Bad Brückenau
Herbstkonzert: Wunderbares Miteinander
Denis Patkovic demonstrierte eindrucksvoll beim Herbstkonzert die herausragenden klanglichen und rhythmischen Möglichkeiten seines Akkordeons.

Dass die "Jahreszeitenkonzerte" des Bayerischen Kammerorchesters so große Beliebtheit erlangt haben, liegt nicht nur am Orchester selbst und an dem anregenden Ambiente, in dem die Konzerte stattfinden. Sondern es sind auch die Programme, die immer wieder Interesse wecken, weil es sich die Brückenauer, da sie sich ihres Publikums sicher sein können, erlauben können, jenseits der ausgetretenen Pfade und der eingefahrenen Konzertroutine zu marschieren. In jedem Programm stecken Überraschungen bei der Werkauswahl oder der Besetzung, werden Kombinationen geschaffen, die selten zu haben sind, aber Sinn machen - kurz: die Neugier wecken. Beim Herbstkonzert mit dem Titel "Solitäre", das Sebastian Tewinkel als Gastdirigent leitete, war es die Ankündigung: "Der Akkordeonist Denis Patkovic spielt Bach und Piazzolla."
Aber bevor es so weit war, musste man erst durch Felix Mendelssohn-Bartholdys Streichersinfonie Nr. 7. Für den 13-Jährigen waren die insgesamt zwölf derartigen Sinfonien Übungsarbeiten, die er nie für die Veröffentlichung vorgesehen hat. Und es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn sich auch die Nachwelt daran gehalten hätte. Mendelssohn hat so viel wunderbare Musik geschrieben, an die diese Jugendwerke nicht herankommen. Da nützte es auch nichts, dass die Brückenauer den vier Sätzen sehr starke Zuwendung zukommen ließen und nichts überspielten: Die Musik blieb spröde und ein bisschen konstruiert. Vor allem der letzte Satz zeigte die Nöte des jungen Mannes: Eigentlich ein pfiffiges, durchaus mitreißend spielbares Allegro molto (so war es auch musiziert). Aber da muss dem jungen Mann plötzlich eingefallen sein, dass er noch etwas für den Kontrapunkt tun müsse, und so hat er ein paar Fugatos unvermittelt in den schönen Fluss hineingekeilt und dabei die Stimmung deutlich getrübt.
Und dann Bach auf dem Akkordeon. Denis Patkovic hat das Cembalokonzert A-dur BWV 1055 für sein Instrument bearbeitet. Da musste er nicht allzu viel tun, weil das Akkordeon einen Klaviersatz mehr oder weniger 1:1 übernehmen kann - nur dass das Akkordeon weniger Oktaven hat als das Cembalo. Das war eine höchst sinnvolle Maßnahme, weil er damit neue Perspektiven eröffnete. Denn im Gegensatz zur Orgel, die ebenfalls mit Druckluft arbeitet, und dem Cembalo, das ebenfalls starke perkussive Aspekte entwickelt, kann das Akkordeon nicht nur das in Kombination, sondern es kann noch etwas Wesentliches dazu: über die Drucksteuerung Klänge flexibel machen und dadurch Emotionen gestalten. So richtete sich bei dem Bach-Konzert der Fokus plötzlich weg von den Strukturen hin zu emotionalen Verläufen. Das wurde im ersten Satz noch nicht so deutlich, weil Patkovic da seine Beziehung zum Orchester noch nicht stabil gefunden hatte und etwas zurückhaltend musizierte. Aber die beiden anderen Sätze waren ein wunderbares Miteinander, das der Musik eine große Lebendigkeit und auch Spontaneität gab.
Bei den beiden Sätzen "Asleep" und "Fear" aus Astor Piazollas "Five Tango Sensations" hatte es Denis Patkovic natürlich leichter, weil er da originär sein konnte, weil das Musik war, die wirklich für sein Instrument geschrieben war. Da konnte er die herausragenden klanglichen und vor allem rhythmischen Möglichkeiten seines Instruments demonstrieren, da konnte er seine Solistenrolle auch mal extrovertiert ausleben und eine wunderbar sinnliche, keineswegs immer nur schöne Musik machen. Da war er von Anfang an eins mit dem Orchester, das sich - offensichtlich mit Vergnügen - den nicht unkomplizierten Begleitungen und Konfrontationen zuwandte und damit große Spannung erzeugte.
