
Er ist auf dem Sprung nach Frankreich. In Lille wird Hans-Josef Fell auf dem „World Forum“ vor 2500 Menschen über die Finanzierung der Energietransformation sprechen. Gut, dass die Bahn wieder fährt. Zum Vortrag ins Allgäu, tags zuvor, musste er selbst in sein Pflanzenöl-Auto steigen. Hans-Josef Fell, der ehemalige Bundestagsabgeordnete und grüne Energie-Experte aus Hammelburg, ist auch nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament viel gefragt. Vor einer Woche war er in Kiew, führte Gespräche mit Alexander Dombrovskyi, dem persönlichen Berater von Präsident Poroschenko, wie die Energieunabhängigkeit der Ukraine von Russland mit erneuerbaren Energien organisiert werden kann.
Hans-Josef Fell: Auf jeden Fall. Denn eine der Kriegsursachen ist ja die politische Ohnmacht aufgrund der Energieabhängigkeit. In der Ukraine ist mein Einsatz besonders stark, weil hier der Schlüssel für die Weltgemeinschaft liegt. Denn wenn es gelingt, die Ukraine über Energieunabhängigkeit in die politische Unabhängigkeit zu führen, dann wäre das geopolitisch ein richtig großer Erfolg. Es gibt aber auch viele andere Regionen, in denen ich tätig bin. So habe ich jetzt eine Einladung nach Marokko bekommen.
Fell: Nein, das bin ich nicht. Ich habe zwar Ämter angenommen, aber verdiene nichts hinzu. Ich bekomme ja noch die Bundestagsübergangsdiäten. Das lässt mir die Freiheiten, so zu handeln, wie ich es für richtig halte.
Fell: Ich mache das als Botschafter der Kampagne „Go 100 % Renewable Energy“. Außerdem habe ich das Präsidentenamt bei der Energy Watch Group übernommen. Das ist eine von mir initiierte Wissenschaftsgruppe, die Analysen über die Ressourcenfrage erstellt. Wir haben etwa nachgewiesen, dass es keine Regionen in der Welt gibt, wo man neues Erdgas in der Größenordnung herbekommen könnte, wie es uns Russland liefert.
Fell: Eine Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen wird nur innerhalb des Systems der erneuerbaren Energien möglich sein. Und das muss man anstreben. Wir können den russischen Aktivitäten politisch nichts entgegensetzen, weil uns die Hände über die Energieabhängigkeit gebunden sind. Wirksame Sanktionen machen nur im Energiesektor Sinn, weil sie 80 Prozent der Einnahmen Russlands ausmachen. Wenn wir aber Sanktionen im Energiesektor aussprechen, bricht unsere Wirtschaft zusammen. Und das ist nicht nur beim Erdgas der Fall, sondern auch bei Erdöl, Kohle und selbst beim Uran.
Fell: Zunächst muss sich das Bewusstsein ändern. Leider ist das Wissen der Energy Watch Group nicht auf der politischen Agenda. Daran arbeiten wir. So habe ich kürzlich Konferenzen zur europäischen Energiesicherheit in Brüssel und Kiew mitorganisiert. Ich bin tief im Gespräch mit Parlamentariern, die in der Ukraine gestaltende Kraft haben, vor allem mit Herrn Dombrovskyi. Er hat auch das Ziel, die Energieunabhängigkeit der Ukraine von Russland mit erneuerbaren Energien zu organisieren.
Fell: Nein. Die Ressourcen nehmen ab. Immer wenn wir eine Rezession in der Weltwirtschaft haben, dann wird die Ölnachfrage geringer und der Preis geht nach unten. Wir erleben jetzt aktuell wieder so eine Phase. Ein klein wenig hat es zwar schon mit einem vermehrten Erdölangebot zu tun. Denn in den USA wird mit dem Tight Oil tatsächlich mehr gefördert. Aber nur kurzfristig. Die Krisen und vielen Spannungen in der Welt hängen im Tieferen klar mit der Ressourcenfrage zusammen. Die Ukrainekrise steht da im Mittelpunkt. Aber auch der Irak, Syrien und der Iran. Wir sollten wissen, dass sich der IS aus dem Erdöl finanziert, das über dunkle Kanäle auch in unsere Autos läuft.
