebensolchem Anhänger – mit Plakaten geschmückt. Die künden vom bevorstehenden Ereignis: Aiwanger kommt! Der Bundes-, Landes- und Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler (FW) und Landwirt aus Niederbayern soll den FW-Wahlkampf in Unterfranken in Schwung bringen. Der Traktor ist mit Bedacht gewählt – als Sinnbild für Aiwangers unermüdlichen Einsatz für den ländlichen Raum.
Ist das der Grund, dass die Plakate nur wenig Stadtvolk herbeigelockt haben? Die sparsame Möblierung des Platzes mit Bierbänken reicht für die meisten Besucher, nur wenige müssen stehen. Einige bekannte Gesichter sind zu sehen, darunter die des Würzburger Alt-Oberbürgermeisters Klaus Zeitler und des Theater- und Fernsehschauspielers Ingo Klünder.
Auch Wilmar Fischer interessiert, was Aiwanger zu sagen hat. Der Malermeister aus dem nahen Margetshöchheim hofft zu erfahren, welche Ziele die FW in der Sozialpolitik ansteuern, insbesondere, ob sie mickrige Renten aufstocken wollen. Fischer muss sich gedulden. Ein Ansprechpartner lässt sich auf die Schnelle nicht finden. Der fürs Thema zuständige FW-Bezirksvorsitzende Hans-Jürgen Fahn ist mit der Organisation der Veranstaltung ausgelastet.
Bevor der „große Vorsitzende“ spricht, wie sie Aiwanger wegen seiner Ämterfülle spöttisch nennen, vergeht eine kleine Ewigkeit. Erst müssen sich alle Kandidaten für die Wahlen der nächsten Zeit präsentieren. Mit mehr oder weniger Routine sagen sie brav, was sie erreichen wollen in der Politik. Der ländliche Raum spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle, und auf dem grünen Anhänger, der als Bühne dient, kommt einiges Personal zusammen. Wieder einmal ist Kitzingens Landrätin Tamara Bischof der Blickfang – lachsrosa leuchtet ihr Kleid unter all den weißen Hemden und grau-blauen Beinkleidern hervor.
Dann müsse alle runter vom Anhänger – die Regie will es so – und einer springt dynamisch nach oben und ergreift das Mikro: Aiwanger ist da! Vom ersten Wort an füllt seine Stimme mit dem prägnanten niederbayerischen Akzent den Marktplatz. Aiwanger wirbt für kleinere Klassen und mehr Lehrer – die Bildungspolitik ist dank der Arbeit des unterfränkischen Abgeordneten Günther Felbinger das Schwerpunktthema der FW. Der Redner macht sich ferner stark für schnelles Internet, erneuerbare Energien und eine Verkehrspolitik, die auch bei großen Projekten den Willen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt.
Die Sozialpolitik spielt keine Rolle in Aiwangers Rede. Wäre es anders, Wilmar Fischer könnte es gar nicht hören. Er musste nach Hause, seine kranke Frau versorgen. Er kann also auch nicht erleben, wie sich Aiwanger die CSU vorknöpft. Die solle endlich aufhören, von schwarzen Weißwürsten zu träumen, solle marode Straßen sanieren, statt überall Tempolimits anzuordnen und Blitzgeräte zu installieren. Immer wieder greift der Redner die Christsozialen an, und jeder seiner Zuhörer würde verstehen, wenn er sagte, dass eine Koalition mit dieser Partei für ihn nicht infrage kommt. Doch Aiwanger sagt auch in Würzburg nur das: „Es darf keine absolute Mehrheit der CSU geben. Wir müssen das mit allen Mitteln verhindern.“
Nach der Landtagswahl entscheiden die Inhalte über Koalitionen, beteuert Aiwanger. Man mag das glauben. Andere sind überzeugt, der schlaue Bauer aus Niederbayern wolle dann möglichst viele Ministerposten „ernten“, egal in welchem Kabinett. Denn was Inhalte betrifft, ist der Vorsitzende recht unsentimental, mit Ausnahme des „ländlichen Raums“. Die FW-Programmatik spiegelt ohnehin kein geschlossenes Weltbild wider, sondern ist eine Ansammlung von Solitären: einfacheres Steuerrecht, Kindergeld rauf, Erbschaftssteuer abschaffen, den Weinbau in Franken schützen.
Aiwanger will auf die große Bühne der Politik. „Wir stehen an der Seite der kleinen Leute“, versichert er sehr laut, wirkt aber irgendwie verloren unterm Sonnenschirm auf dem grünen Anhänger. Um ihn herum viel grünes Blech, und hinter ihm der rote, mächtig aufragende Turm der Marienkapelle. Die Bühne ist einfach zu groß geraten. Als Theatermann hat Ingo Klünder viele Inszenierungen erlebt, als Stadtrat kennt er nun auch die Dramen, Lust- und Trauerspiele im Würzburger Rathaus. Die Kulisse für den Auftritt war „leider sehr provinziell“, findet Klünder. Aiwanger habe einsam gewirkt da droben, ungeachtet dessen sei er ein faszinierender Redner.
„Bürgernahe Politik statt Parteibuchwirtschaft, damit gehen wir in diese Wahl. Ich danke Ihnen, alles Gute für Unterfranken.“ Der Redner tritt ab, die Zuhörer gehen schnell ihres Wegs. Längst ist der Nachmittag angebrochen, der Duft von Bratwürsten zieht über den Platz, Feinkostbuden locken mit Heimischem und Exotischem. Auf einem anderen schönen Platz der Stadt wirbt ein Stand der religiösen Bewegung Falun Dafa, besser bekannt als Falun Gong, für „Wahrhaftigkeit, Nachsicht und Barmherzigkeit“. Man möchte das allen Wahlkämpfern und ihren Zuhörern wünschen. Hubert Aiwanger und den vielen, die nach ihm kommen werden.
Lediglich die kritische Glünterstimme macht er öffentlich. Töpfer macht einmal mehr seinen Namen Ehre, indem er nur was zusammentöpfert was ihm schmeckt!