
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine jährt sich bald zum dritten Mal. Rund 1700 Ukrainerinnen und Ukrainer haben inzwischen Wohnung, Arbeit, Schule oder Kitaplatz und ein Zuhause hier im Landkreis Bad Kissingen gefunden. Wie feiern sie Weihnachten fern von der Heimat?
In den vergangenen zwei Jahren hat Inna Prokopenko Weihnachten in einem Bus oder Zug auf dem gefährlichen Weg in ihre Heimat verbracht. Als sie vor fast drei Jahren direkt nach Kriegsbeginn mit ihrer Tochter und ihrem Enkel nach Deutschland flüchtete, musste sie ohne ihren Ehemann gehen.
"Ich war für den Weg nach Saporischschja an Weihnachten zwei Tage unterwegs, erst mit dem Bus nach Polen und von dort mit dem Zug in die Ukraine", erzählt Inna Prokopenko, die in der Sinnberg-Grundschule in Bad Kissingen Deutsch als Fremdsprache unterrichtet.
Gefährliche Reise in die Heimat
"Die Einreise ist kein Problem, weil ich arbeite und einen Pass habe. Aber die Reise ist natürlich gefährlich, weil niemand weiß, wo Bomben fliegen."
Sie nutzte die Tage zwischen den Jahren, um in ihrer Heimatstadt Formalitäten zu erledigen, nach ihrem Haus zu schauen und um Familienmitglieder und Freunde zu treffen. Saporischschja wurde und wird immer wieder stark bombardiert, "dazu steht unser Haus nicht weit von einem Wasserkraftwerk. Aber es ist zum Glück unbeschadet", berichtet sie.

Inzwischen konnte auch ihr Mann nach Bad Kissingen kommen. "Deswegen können wir Weihnachten dieses Jahr richtig feiern. Wir schmücken, bereiten das Festessen vor, schreiben Glückwunschkarten und gehen in den ukrainischen Gottesdienst. Ich will das Fest spüren", sagt die 55-Jährige glücklich.
25. Dezember offizieller Feiertag
Neu für viele Ukrainerinnen und Ukrainer ist das Datum des Festes. Weihnachten wurde von orthodoxen Christen in der Ukraine bis 2022 nach dem julianischen Kalender gefeiert, also am 7. Januar.
Während es 2022 den Gläubigen noch selbst überlassen war, ob sie am 25. Dezember oder 7. Januar feierten, ist es seit vergangenem Jahr auch staatlich geregelt. Mitte 2023 beschloss das ukrainische Parlament , dass der 25. Dezember zum offiziellen und einzigen Feiertag wird.
Victoria Syrgi lebt bereits seit 15 Jahren in Deutschland, ihre Eltern sind im Frühjahr 2022 aus Kurachowe im Oblast Donezk hierher geflüchtet. "Wir haben Weihnachten bisher immer zweimal gefeiert, denn mein Sohn wollte, wie alle anderen Kinder auch, am 24. Dezember Geschenke haben. Seit 2023 feiern wir nur noch einmal wie alle anderen."

Kulturelle Traditionen weitergeben
Ihr ist es wichtig, dass die Kinder die ukrainischen Traditionen nicht vergessen: "Als ich klein war, haben wir in der Ukraine Weihnachten nicht so bunt und schön gefeiert, niemand hat sich getraut, Weihnachtslieder zu singen und wir haben die Traditionen nur aus dem Fernseher gekannt", erzählt die 35-Jährige.
Erst seit sie erwachsen ist und noch mehr durch den Kriegsausbruch habe sie das Bedürfnis Weihnachten nach ukrainischer Kultur zu feiern.
"An Heiligabend essen wir traditionell kein Fleisch und keine Eier, sondern zwölf Fastenspeisen, denn vor Weihnachten ist Fastenzeit", erklärt Victoria Syrgi.

Im Gedenken an Verstorbene feiern
Typische Gerichte sind gefüllte Teigtaschen, vegetarischer Borschtsch und Fisch. Am wichtigsten ist "Kutja", eine nahrhafte süße Speise, vorwiegend aus gekochten Weizenkörnern, gemahlenen Mohnkörnern und je nach Geschmack mit Walnüssen, Rosinen und Honig zubereitet.
Wenn alle Speisen auf dem Tisch stehen, eröffnet das älteste Familienmitglied mit einem Gebet, der Segnung der Kutja und einem ersten Löffel davon das feierliche Abendessen. Nachdem jeder von der Kutja gekostet hat, dürfen auch andere Speisen gegessen werden.
"Auch für die verstorbenen Verwandten werden Teller und Löffel gedeckt, um ihrer zu gedenken", so Victoria Syrgi.
Auch Olena Albert, ursprünglich aus Saporischschja, lebt schon lange hier und hat nach Kriegsausbruch ihre Familie nach Bad Kissingen geholt.

Sie verbindet ukrainische und deutsche Traditionen bei ihrem Weihnachtsfest und ist froh, dass es jetzt nur noch ein Datum gibt: "Zwölf Fastengerichte zuzubereiten wird schwierig, aber die Kutja gehört auf jeden Fall dazu und am ersten Weihnachtsfeiertag machen wir ein Festessen mit mehreren Gängen."
Ukrainische Gemeinde in der Marienkapelle
Seit zwei Jahren leitet Roman Sadovyi die ukrainische Gemeinde in Bad Kissingen und hält Gottesdienste in der Marienkapelle. Kurz nach Kriegsbeginn flüchtete er mit Frau und drei Kindern von Vasylivka bei Saporischschja nach Deutschland.

Die Weihnachtsfeierlichkeiten beginnen am 24. Dezember mit einem Abendgottesdienst und setzen sich am Morgen mit der festlichen Liturgie fort.
"Während der Liturgie erklingen unterschiedliche Gesänge, die das neugeborene Kind preisen. Wir singen Weihnachtslieder , wünschen einander Gesundheit und Gottes Segen. Die Türen des Gotteshauses stehen für alle offen, die Christus preisen möchten", sagt Roman Sadovyi.

Typisch für ukrainische Weihnachtsfeierlichkeiten und ein Symbol der kulturellen Identität ist der "Wertep", bei dem Darsteller ähnlich wie bei den Sternsingern von Haus zu Haus ziehen, Weihnachtslieder singen und die frohe Botschaft verkünden.

Victoria Syrgi findet, dass jede Kultur ihre Traditionen pflegen und weitergeben soll und auch mit anderen Kulturen eine Verbindung eingehen soll. Auch Inna Prokopenko erklärt den Kindern im Unterricht ukrainische und deutsche Weihnachtstraditionen und deren Unterschiede.
Der große Wunsch: Frieden
Fürs neue Jahr wünschen sich alle Frieden in ihrem Heimatland. "Ich wünsche mir, dass die Menschen aller Länder einen klaren Himmel über dem Kopf haben und einen friedlichen und freundlichen Austausch aller Kulturen hier in Deutschland", sagt Victoria Syrgi.