Fell: Also zunächst einmal, nicht überall wo Windräder gebaut werden, gibt es Bürgerinitiativen dagegen. Oft läuft das geräuschlos. Meistens werden die Windräder ja sogar von Bürgergemeinschaften gebaut, die das Energiegeschäft nicht den Konzernen überlassen wollen. Laut einer jüngsten Umfrage stehen in Deutschland 92 Prozent der Menschen hinter der Energiewende. Die Proteste leben vielfach von Falschargumenten, die Ängste schüren. Ich halte das für unverantwortlich. Und offensichtlich schwingt da auch noch etwas anderes mit. Denn eine der stärksten Bürgerinitiativen gegen die Ausweisung der Windkraftfläche WK 88 im Landkreis Haßberg wird ja vom Ehepaar Scheuring geleitet, und Herr Scheuring ist bekanntlich der Leiter des KKW Grafenrheinfeld. Da ist es bezeichnend, dass gerade diese Bürgerinitiative Herrn Seehofer die 10 H-Regelung diktiert hat.
Fell: Die Rentabilität hängt natürlich an den politischen Rahmenbedingungen, wie den Vergütungssätzen im erneuerbare-Energien-Gesetz, dem EEG. Da muss man differenzieren zwischen Binnenland und Küstenregionen. Diese Differenzierung ist nicht optimal gelungen, darum müssen sich die Unternehmen hier für die Wirtschaftlichkeit mehr anstrengen. Das kann aber gelingen. Die Windkraft macht in jedem Fall sehr viel Sinn. Denn Bayern hat aufgrund seiner Fläche das größte Windstrompotenzial aller Bundesländer.
Fell: Das liegt an der restriktiven Genehmigungspraxis. In den Regionalplänen sind rechtswidrig große Ausschlussgebiete festgeschrieben, das ist in kaum einer anderen Region im Bundesgebiet so. In allen anderen Bundesländern hat man in Naturparks und Biosphärenreservaten Windräder zugelassen. In Bayern findet das außer im Regionalplan Altmühltal nicht statt. Vor allem in Rhön, Steigerwald und Spessart haben wir großflächige Ausschlussgebiete. Und wenn man so agiert, dann hat man zu wenig Windkraftflächen. Der stärkste Wind weht nun mal in der Rhön, und da steht kein einziges Windrad.
Fell: Nein.
Fell: Das ist vor allem eine von der CSU gemachte Kampagne. Da werden Bürgermeister vor Ort aufgefordert, Bürgerinitiativen gegen die Trasse zu gründen. Und dabei hat die CSU selbst diese Leitungen beschlossen. Die ganze bayerische Energiepolitik zeigt, dass Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien nicht gewollt ist. Nicht einmal die von Seehofer einst angepeilten 1500 Windräder kann es mehr geben, wenn wir die 10 H-Regelung als Gesetz hätten. Gleichzeitig wird mit massiver CSU-Unterstützung anderen erneuerbaren Energien der Atem abgeschnitten. Wir haben faktisch in Bayern den Stopp des Windkraft- und Biogasanlagenbaus, und auch die Solarenergie ist massiv unter Druck. Somit wird die eine Säule zum Ersatz der Atomkraft erdrosselt. Wenn man aber dennoch den Atomausstieg will, muss man einen Ersatz des Stromes beibringen. Und das kann dann nur gelingen, wenn man ihn mit Leitungen von außen beischafft. Also SuedLink. Und genau da gibt es wieder Proteste von Seehofer. Da kann ich nur folgern, dass er zurück zur Atomenergie will.
