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Bad Kissingen
Zum Welttag der Suizidprävention: Reden ist Gold
Am 10. September ist Welttag der Suizidprävention. Dr. Hans-Peter Selmaier, Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld, über Ursachen von Suizid und wie er vermieden werden kann.
Am 10. September ist Welttag der Suizidprävention.   Foto: Fabian Sommer/dpa       -  Am 10. September ist Welttag der Suizidprävention.   Foto: Fabian Sommer/dpa
| Am 10. September ist Welttag der Suizidprävention. Foto: Fabian Sommer/dpa
Angelika Despang
 |  aktualisiert: 09.11.2022 17:05 Uhr

Jedes Jahr sterben in Deutschland ungefähr 9.000 Menschen durch Suizid. Das sind mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen. Weit mehr Menschen erleiden jedes Jahr den Verlust eines nahestehenden Menschen durch Suizid. Dr. Hans-Peter Selmaier ist Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Psychoanalyse und Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld. Er sagt, reden und zuhören können schon viel bewirken. Ein Interview.

Was sind die häufigsten Ursachen für Suizid? Nicht immer Depressionen , oder...?

Dr. Hans-Peter Selmaier: Nein, neben Depressionen gibt es auch andere Ursachen wie zum Beispiel Angsterkrankungen , Panikstörungen, Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch. Auch Persönlichkeitsstörungen, wie beispielsweise narzisstische Störungen, Borderline und Zwangsstörungen wie Anorexie und Bulimie können Gründe sein. Oft ist der Auslöser eine narzisstische Kränkung. Das heißt, aus einem bestimmten Grund ist mein Stolz verletzt, ich bin entwürdigt und verfalle in Schuld und Scham. Ich bin ohnmächtig und kann meine Wut nicht gegen den Verursacher wenden, also wende ich sie gegen mich.

Wie könnten mehr Suizide verhindert werden? Wie läuft Suizidprävention ab?

Indem man als Fachmann auf Risikofaktoren schaut, die eventuell darauf hinweisen, indem man Krankheitsbilder erkennt und erfasst. Und indem man, wenn man den Eindruck hat, die Person ist suizidgefährdet , auch einfach nachfragt. Sich trauen zu fragen ist besser als nicht nachzufragen. Wenn man merkt, dass eine Krise im Gange ist, sollte man schnell und aktiv einschreiten und auch die Umwelt des Betroffenen befragen. Das können die direkten Angehörigen sein, aber auch der Hausarzt. Die Betroffenen sind ja vorher häufig in irgendeiner Form in Behandlung, aber auch für Experten ist eine Gefährdung nicht immer so leicht zu erkennen. Oft bestehen eine gestörte Kommunikation bei den betroffenen Personen. Der Fachmann versuchen dann erstmal in Kontakt mit der Person zu treten und die unterbrochene Kommunikation wieder herzustellen. Dazu braucht es eine große Offenheit, die Person zu akzeptieren, wie sie ist und eine Bereitschaft, zu zuhören und diese Mühe auf sich zu nehmen.

Warum ist das Thema immer noch so ein Tabu? Wie kann es aus der Grauzone herausgeholt werden?

Es hat sehr viel mit Scham zu tun, mit Sich-verstecken. Psychisch belastete Menschen ziehen sich ohnehin eher zurück, fühlen sich nicht zugehörig und haben oft das Gefühl abgelegt zu werden. Umso wichtiger ist es, dass man sie akzeptiert und ihnen vermittelt, dass sie ausdrücken dürfen, was sie bewegt, und zwar alle Regungen und Gefühle, und nicht nur das, was gesellschaftlich akzeptiert ist. Ein Beispiel: viele sprechen eher über Burnout , aber ungern über Depressionen . Burnout klingt nach viel geleistet und ist mehr im Trend.

Eine wichtige Botschaft ist, dass jeder Suizidgedanken haben kann. Jedem kann es passieren, dass er in eine schwierige Situation kommt, die schlimm genug ist, dass er diese hat. Es kann also bei jedem sein, wenn die Bedingungen entsprechend sind. Aber es ist immer besser, über Gefühle, egal welcher Art zu sprechen, als es nicht zu tun. Es hat etwas Erleichterndes, unangenehme Empfindung auszusprechen und Verständnis zu finden in der existenziellen Not. Das führt nicht zum Suizid, sondern hilft leichter über die Krise hinwegzukommen.

Wie läuft die Therapie für Suizid-Gefährdete ab?

Wir behandeln hier nicht Patienten, die direkt suizidgefährdet sind, aber der Zustand kann plötzlich eintreten. Das müssen wir rechtzeitig erkennen und mit der betroffenen Person in Kontakt treten, um zu sehen, wie stark die entsprechenden Tendenzen sind. Wenn diese noch im therapeutischen Bündnis steuerbar ist, ist eine Behandlung hier möglich. Wenn nicht, dann muss sie in eine psychiatrische Klinik überwiesen werden.

Wichtig ist, zu erkennen, wenn es sich zuspitzt. Es gibt das prä-suizidale Syndrom, das heißt die Person denkt nur noch über Suizid nach und sieht keine andere Möglichkeit, dazu kommen Aggressionshemmung, viele Schuldgefühle und der abnehmende Lebenswille. Das ist ein langsamer Prozess. Dabei gibt es das Erwägungsstadium, in dem der Betroffene den Suizid in Betracht zieht, das Stadium der Ambivalenz, wo er hin- und hergerissen ist und das Entschlussstadium, dann hat er sich dazu entschieden. Dann ist der Patient oft ausgeglichen und zugänglich, da muss man als Therapeut vorsichtig sein. Hat er aber die Möglichkeit darüber zu sprechen, ist die größte Gefahr gebannt.

Wie können Angehörige und Freunde sich verhalten? Was sollen sie tun, wenn eine Person von Suizid spricht?

Nicht-Profis sollten signalisieren: ich höre dir zu und habe Verständnis. Aber sie sollten sich nicht zu viel aufladen, sonst kann es sie selbst belasten. Dann sollten sie der Person raten, Expertenhilfe aufzusuchen. Es darf nicht sein, dass der Betroffene meint, keinen Profi zu brauchen, weil er ja jemanden zum Reden hat. Er sollte sich eher im wirklichen Therapiegespräch entlasten.

Schwierig ist es, wenn jemand direkt von Suizid spricht - das ist selten Geplänkel. Dann braucht er Hilfe. Wenn er das partout nicht will und man Angst um ihn hat, muss man die Polizei rufen. Das ist unschön, aber wenn es gut endet, ist derjenige oft dankbar.

Was kann jeder tun?

Die genannten Ursachen für Suizid sollten weiter enttabuisiert werden. Sie sind ein Stück der Lebensqualität vieler Menschen. Zum Beispiel wurde früher nicht über Depressionen gesprochen, erst durch prominente Beispiele wie der Torwart Robert Enke ist die Krankheit in die Öffentlichkeit gerückt. Das ist wichtig, denn wenn einem etwas bewusst wird, kann man angstfreier damit umgehen.

Betroffene und Angehörige können sich an die Telefonseelsorge wenden:

Telefonhotline (kostenfrei, rund um die Uhr): 0800 111 0 111 , 0800 111 0 222 oder 116 123. Weitere Informationen online unter: telefonseelsorge.de

 
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