Zum Schluss ging es in die Vereinigten Staaten, zu Aaron Copland und seinem "Appalachian Spring" in der sogenannten Kammerversion, also für kleines Streicherensemble, Flöte, Klarinette, Fagott und Klavier. Das ist eine Auftragskomposition für Ballett, die 1944 auf Wunsch der Tänzerin und Choreographin Martha Graham entstand und die so beliebt wurde, dass Copland sie später auch großsinfonisch instrumentierte.
Natürlich ist die Gefahr groß, den Titel, der übrigens nicht von Copland stammt, als "Frühling in den Appalachen" zu missdeuten. Nein, "spring" heißt auch "Quelle", und das Ballett erzählt die Geschichte einer irischen Einwandererfamilie, die nach Virginia kommt, dort ein Haus baut und eine Hochzeit feiert. Die Melodie, mit der die Klarinette in dieses Fest und in eine Folge von Variationen einführt, ist berühmt geworden: "Simple Gifts", auf die die Shaker, eine christliche freikirchliche Gruppierung, ihren berühmten Schütteltanz aufführten. Was die Brückenauer außerordentlich deutlich machten, ist die enorme Klangsinnlichkeit von Coplands Musik, eine wasserklare Strukturierung mit pfiffigen Rhythmisierungen, mit einem federnden Vortrieb und ungetrübter Durchhörbarkeit, mit kleinen Ausbrüchen des Pathetischen. Sehr sensibel waren die akkordischen Verläufe musiziert, die weite Klangräume öffneten. Und im Mittelteil wurde prägnant deutlich, dass Copland Gustav Mahlers 1. Sinfonie recht gut gekannt haben musste, als er sich ans Komponieren machte.
"Appalachian Springs" werde leider viel zu selten gespielt, und wenn, dann meistens in Coplands Version für großes Orchester, meinte Sebastian Tewinkel. Da hat er durchaus Recht. Denn das ist ein Stück, das in der Lage ist, Berührungsängste mit der Musik des 20. Jahrhunderts spielend abzubauen. Für die Zugabe kam Denis Patkovic mit auf die Bühne. Es gab noch einmal einen Ausschnitt aus Piazzollas "Five Tango Sensations".
Aber bevor es so weit war, musste man erst durch Felix Mendelssohn-Bartholdys Streichersinfonie Nr. 7. Für den 13-Jährigen waren die insgesamt zwölf derartigen Sinfonien Übungsarbeiten, die er nie für die Veröffentlichung vorgesehen hat. Und es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn sich auch die Nachwelt daran gehalten hätte. Mendelssohn hat so viel wunderbare Musik geschrieben, an die diese Jugendwerke nicht herankommen. Da nützte es auch nichts, dass die Brückenauer den vier Sätzen sehr starke Zuwendung zukommen ließen und nichts überspielten: Die Musik blieb spröde und ein bisschen konstruiert. Vor allem der letzte Satz zeigte die Nöte des jungen Mannes: Eigentlich ein pfiffiges, durchaus mitreißend spielbares Allegro molto (so war es auch musiziert). Aber da muss dem jungen Mann plötzlich eingefallen sein, dass er noch etwas für den Kontrapunkt tun müsse, und so hat er ein paar Fugatos unvermittelt in den schönen Fluss hineingekeilt und dabei die Stimmung deutlich getrübt.