Fell: Wenn ich höre, wer alles das jetzt plötzlich sagt. Es sind diejenigen, die in ihren Gemeinden die Windräder, Photovoltaikanlagen und vieles andere verhindert haben. Ich sehe keine Aktivitäten von diesen Aktivisten, beispielsweise jetzt gegen die 10 H-Regelung anzugehen oder den Regionalplan zu ändern, dass sie Windräder bauen könnten. Insofern ist das sehr fragwürdig, was da stattfindet.
Fell: Theoretisch und technisch ja, aber das ist fast unbezahlbar. Für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien bräuchten wir erstens eine schnelle, flexible Stromerzeugung, die einspringt, wenn wenig Wind und Sonne da ist, und abgeschaltet wird, wenn viel Wind und Sonne da ist. Mit Biogas, Wasserkraft und Geothermie wäre das machbar. Zweitens müsste sich die Energienutzung am meteorologischen Stromangebot orientieren. Für die Schweinfurter Industrie wäre das ein Stück weit möglich, in andern Regionen gibt es das schon. Drittens müssen entsprechende Speicher gebaut werden. Und das sollten nicht nur Pumpspeicherkraftwerke sein, sondern auch elektrochemische Speicher oder Systeme zur Umwandlung von Windstromüberschuss in Methangas, das dann wieder verstromt wird. Selbst wenn wir wirklich alles angehen, haben wir einen Problembereich, die Inversionswetterlagen im Winter, wo vier Wochen lang kaum Wind weht und Sonne scheint. Das ist die Herausforderung.
Fell: Da kommen jetzt die Leitungen ins Spiel. Wenn wir diese Wochenzeiträume mit Leitungsverbünden überbrücken, dann haben wir die Lösung. Sie schaffen den regionalen Ausgleich. Dieser kann aber nicht nur innerhalb von ein oder zwei Bundesländern stattfinden, sondern großflächig im europäischen Verbund. Norwegen zum Beispiel hat Pumpspeicherwerke, die wir dann anzapfen könnten.
Fell: Die Ängste sind unbegründet. Es ist eine Gleichstromleitung und davon geht kein Elektrosmog aus. Was es gibt, ist die optische Beeinträchtigung. Und die kann wehtun für die Blicke der Menschen. Schöne Landschaft ist sicher etwas Wertvolles, aber man muss es auch einordnen in die Notwendigkeiten. Ich bin mir sicher, dass die Menschen in Fukushima gerne große Leitungen gehabt hätten, die Windstrom in ihre Region gebracht hätten. Das Abschalten der Atomkraftwerke ist wohl ein vorrangiges Ziel, weshalb wir uns an den Anblick unserer Landschaft mit Leitungen und Windrädern gewöhnen sollten; denn was mit der Klimaveränderung auf uns zukommt, ist viel schlimmer – auch für unsere Landschaft. Und die Menschen in der Lausitz wollen auch lieber einen Windpark und große Leitungen, als dass ihre Häuser wegen der Braunkohle abgebaggert werden. Braunkohlenutzung ist wirklich Landschaftszerstörung, ja sogar Heimatzerstörung.
Fell: Das ist doch der Ausfluss dessen, was der Gesetzgeber vorschreibt. Er hätte nur Tennet mehr Vorgaben geben müssen, es besser zu machen. Und jetzt müssten sich nur alle Bürgerinitiativen an den Tisch setzen und die verträglichste Trasse aussuchen.
Fell: Damit habe ich mich nicht beschäftigt. Ich weiß nur, dass die Leitung notwendig ist.
Fell: Ja, aber auch das ist ein enormer Eingriff in die Landschaft. Das sind große begehbare Bauwerke. Und auch hier müssten oberirdisch Kühlungsbauten zur Ableitung der Wärme errichtet werden.
Fell: Wir haben sie ja schon teilweise. Wir haben nur das Problem, dass die Pumpspeicherkraftwerke nicht ökonomisch betrieben werden können, weil wir eine verfehlte Gesetzesentwicklung haben, die über den EEG-Umlagemechanismus den Börsenstrom nach unten treibt und damit Investitionstätigkeiten ökonomisch schwierig macht. So ist der Gesetzgeber gefordert, dass er bessere Anreize schafft. Und das findet leider nicht statt.
