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Bad Kissingen
"Zum Tod wird sie getragen werden müssen": Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf liest aus ihrer Autobiografie
Im Vorab-Interview erzählt die Zeitzeugin, wie Auschwitz ihr Leben prägte, wie sie sich angesichts des AfD-Hochs fühlt und wie sie den Krieg in Israel bewertet.
Eva Umlauf überlebte als Kleinkind das Vernichtungslager Auschwitz. Am 25. und 26. Oktober kommt sie zu Lesungen nach Bad Kissingen und Münnerstadt, um als Zeitzeugin ihre Geschichte zu erzählen.
Foto: Konrad Rufus Müller | Eva Umlauf überlebte als Kleinkind das Vernichtungslager Auschwitz. Am 25. und 26. Oktober kommt sie zu Lesungen nach Bad Kissingen und Münnerstadt, um als Zeitzeugin ihre Geschichte zu erzählen.
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:58 Uhr

"Vergessen Sie das Kind, es wird nicht leben." Diese Worte erschüttern die Mutter der zweijährigen Eva, Anfang 1945, nach der Befreiung von Auschwitz. Die Prognose des Arztes erweist sich als falsch. Eva Umlauf überlebte als eine der jüngsten das Vernichtungslager.

Aus ihrem Buch "Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen" liest die inzwischen 80-Jährige auf Einladung des Münnerstädter Gymnasial-Schulleiters Peter Rottmann am Mittwoch, 25. Oktober, um 19 Uhr öffentlich im Jack-Steinberger-Gymnasium Bad Kissingen, am Donnerstag, 26. Oktober, um 11.30 Uhr schulintern im Johann-Philipp-von-Schönborn-Gymnasium Münnerstadt. 

Frage: Frau Umlauf, 2011 bekannten Sie sich in Auschwitz als Überlebende des Holocaust. Seither engagieren Sie sich als Zeitzeugin. Weshalb ist es für sie so wichtig, Zeugnis abzulegen?

Eva Umlauf: Ich empfinde es als Auftrag, an das zu erinnern, was passiert ist. Man sieht ja aktuell, dass das "Nie wieder!" zum "Schon wieder!"changiert. Mit 80 Jahren bin ich eine der letzten lebenden Zeitzeugen. Ich habe die Kraft und im Kopf alle Sinne zusammen, um über das Geschehene zu sprechen. 

Ihr Überleben ist eine Geschichte von Wundern. Oder nennen Sie es lieber eine Verkettung von Zufällen?

Umlauf: Das Wesentliche war, dass die Transportlokomotive in unserem Zug auf dem Weg nach Auschwitz kaputtgegangen ist und wir uns deshalb um drei Tage verspätet haben. Am 31. Oktober 1944 wurden in Auschwitz noch 1689 Häftlinge aus dem Ghetto Theresienstadt ins Gas geschickt. Anfang November erhielt der Lagerkommandant Order, das Morden mit Zyklon B einzustellen. Unser Transport aus dem Arbeitslager Nováky – mit mir im Zug saßen meine schwangere Mutter und mein Vater – traf am 3. November ein. Vielleicht war es Glück, vielleicht der liebe Gott, vielleicht Zufall, das muss jeder für sich entscheiden. Wir gingen jedenfalls nicht mehr ins Gas.

Als Idylle im Schatten des Todes bezeichnete Ausschwitz-Überlebende Eva Umlauf das Zwangsarbeitslager Nováky, in dem sie geboren wurde. Das Foto zeigt die kleine Eva mit ihrer Mutter kurz vor beider Deportation nach Auschwitz.
Foto: Archiv Eva Umlauf/Repro I. Renninger | Als Idylle im Schatten des Todes bezeichnete Ausschwitz-Überlebende Eva Umlauf das Zwangsarbeitslager Nováky, in dem sie geboren wurde.
Können Sie nach Auschwitz noch an eine göttliche Fügung glauben?

