Es gibt nur wenige Orte in der Region, die eine so bewegte kürzere Vergangenheit haben wie Wildflecken. Wegen der Aufrüstung der Reichswehr im Jahr 1936 veränderten sich die Grenzen von Wildflecken immens. Das damals geplante Truppenlager hatte Auswirkungen auf Bevölkerungsstruktur und Grenzverläufe, die bis heute zu spüren sind.
„Für Wildflecken war das eine Zäsur, eine Zeitenwende“, sagt Bürgermeister Gerd Kleinhenz. Vor der Errichtung des Truppenübungsplatzes sei die Gemeinde ein kleiner Ort gewesen, wie jedes andere Rhöner Dorf.
Truppenlager in Wildflecken für 9000 Mann
Dann aber der Einschnitt: Auf einer Fläche von 7400 Hektar, mit einer West-Ost-Ausbreitung von elf Kilometern und einer Nord-Süd-Ausbreitung von etwa zwölf Kilometern errichtete die Reichswehr im Jahr 1936 ein Truppenlager. Es war für 9000 Mann und 1500 Pferde ausgelegt. Dafür mussten Wildflecken und die Nachbargemeinde Oberweißenbrunn immense Flächenverluste hinnehmen.
Aus dem ehemaligen landwirtschaftlich geprägten Gebiet entstand eine Gemeinde, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr wiederzuerkennen war. „Landbesitzer wurden zwar entschädigt, aber durch die Inflation in den 1940er Jahren blieb fast nichts übrig“, erklärt Walter Vorndran, Obmann der Feldgeschworenen in Wildflecken.
Zwei Drittel Bodenverlust durch Bau des Truppenplatzes in Wildflecken
Insgesamt 235 Hektar Äcker, 114 Hektar Privatflächen und -wald sowie über 40 Hektar Gemeindewald und -wiesen fielen dem Truppenübungsplatz zum Opfer. „Damit verlor die Gemeinde Wildflecken nach geschichtlichen Überlieferungen zwei Drittel des gesamten Markungsbezirkes“, sagt Vorndran.
Darüber hinaus mussten sieben Gemeinden, davon fünf im Landkreis, umgesiedelt werden. Dafür verantwortlich war die Reichsumsiedlungsgesellschaft in Berlin, die auf der Gesetzesgrundlage über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 handelte.
Bevölkerungszunahme durch Zuzug
Für Wildflecken, das einstige unaufgeregte Rhöner Dorf, bedeutete das: „Die dörfliche Infrastruktur änderte sich zu einer städtischen, heute noch geprägt durch die Amerikaner, die ab 1952 den Truppenübungsplatz nutzten“, sagt Kleinhenz. Nahe an der innerdeutschen Grenze gelegen, bot sich der Standort mit weitestgehend erhaltener Infrastruktur als ideal an.
Die Bevölkerungsentwicklung im 20. Jahrhundert ist eng mit dem Bau des Truppenübungsplatzes verbunden. Zwischen 1939 und 1950 stieg die Bevölkerung sprunghaft um über 1000 Einwohner an. Parallel zu den geschichtlichen Vorkommnissen auf dem Truppenübungsplatz sank oder stieg die Bevölkerungszahl in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aktuell sind es 2935 Einwohner (Stand Dez. 2022) im Markt Wildflecken.
Grenzverläufe wichtig für Geschichte der Region
Bürgermeister Gerd Kleinhenz steht auch heute noch hinter dem Truppenübungsplatz. Trotz der bewegten Geschichte rund um das Gelände profitiere die Marktgemeinde heute davon, zum Beispiel in Form von Kaufkraft. „Wir stehen hinter dem Truppenübungsplatz, die Gemeinde ist dadurch weltoffen geworden.“ Für das Jubiläumsjahr ist Kleinhenz wichtig: „Wer die Geschichte der Heimat kennt, der sollte auch die Grenzverläufe kennen.“
Gemeindegrenzen Im Jahr 1942 wurden die bis dahin selbständigen Gemeinden Altglashütten, Neuglashütten, Reußendorf, Rothenrain und Werberg aufgelöst und zum Heeresgutsbezirk Wildflecken zusammengefasst. Nach Ende des Krieges wurde der Heeresgutsbezirk Wildflecken 1951 wieder aufgelöst. Sein Gebiet bildete fortan die Gemeinde Neuwildflecken. Im Zuge der Gebietsreform in Bayern schlossen sich am 1. Juli 1970 die Gemeinden Wildflecken und Neuwildflecken zur neuen Gemeinde Wildflecken zusammen. Im Jahr 1978 wurde der Markt Oberbach nach Wildflecken eingemeindet.
Termin Im Rahmen der 500-Jahr-Feier findet am 20. April um 10 Uhr eine historische Grenzbegehung statt. Diese wurde von den Feldgeschworenen vorbereitet und wird im Auftrag des Bürgermeisters, federführend vom Obmann Vorndran durchgeführt. Begangen wird die nordwestliche Gemarkungsgrenze von Wildflecken/Neuwildflecken und dem Ausmärkischen Bereich bis Oberbach. „Sicherlich überrascht sein wird der ein oder andere Teilnehmer über den innerörtlichen Grenzverlauf Altort Wildflecken und Neuwildflecken“, gibt Vorndran einen Vorgeschmack.
Treffpunkt ist die östliche Einfahrt der Florian-Geyer-Straße in Höhe Tankstelle. Festes Schuhwerk, Wanderbekleidung und -stöcke sind angeraten. Um etwa 13.30 Uhr endet die Grenzbegehung an der Rhönklubhütte am Auersberg. Dort ist für das leibliche Wohl gesorgt.
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