Das war schon ein spannendes Wagnis; eine veritable Wagner-Oper, freilich "nur" konzertant, im Max-Littmann-Saal - wenn auch nur "Rheingold", das einaktige, aber zweieinviertel Stunden dauuernde "Vorspiel am ersten Abend" zum "Ring des Nibelungen", dieser sperrigen Tetralogie aus der Welt der germanischen Götter und Mythen. Ein Wagnis zum einen, weil Richard Wagner als Komponist und Person schon immer polarisiert hat: Die einen sind glühende Verehrer und kommen sofort, wenn irgendwo ein Ton von ihm gespielt wird. Die anderen sind Totalverweigerer und machen einen großen Bogen um alles Wagnersche - und bleiben weg. Wie viele sind das? Zum anderen, weil ein Gastspiel des Stadttheaters Minden angekündigt war. Wo bitte ist Minden?
Man konnte es allerdings wissen. Denn dem "Mindener Ring" ging ein Ruf wie Donnerhall voraus. Sogar die FAZ, die auch bei einem glatzköpfigen Kellner immer noch ein Haar in der Suppe findet, schrieb vom "Wunder von Minden". Was war geschehen? Da haben sich 2015 der Richard-Wagner-Verband Minden, das örtliche Stadttheater und die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford zusammengetan, mit Sponsorengeldern eine ausgesuchte Sängertruppe engagiert und mit viel Engagement, Enthusiasmus und Geduld jedes Jahr eine der vier Opern erarbeitet - mit überraschenden Erfolg: Vom "ostwestfälischen Bayreuth" berichtete der Deutschlandfunk .
Der Vergleich war nicht zu hoch gegriffen, wie die Aufführung im Max-Littmann-Saal zeigte. Wer etwa die Bayreuther Ring-Inszenierung von Frank Castorf und seinem Bühnenbildner Aleksandar Denic - auch im Sitzen - durchgestanden hatte, war den Mindenern geradezu dankbar. Natürlich ist eine konzertante Aufführung nicht im Sinne von Richard Wagner , der seine Opern als Gesamtkunstwerk verstand. Aber es war, insbesondere nach dem Castorfschen Zertrümmerungsfuror, einmal eine der seltenen Gelegenheiten, die Oper aus sich heraus, selbsterklärt zu verstehen. Die Voraussetzungen waren bestens. Allein schon die Tatsache, dass das Orchester nicht im Graben hockte, sondern sicht- und vor allem hörbar auf der Bühne präsent war, schuf einen erkennbaren Zusammenhang zwischen instrumentalem und gesungenem Teil. Und dadurch, dass man nicht wie in dem Bayreuther Bühnenchaos vor allem mit der Verortung der gerade Singenden beschäftigt war, konnte man umso mehr auf die Musik achten.
Und das lohnte sich. Denn was Frank Beermann mit seiner hochkonzentrierten Nordwestdeutschen Philharmonie machte, war wirklich bewundernswert und mitreißend. Es spannte weite bögen zwischen der archaischen Urgewalt und den kleinsten Fiesigkeiten, die sich in der Musik spiegeln. Mimes Schmiede oder das Auftreten der Riesen Fafner und Fasolt realisieren sich ebenso spektakulär wie Freias Todesangst oder das Gurgeln der Rheins. Und ausgesprochen plastisch ist das Spiel mit den Leitmotiven, die sich durch die gesamte Tetralogie ziehen. Da war eine Klarheit, wie sie besser nicht sein könnte.
Das galt genauso für den Handlungs- und Gesangsbereich. Die Sängerinnen und Sängerkonnten sich auf ihrem breiten Laufsteg vor dem Orchester ganz auf ihre originäre Aufgabe, das Singen, konzentrieren, und das in direkter Tuchfühlung mit dem Dirigenten und dem Orchester. Sie mussten nicht spektakulär mit eingeschlagenem Schädel zu Boden gehen wie der Riese Fasolt oder irgendwelche Requisiten stemmen. Sondern sie konnten einfach singen und dann abgehen - oder, wenn es sich anbot, auch warten.
Man muss aber auch sagen, dass es bei der Besetzung der Rollen keinen einzigen Schwachpunkt gab. Allein schon deshalb nicht, weil, ganz im Sinne Wagners, alle ausnahmslos sehr textverständlich sangen - ein deutlicher Unterschied zu Bayreuth, wo man sich auch bei manchen deutschsprachigen Sängern Übertitel wünschen würde. Vor allem aber musste man sängerisch keine Abstriche bei den Erwartungen machen. Stimmlich waren alle bestens disponiert, und alle waren in der Lage, auch in der konzertanten Situation durch spielerische Gestik Emotionen zu verstärken, die sie stimmlich ohnehin schon verdeutlichten. Starke Bühnenpräsenz hatte Thomas Mohr als Loge, der so etwas wie ein Moderator und die Stimme der Vernunft in dieser Oper ist - der also viel zu tun hat. Tuomas Pursio war nach einer kleinen Anlaufphase, der arrogante, auf Machterhalt achtende Wotan , der er sein muss, um am Ende in seinen Untergang zu marschieren. Andreas Kindschuh und André Riemer waren Donner und Froh: nicht allzu oft gefordert, aber wirkungsvoll. Bei den Göttinnen war es vor allem Fricka (Kathrin Göring), die plausibel, aber erfolglos versuchte, Wotan , ihren Gemahl, zu staatsmännischer Vernunft zu bringen. Julia Bauer sang und spielte ausgezeichnet die Angst, die sie als Geisel der beiden riesen aushalten muss. Und Janina Baechle sang mit großer Empathie ihren Kurzauftritt als Göttermutter Erda.
Einen herausragenden Alberich gab Heiko Trinsinger, der nicht nur gnadenlos Dan Karlströms Mime unterdrückte, sondern sehr nachvollziehbar zwischen seiner Goldgier und der Angst vor den Mächtigen laviert. Wirklich Angst musste man vor den beiden Riesen Fasolt (Karel Martin Ludvik) und Fafner (James Moellenhoff) im Frack nicht haben, aber in ihrem Gesang und in ihrer Gestik machten sie die Gefahr deutlich, die von ihnen ausgeht, und auch die unterschiedlichen Intelligenzquotienten der beiden. Die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Flosshilde (Ania Vegry, Christine Buffle und Tiina Penttinen) waren deshalb besser als ihre Bayreuther Kolleginnen, weil sie nicht nebeneinander, sondern miteinander sangen und spielten. Oder anders gesagt: Dem Bayreuther Vergleich hält das Mindener "Rheingold" mühelos stand.