Umlauf: Ich bin nicht so göttlich. Schon vor dem Holocaust ist es in der Familie meiner Mutter nicht sehr fromm zugegangen, das überträgt sich. Wir haben nur die großen jüdischen Feiertage gefeiert. Auch im Kommunismus, in dem ich nach dem Krieg aufwuchs, war der liebe Gott verboten. Aus unserer Synagoge wurde damals ein Lager für Stoffe gemacht. 

Treffender als den Begriff Zeitzeugin finden Sie die Zuschreibung Zeitenzeugin. Warum?

Umlauf: Zuerst habe ich die braune Diktatur erlebt, dann die rote Diktatur, dann bin ich zurück ins Land der Täter. Mein Buch ist kein reines Auschwitz-Buch. Aber natürlich beeinflusste Auschwitz und mein Leben im Arbeitslager Nováky mein ganzes Leben und das Leben meiner Kinder.

Inwiefern? 

Umlauf: Ich bin sicher, dass sich das Erlebte irgendwo in der Seele und im Körper festmacht, auch wenn man sich nicht bewusst erinnert. Plötzlich wird man getriggert und alles ist da. Körperlich hatte Auschwitz die Folge, dass ich meine ganze Kindheit durch oft und schlimm krank war. Sicher wurde ich auch deshalb später Kinderärztin. Erzogen wurde ich von einer überbeschützenden Mutter, die immense Angst hatte, ihre zwei Kinder zu verlieren. Auch das hat Spuren hinterlassen.

Bei der Befreiung des Konzentrationslagers waren Sie zwei Jahre alt, abgemagert, todkrank. Was wissen Sie heute darüber, was Ihnen in Auschwitz widerfuhr?

Umlauf: Meine Krankengeschichte hat mir das Auschwitz-Archiv ausgehändigt. Kaum vorstellbar, all diese Krankheiten auf einmal zu haben: Windpocken, Keuchhusten, eine beidseitige schwere Lungenentzündung, offene Tuberkulose, Rachitis - eine Knochenerweichung infolge Vitamin-D-Mangels -, eine Verkrümmung der Wirbelsäule und eine Rippfellentzündung, zu all dem Hungerödeme. Sehr viel weiß ich außerdem aus einem Interview, das meine Mutter 1965 einem Journalisten in der Slowakei gegeben hat. Ihm gegenüber war sie überraschend offen. Dank dieses Gesprächs kann ich rekonstruieren, dass ich in Auschwitz getrennt von meiner Mutter allein in der Krankenbaracke lag. Wahrscheinlich, dass ich dort auch auf den für seine menschenverachtenden medizinischen Experimente bekannten NS-Lagerarzt Josef Mengele getroffen bin.

In Ihrem Buch fallen zwei Sätze, die das Grauen von Auschwitz eindrucksvoll greifbar machen. Unter Lebensgefahr hatte sich Ihre schwangere Mutter ans Fenster der Krankenbaracke geschlichen, in der Sie, mehr tot als lebendig, lagen.

Umlauf: Dem Journalisten beschrieb meine Mutter meine Entkräftung und ihre Verzweiflung mit diesen Worten: "Zum Tod wird sie nicht selbst gehen können, zum Tod wird sie getragen werden müssen. Wenn ich sie doch nur tragen könnte, dann würden wir gemeinsam enden!" Erzählt hat sie diese Szene übrigens nur dem Journalisten, nie mir selbst.

Zu Lebzeiten haben Sie Ihrer Mutter viele Fragen nicht gestellt. "Wir mussten vergessen, um leben zu können", sagten Ihnen bei der Recherche viele Überlebende. Warum?

Umlauf: Jetzt kann man sich das nicht vorstellen, denn heutzutage wird in Familien alles besprochen. Aber damals hat man tatsächlich nicht gesprochen. Die Menschen mussten alles unter den Teppich kehren, um weiterzuleben. Geschwiegen haben übrigens sowohl Opfer als auch Täter.

Nach einem Herzinfarkt machten Sie sich im Alter von 74 Jahren auf die Suche nach Ihrer Geschichte. Wie gelang es Ihnen, die Puzzleteile Ihrer Vergangenheit zu finden?

Umlauf: Ich habe Spuren gesucht, in Archiven, Interviews, in Gesprächen mit anderen Zeitzeugen. Die Recherche war eine enorme Arbeit.