Bach auf dem Akkordeon
Und dann Bach auf dem Akkordeon. Denis Patkovic hat das Cembalokonzert A-dur BWV 1055 für sein Instrument bearbeitet. Da musste er nicht allzu viel tun, weil das Akkordeon einen Klaviersatz mehr oder weniger 1:1 übernehmen kann - nur dass das Akkordeon weniger Oktaven hat als das Cembalo. Das war eine höchst sinnvolle Maßnahme, weil er damit neue Perspektiven eröffnete. Denn im Gegensatz zur Orgel, die ebenfalls mit Druckluft arbeitet, und dem Cembalo, das ebenfalls starke perkussive Aspekte entwickelt, kann das Akkordeon nicht nur das in Kombination, sondern es kann noch etwas Wesentliches dazu: über die Drucksteuerung Klänge flexibel machen und dadurch Emotionen gestalten. So richtete sich bei dem Bach-Konzert der Fokus plötzlich weg von den Strukturen hin zu emotionalen Verläufen. Das wurde im ersten Satz noch nicht so deutlich, weil Patkovic da seine Beziehung zum Orchester noch nicht stabil gefunden hatte und etwas zurückhaltend musizierte. Aber die beiden anderen Sätze waren ein wunderbares Miteinander, das der Musik eine große Lebendigkeit und auch Spontaneität gab.Bei den beiden Sätzen "Asleep" und "Fear" aus Astor Piazollas "Five Tango Sensations" hatte es Denis Patkovic natürlich leichter, weil er da originär sein konnte, weil das Musik war, die wirklich für sein Instrument geschrieben war. Da konnte er die herausragenden klanglichen und vor allem rhythmischen Möglichkeiten seines Instruments demonstrieren, da konnte er seine Solistenrolle auch mal extrovertiert ausleben und eine wunderbar sinnliche, keineswegs immer nur schöne Musik machen. Da war er von Anfang an eins mit dem Orchester, das sich - offensichtlich mit Vergnügen - den nicht unkomplizierten Begleitungen und Konfrontationen zuwandte und damit große Spannung erzeugte.
Zum Schluss ging es in die Vereinigten Staaten, zu Aaron Copland und seinem "Appalachian Spring" in der sogenannten Kammerversion, also für kleines Streicherensemble, Flöte, Klarinette, Fagott und Klavier. Das ist eine Auftragskomposition für Ballett, die 1944 auf Wunsch der Tänzerin und Choreographin Martha Graham entstand und die so beliebt wurde, dass Copland sie später auch großsinfonisch instrumentierte.
Simple Gifts
Natürlich ist die Gefahr groß, den Titel, der übrigens nicht von Copland stammt, als "Frühling in den Appalachen" zu missdeuten. Nein, "spring" heißt auch "Quelle", und das Ballett erzählt die Geschichte einer irischen Einwandererfamilie, die nach Virginia kommt, dort ein Haus baut und eine Hochzeit feiert. Die Melodie, mit der die Klarinette in dieses Fest und in eine Folge von Variationen einführt, ist berühmt geworden: "Simple Gifts", auf die die Shaker, eine christliche freikirchliche Gruppierung, ihren berühmten Schütteltanz aufführten. Was die Brückenauer außerordentlich deutlich machten, ist die enorme Klangsinnlichkeit von Coplands Musik, eine wasserklare Strukturierung mit pfiffigen Rhythmisierungen, mit einem federnden Vortrieb und ungetrübter Durchhörbarkeit, mit kleinen Ausbrüchen des Pathetischen. Sehr sensibel waren die akkordischen Verläufe musiziert, die weite Klangräume öffneten. Und im Mittelteil wurde prägnant deutlich, dass Copland Gustav Mahlers 1. Sinfonie recht gut gekannt haben musste, als er sich ans Komponieren machte. "Appalachian Springs" werde leider viel zu selten gespielt, und wenn, dann meistens in Coplands Version für großes Orchester, meinte Sebastian Tewinkel. Da hat er durchaus Recht. Denn das ist ein Stück, das in der Lage ist, Berührungsängste mit der Musik des 20. Jahrhunderts spielend abzubauen. Für die Zugabe kam Denis Patkovic mit auf die Bühne. Es gab noch einmal einen Ausschnitt aus Piazzollas "Five Tango Sensations".
Themen & Autoren / Autorinnen