Man kennt diesen „Doch-immer-wieder-Effekt“ von „Dinner for One“ oder von „Drei Männer im Schnee“, dem schönsten Schwarzweißfilm aller Zeiten: Jedes Jahr seit Menschengedenken werden die beiden Streifen in der späten Adventszeit beziehungsweise an Silvester flächendeckend ausgestrahlt; jedes Jahr studiert man ungewöhnlich intensiv das Fernsehprogramm, dass man sie um Himmelswillen nicht verpasst, obwohl man sie schon auswendig kann.
Und jedes Jahr nimmt man sich vor: „Dieses Jahr lachst du mal nicht!“ Und jedes Jahr passiert das Gleiche: Beim ersten Witz klappt’s, beim zweiten Witz klappt’s gerade noch. Aber beim dritten Witz beginnen die Gesichtszüge zu entgleisen. Und dann lachen wir halt doch wieder wie jedes Jahr.
Genauso geht es einem, wenn Bob Ross mit seinem Ensemble „ Blechschaden “ – wie jedes Jahr – im Regentenbau auftaucht. Man kennt eigentlich schon alles – glaubt man zumindest. Man weiß, dass eine wuchtige „Zarathustra“-Bearbeitung den Abend weckrufend eröffnet, und dass dann Bob Ross , „der größte Dirigent Schottlands“, als erstes fürchterlich am Mikrofonständer herumnestelt, der natürlich wieder viel zu hoch eingestellt ist.
Kokettieren mit der eigenen Größe
Und dass er dann erst einmal mit seiner Größe kokettiert: Mit 5,184 Fuß kann er sich das ja auch erlauben (das sind auf Deutsch stolze 1580 Millimeter). Und dann kommen auch schon die ersten Witze: „Was ist der Unterschied zwischen einer schottischen Hochzeit und einer schottischen Beerdigung?“ Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dieses einfache Rätsel nicht lösen können, müssen Sie halt nächstes Jahr ins Konzert kommen oder diesen Text bis zum Ende lesen. Natürlich kann man mittlerweile alle Witze mitsprechen, aber das ist alles andere als schlimm. Denn zum einen sind sie wirklich witzig, manchmal ein bisschen hinterfotzig, aber nie unter der Gürtellinie. Auch sich selbst und seine Kollegen zieht er gerne durch den Kakao, aber nie so tief, dass sie davon trinken müssen.
Nicht alle Witze sind alt
Obwohl: Nicht alle Witze waren alt. Ein neues Thema hatte Bobb Ross, der seit dem Brexit übrigens nicht nur Schotte, sondern auch Deutscher ist, dann doch: König Charles und Königin Camilla, der die Truppe sogar ein Stück widmete. Schwer zu sagen, welcher Witz dafür geopfert werden musste. Vielleicht gar keiner, denn im letzten Jahr spielte Blechschaden bei seinem Ausflug in die schottische Folklore die traurige Ballade von „Bonnie Prince Charles“. Er wollte 1745 mit einer Invasion Englands die Macht der Stuarts wieder herstellen und scheiterte kläglich. Bei den Windsors klappte das jetzt besser. Bob Ross war einfach gut drauf. Wie ein Irrwisch tollte er auf der Bühne und zwischen seinen Musikern herum und stand auch in ständigem Kontakt mit dem Publikum. Er weiß, wie man eine Moderation macht, und der Erfolg gibt ihm recht.
Elf Musiker als Erfolgsgarant
Die anderen Erfolgsgaranten waren natürlich die elf Musiker. Auch hier hätte man sagen können: „Das haben wir doch alles schon gehört.“ Aber man kann die Stücke halt immer wieder hören. Denn es ist ja keine „Humptata-Musik“, sondern es sind strukturell und virtuos höchst anspruchsvolle Originalkompositionen aus allen Jahrhunderten und Stilrichtungen, die in das Spaßbad hineingezogen werden. Und man kann nicht erwarten, dass das Ensemble ständig etwas Neues einstudieren kann.
Schließlich sind die elf Musiker im Brotberuf Blechbläser (und ein Perkussionist ) der Münchner Philharmoniker und haben da schon genug zu tun. Und dann müssen sie auch noch jedes Jahr 50 Konzerte für Blechschaden stemmen. Aber auch sie wollen sich das Vergnügen halt nicht entgehen lassen. Und so schaffen sie jedesmal den Spagat, höchst seriös zu musizieren und damit ihr Publikum zum Lachen und Mitklatschen zu bringen.
Triumphmarsch aus Aida
Und da waren sie also wieder: Verdis Triumphmarsch aus „Aida“ oder Bachs Toccata d-moll BWV 565, Beethovens „ Für Elise “ („ Beethovens 13. Sinfonie“) oder „Whiter Shade of Pale“ von Procol Harum, Johann Strauß„ „Pizzicato-Polka oder Giovanni Gabrielis doppelchörige „Canzona septimi toni („das Lied von Sepp und Toni“), Bolero oder Sirtaki; und vieles mehr. Der virtuose Höhepunkt war die „Badinerie“ aus Bachs 2. Orchestersuite h-moll BWV 1067, in der die Traversflöte den irrwitzig schnellen Solopart spielt und manchen Interpreten vor Probleme stellt. Hier spielte ihn Ricardo Carvalhoso mit der Tuba im Originaltempo. Und man fragte sich bis zuletzt, wie er die massive Luftsäule dieses großen Instruments derart in Bewegung setzen und halten konnte. Und wann er überhaupt geatmet hat.
Noch besser als gewohnt
Nein, man hatte den Eindruck, dass Blechschaden dieses Mal noch besser als gewohnt war. Vielleicht verlieh den Blechschaderern der Tourneestart in das 40. Bühnenjubiläiumsjahr Flügel. Der einzige Wermutstropfen: Mit „La bamba“, der letzten Zugabe, mit der sie das Publikum aus dem Saal komplimentierten, gaben sie ihm den banalsten Ohrwurm mit auf den Weg, den sie finden konnten, Im letzten Jahr war das noch der „Steingadener Musikantenmarsch“ gewesen. Aber der war heuer schon eher dran gewesen.
Ach so, ja, der Unterscheid zwischen einer schottischen Hochzeit und einer schottischen Beerdigung? Laut Bob Ross „ein Betrunkener weniger!“ Das muss aber nicht stimmen. Denn nicht bei jeder Hochzeit sind auch schon die künftigen Erben da.
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