Gibt es entscheidende Fragen, die für Sie heute noch offen sind?

Umlauf: Für mich war entscheidend, zu erfahren, wie mein Vater umgekommen ist. Das konnte ich herausfinden. Zuletzt hatten wir ihn bei der Selektion an der Rampe in Auschwitz gesehen. Meine Mutter hatte die Falschinformation, dass er auf dem Todesmarsch umgekommen ist. Dem war nicht so. Er hat die tagelange Tortur des Todesmarsches noch überlebt und landete in Melk, einem Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen in Österreich. Dort starb er im März 1945 an einer Sepsis, etwa einen Monat vor der Geburt seiner zweiten Tochter. Seit ich das weiß, hat unsere Trauer einen Ort.

1967 sind Sie mit ihrem damaligen Mann Jakob aus der Slowakei ins Ursprungsland des Nationalsozialismus nach München gezogen. Haben Sie je daran gezweifelt, ob das die richtige Entscheidung war?

Umlauf: Nein. Letztlich hatte ich auch keine Wahl. Nachdem ich mit Jakob, einem Mann aus dem Westen, also dem Klassenfeind, Kontakt hatte, war ich ins Visier der Stasi geraten. Da war die Emigration wegen Heirat nach Deutschland wie eine Befreiung. 

Bei der jüngsten Landtagswahl in Bayern wurde die AfD mit 14,6 Prozent drittstärkste Partei. Besonders bei den jungen Wählern konnte sie punkten. Was denken Sie darüber?

Umlauf: Unglaublich! 

Wie sollte man mit der AfD umgehen?

Umlauf: Vielleicht hätte man die Partei verbieten sollen. Inzwischen hat sie dafür zu viele Unterstützer. Keinesfalls dürfen die etablierten Parteien mit ihr koalieren. Meine Sorge ist, dass es CDU/CSU eines Tages doch tun werden, um an der Macht zu bleiben.

Wäre das dann noch ihr Deutschland?

Umlauf: Es ist schon jetzt nicht mehr mein Deutschland, wenn in Berlin Palästinenser gegen Israel marschieren. Wenn in Häusern, in denen Juden leben, Davidsterne aufgesprüht werden. 

Nach dem Terrorangriff der islamistischne Hamas, befindet sich Israel im Krieg. Haben Sie Hoffnung, dass das israelische Volk je zur Ruhe kommt?

Umlauf: Es passiert, was ich nicht für möglich gehalten habe. Wir merken, dass Geschichte sich wiederholt. Diese Gesichter voller Hass, die schreien und Israel ausradieren wollen. Sie schreien immer lauter und immer mutiger. 

Woher nehmen Sie die Kraft, nicht zu verzweifeln?

Umlauf: Es gibt verzweifelte Momente. Aber: Der Akku ist noch nicht leer.

Die Lesung in der Aula des Jack-Steinberger-Gymnasiums Bad Kissingen am Mittwoch, 25. Oktober, um 19 Uhr ist öffentlich. Eine Anmeldung unter korff.ulrike@jack-steinberger-gymnasium.de wäre hilfreich. Wer kurz entschlossen teilnehmen möchte, ist aber ebenso willkommen.

Zur Person

Dr. Eva Umlauf wurde 1942 in Nováky, einem Zwangsarbeitslager für Juden in der Slowakei, geboren und im November 1944 nach Auschwitz deportiert. Gemeinsam mit ihrer schwangeren Mutter überlebte sie den Holocaust. Kindheit und Jugend verbrachte Umlauf in der kommunistischen Slowakei, bevor sie 1967 mit ihrem ersten Mann nach München zog, wo die Mutter dreier Kinder seither lebt. Umlauf arbeitete als Kinderärztin und Psychotherapeutin. Ihre Reise zu sich selbst und die Suche nach ihrer ermordeten Familie dokumentierte Eva Umlauf in ihrem Buch "Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen".
Quelle: ir
 
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  • E. Böhrer
    Die Main-Post hatte auch vor längerer Zeit schon mal auf das Buch hingewiesen. Ich kann es nur empfehlen.
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