Fell: Nein, überhaupt nicht. Die Grundfesten, die das EEG erfolgreich gemacht haben, sind weitgehend zerstört worden. Bis 2009 hatte sich die EEG-Umlage exakt parallel mit den Einspeisevergütungen entwickelt. Dann kam die vom damaligen Umweltminister Gabriel intendierte Gesetzesnovelle und die EEG-Vergütung hat sich abgekoppelt. Die Umlage hat sich verdreifacht und die Vergütungszahlungen für Stromproduzenten sind nicht mal um 30 bis 40 Prozent gestiegen.
Fell: Weil die Haushaltskunden nicht an der sinkenden Preiswirkung der erneuerbaren Energien teilhaben können. Das hätte Herr Gabriel korrigieren müssen. Er will aber den Kohlestrom schützen. Und es gibt noch ein zweites schlechtes Element im EEG. Wir haben immer noch einen verzerrten Markt. Die konventionellen Energien tragen nicht ihre Schadenskosten, weder die für die Gesundheit noch die der Klimaveränderung und schon gar nicht die Folgekosten durch den Atommüll. Da kann man doch nicht Produzenten und Verbraucher von Ökostrom mit der EEG-Umlage noch zusätzlich belasten.
Fell: Bis 2030 wäre das im Stromsektor zu schaffen.
Fell: (lacht) Noch bin ich voller Ideen.
Leuten wie ihn veranken wir es weiterhin daß wir in der Lage waren nach Mehrfach-Atomkatastrophe in Japan die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und entgültig aus dieser Risikotechnologie auszusteigen.
Ohne ihn und allen die mit ihm gegen die "alternativlose Atomenergie" kämpften wäre der Endgültige Atomausstieg nicht denkbar.
Ich bin sicher er wird noch viel in dieser Richtung bewegen.
Ob nun als Parlamentarier oder nicht.
Wichtig für den Klimaschutz wäre m.E. nicht nur die Stromerzeugung durch regenerative Energieen sondern ebenso den CO2-Ausstoß durch Heizungen und durch Verkehr zu bekämpfen. Bei der energetischen Sanierung des Bestandes gäbe es noch viel zu tun.
Die EU gibt gibt für Öl, Kohle und Gas pro Jahr ca. 500 Mrd. in Nicht-EU-Länder aus.
Sich hier etwas unabhängig zu machen würde also nicht nur von seiten des Klimaschutzes sondern auch um weniger erpressbar zu sein viel Sinn ergeben.
Die eigene Partei hat ihn längst verstoßen.
Bei dem Vorbehaltsgebiet WK 88 konnte er sich selbst in einem nichtöffentlichen Termin
(Sachargumente für eine Diskussion hat er keine!) von dem ökologischen Kolateralschaden ein Bild machen.
Nur mit Unwahrheiten hinsichtlich der 10H-Regelung kann sein ideologisches Weltbild transportiert werden.
Warum die Mainpost hierfür eine Seite gewährt ist nicht nachvollziehbar.
Auch die Medien haben gerade im Sinne der Energiewende eine Verantwortung.Hierzu einem Grünen,der nicht nur seine ökologische Seele verkauft,sondern auch die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat,eine derartige Plattform zu geben,zählt ni
Der Anteil der elektrische Energie am Endenergieverbrauch beträgt um die 20%, zu dem die EEG und speziell WKA bisher keinen nennenswerten Beitrag leisten.
Energieflussbildern zeigen dies mehr als deutlich, siehe
http://www.ag-energiebilanzen.de/9-0-Energieflussbilder.html
Dort z. B. das Energieflussbild 2012 mit der Datei „energieflussbild-2012-deteil-ske.pdf“
Wem das an sachlicher Information noch nicht reicht, der kann sich z. B. mit der „Erfolgskontrolle der Energiewende“ vertraut machen, siehe
http://www.vernunftkraft.de/erfolgskontrolle-der-energiewende-politik/.
Ebenfalls als PDF verfügbar.