Die einen tauchen in die Geheimnisse von Barium, Tellur und Fluor ein, die anderen beschäftigen sich mit mathematischen Kurven: Seit genau zehn Jahren können besonders leistungsstarke Schüler nebenbei an der Universität Würzburg studieren. 2004 war die Würzburger Bildungseinrichtung die bayernweit erste Hochschule, die Gymnasiasten anbot, reguläre Lehrveranstaltungen zu besuchen, Leistungsnachweise zu erwerben und, ganz wie „normale“ Studenten, Uniluft zu schnuppern.
Einmal einen Hörsaal erleben, freitags in der Mensa ein Fischgericht verspeisen, „echte“ Studenten treffen und schon mal die Fachschaft kennen lernen – all dies gehört zum Programm „Frühstudium“. Im Wintersemester 2004/2005 machten gerade einmal vier Pennäler von der Möglichkeit Gebrauch, Vorlesungen und Seminare zu besuchen.
In diesem Wintersemester werden 38 Jugendliche aus Unterfranken neben der Schule studieren. In den vergangenen zehn Jahren ließen sich insgesamt 456 junge Leute aus 76 Gymnasien auf ein Frühstudium ein, berichtet Dr. Richard Greiner, der das Schülerprojekt mit auf den Weg brachte und bis heute fachlich koordiniert.
Viele Gymnasiasten wissen nicht, was sie nach dem Abi tun wollen. Die Frühstudierenden haben ihren Altersgenossen voraus, dass sie zumindest schon mal ein Fach näher kennen gelernt haben. „Das heißt jedoch nicht, dass sie das dann auch studieren“, so Greiner. Manche Jugendliche sind nach dem Frühstudium ähnlich ratlos wie ihre Klassenkameraden: „Denn sie haben viele Begabungen.“
Wer schon als Schüler davon träumt, einmal ins Management zu gehen, kann nebenbei Wirtschaftswissenschaft studieren. Das taten bisher rund 20 Gymnasiasten. Jeweils um die zwei Dutzend Schüler wählten Anglistik, Jura, Philosophie oder Politikwissenschaft. Die meisten Frühstudierenden sind mathematisch oder naturwissenschaftlich talentiert. Unter 24 Fächern, die bislang ausprobiert werden konnten, waren solche Studiengänge auch die Renner.
Mit Zahlen, Parabeln und quadratischen Funktionen beschäftigten sich bislang 120 mathematische Frühstudierende. 60 schnupperten in Physik, 51 in Informatik hinein. Der Frauenanteil über all die Jahre hinweg beträgt pro Semester zwischen 40 und 50 Prozent.
Freiwillig auf Freizeit verzichten
Chemie oder Skateboard? Mathe oder Musikband? Neben der Schule vier Stunden in der Woche zu studieren, bedeutet, zumal wenn lange Fahrtzeiten hinzukommen, auf ganz schön viel Freizeit zu verzichten. „Viele Jugendliche entdecken durch das Frühstudium, wie wichtig es ihnen ist, Freizeit zu haben und spontan sein zu können“, sagt Greiner. Deshalb entscheiden sie sich nach einem Semester, wieder aufzuhören: „Was für uns aber keinen Abbruch bedeutet.“ Echte Abbrecher, die der Uni schon während des ersten Frühsemesters den Rücken kehren, gibt es kaum.
Inzwischen sitzen die ersten Frühstudierenden an ihrer Doktorarbeit. Dazu gehört Anna Fernengel aus Kleinostheim. Während des Frühstudiums schaffte sie 2008 ihr Vordiplom in Mathematik. Ähnlich erfolgreich waren in den vergangenen zehn Jahren erst drei andere Jugendliche.
So brachte es auch Georg Loho aus Würzburg als Gymnasiast im Jahr 2008 zum Mathematik-Vordiplom. Ihm machte Mathematik solchen Spaß, dass er nach dem Studium sofort weitermachte. Heute ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet „Diskrete Mathematik“ der TU Berlin. Außerdem fungiert er als Landesbeauftragter der Mathematik Olympiade Bayern.
Der Würzburger Thimo Heisenberg legte 2008 die Zwischenprüfung in Philosophie ab, bevor er zum Philosophiestudium nach München ging. Seit 2013 forscht er an der Columbia University in New York über den deutschen Idealismus. Sebastian Weingärtner aus Bad Kissingen schaffte neben dem Abitur 2010 das Informatik-Diplom. Heute ist er an der Harvard Medical School in Boston tätig.
Auch Frühstudierende machen gern Quatsch im Unterricht, viele sind überaus quirlig und haben absolut nichts Verkniffen-streberhaftes an sich, sagt Greiner. Gemeinsam sei ihnen, dass sie auf Herausforderungen scharf seien und mehr wissen wollten als das, was ihnen in der Schule vorgesetzt wird.
Auffällig ist, dass der Altersdurchschnitt der Frühstudierenden heute unter dem des Jahres 2008 liegt. Das geht laut Greiner auf das G8 zurück. Vor zehn Jahren entschieden sich in erster Linie Elftklässer für ein Frühstudium. Doch heute ist die elfte Klasse zu nah am Abi. Deshalb beginnen viele Frühstudierenden bereits in der 9. Klasse. Mit 15 Jahren.