Gegen den Strich gebürstet – so präsentierte das Ensemble „Goldmund“ sein widerspenstiges Programm „Scharfe Zunge, weiche Lippen“ im Rossini-Saal vor 120 Besuchern, die an der musikalisch wie gesanglich-textlich dramaturgischen Reise teilnehmen wollten und diese am Ende mit begeistertem Applaus quittierten. So widerspenstig wie die einzelnen Stücke präsentierte sich leider der Rossinisaal, der bei den kratzbürstigen Bläsern-Sets die variable Stimme von Sängerin Anna Veit verschluckte. Was die Frontfrau und das Ensembles drauf haben, konnte man bei den ruhigeren Stücken erleben und bestaunen.
Sechs Musiker von den Münchner Philharmonikern
Doch nicht nur Anna Veit, die sich im goldfarbenen Abendkleid dem glänzenden Blech von Horn, Trompete, Posaune und Tuba anpasste, zeigte ihr Können bei dem konzertanten Nischenprodukt, das bekannte Stücken einem musikalischen Transformationsprozess unterwarf und das Stücke abseits des Mainstreams auf die Bühne holte. Auch die sechs Musiker aus dem Fundus der Münchner Philharmoniker – Uli Haider, Bernhard Peschl, Florian Klingler, Quirin Willert, Ricardo Carvalhoso und Sebastian Förschl (Schlagzeug, Vibraphon) – zeigten nicht nur ihr instrumentales Können bei Melodie und Harmonie, sondern auch ihre Lust an den schrägen Tönen, an ungewohnten Klangwelten, an provokanten Dissonanzen. „Schaurig-schön“ – so lautete die Ankündigung im Programmheft des Kissinger Winterzaubers, und dies bewahrheitete sich bei dem Konzert , das mal makaber, mal mit einem Schuss schwarzen Humors und mal nachdenklich-traurig diese „Zeit zwischen den Jahren“ füllte.
Blick auf geheime Wünsche gewagt
Für Conférencière Anna Veit ist diese Übergangszeit wie eine Zugfahrt: „Man ist aus dem Zug 2023 ausgestiegen, aber der Zug 2024 ist noch nicht da.“ – und so moderierte sie die Übergänge zu den einzelnen Stücken mit Reminiszenzen zum Weihnachtsfest oder mit der Hoffnung auf das Kommende. Sie schaffte Verbindung zu den Komponisten, zu den Geschichten hinter den Stücken und animierte die Gäste, ihre „geheimen Wünsche“ zu notieren, als Bonmot für die zweite Hälfte des Konzerts und mit überraschenden Resultaten: Neben Toleranz, innere Ruhe und Weltfrieden standen auch handfeste Sachen wie Gartenhäuschen oder Tangotänzer als Partner auf den kleinen Zettelchen.
Im Mittelpunkt stand aber die musikalische Reise mit „altbekannten und nie gehörten Chansons“, so die Ankündigung. Weihnachten als Fest des Schenkens wurde mit Thomas Pigors Stück „Das schönste Geschenk“ und einem jazzigen Unterton besungen, wobei auch leere Hände, dafür Liebe und Vertrauen in diese Kategorie gehören. Und natürlich die „Freundschaft“, für die gab es jedoch das passende Liedchen aus Österreich von Christof Spörk und dazu die Frage: Gibt es dies auch für Totengräber und Finanzbeamte? Oder gibt es für diese nur die „Einsamkeit“, die als musikalisches Kunstwerk von Anna Veit arrangiert und vom Ensemble als nachdenklich-trauriges Stück umgesetzt wurde.
München der 60er Jahre wiedererweckt
Das München der 60erJahre erlebte mit den Stück „Nowak“ von Hugo Wiener seine Wiedergeburt und war verbunden mit der begnadeten Wirtin „Schwabinger Gisela“, der 80 Strophen gewidmet waren und den Kneipenstil der 30er Jahre nutzte. Glockenspiel und besinnliche Bläserelemente zu „ Still , o Himmel“ aus Tirol beendete den ersten Teil, bevor das berühmteste Geschwisterpaar – neben den Kessler Zwillingen – zur zweiten Hälfte einlud. „Gebrüder Grimm neu arrangiert“ beschreibt am besten das Stück „Hänsel und Gretel“ aus Engelbert Humperdincks Oper, denn was Anna Veit mit ihrer klassisch-geschulten Stimme und die Blechbläser mit Schlagwerk ablieferten, war in Bezug auf artgerechte Haltung, Emanzipation und „Ende gut, Hexe tot“ satirische Unterhaltung vom Feinsten.
Die Tuba als Solo-Instrument
Nicht weniger berauschend waren „Klein Madeleinchen“, das ebenfalls aus dem Zyklus rund um „Schwabinger Gisela“ stammte und die Tuba als Solo-Instrument etablierte, und das melancholische Liebeslied „Herz in der Hand“, das gesanglich und instrumental das Können des Ensembles bewies, und das schwungvoll, im Bigband-Sound arrangierte Stück „Ausgerechnet“ von Coco Schumann . Mit „Aschenbrödel“ als schwungvoll inszeniertes, chansonartiges Weihnachtsmärchen und der Humoreske über’s „Schwache Herz“ im Max-Raabe-Stil ging ein beeindruckendes Konzert der etwas schrägen Art zu Ende – und mit der berührenden Zugabe „Der Brief“ von Hermann van Veen zur Freude der begeisterten Gäste in die Verlängerung.
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