Frieden fängt schon in der Familie an - das ist eine Erkenntnis, die Christine Müller und Anita Dietz-Spies aus fast 40 Jahren Friedensarbeit gezogen haben. Die Münnerstädterinnen gehören zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe "Frauen stiften zum Frieden an".
Bis heute treffen sie sich regelmäßig. Das Durchblättern der gesammelten Unterlagen aus vier Jahrzehnten ist für die Frauen eine Reise zurück in die Vergangenheit der örtlichen Friedensbewegung mit vielen, vielen schönen, aber auch weniger schönen Erinnerungen.
Auch heute noch wünschen sich beide nichts mehr als den Weltfrieden . Doch zum Idealismus der Anfangsjahre gesellt sich heute, angesichts des Ukrainekrieges und vieler anderer vorausgegangener Konflikte, ein Stück Ernüchterung dazu. Ostermärsche? Christine Müller fragt sich, ob diese heute noch etwas bewegen können. Sie glaubt eher nicht.
"So kann man wenigstens etwas machen"
Anita Dietz-Spies fühlt sich der derzeitigen Krisensituation ausgeliefert. Sie glaubt, dass es vielen so geht. Sie überlegt, ob vielleicht gerade deshalb die Hilfsbereitschaft für die ukrainischen Flüchtlinge landauf, landab so gut funktioniert. "So kann man wenigstens etwas machen".
Friedensarbeit definiert die Gruppe heute als das Suchen und Ringen nach Konsens und nach einem friedvollen Miteinander in der Familie, unter Nachbarn, unter den Menschen einer Stadt oder eines Dorfes. Hier muss man beginnen, wenn man Frieden stiften will. Hier fängt alles an.
Und es geht den Frauen auch darum, dass Flüchtlinge in der Gesellschaft gesehen werden und ihnen Respekt entgegengebracht wird - egal ob sie aus der Ukraine oder aus Afghanistan, Syrien oder den Krisenländern Afrikas kommen.
Hat 1983 im Naturkostladen begonnen
Doch begonnen hat 1983 tatsächlich alles mit dem Weltfrieden ganz allgemein, und zwar im Münnerstädter Naturkostladen. Dort sei unter den einkaufenden Frauen viel diskutiert worden über den Nato-Doppelbeschluss, die Stationierung von Atomwaffen und dem gegenseitigen militärischen Hochrüsten der Machtblöcke, erinnert sich Christine Müller. Anita Dietz-Spies war mit ihrer Familie gerade zurück in ihre Brünner Heimat gezogen.
Als junge Mutter machte ihr diese Entwicklung ebenfalls Sorgen. Anderen Frauen ging es ähnlich. "Wir müssen etwas machen", war schließlich die Erkenntnis. Und so kam es am 19. Oktober 1983 zu einem ersten Treffen. Bereits einen Monat später organisierte die Gruppe ihren ersten Schweigekreis.
"Geht heim und kocht Euren Männern was"
Dass Friedensarbeit und Idealismus nicht nur friedliche Reaktionen erzeugen, mussten die Frauen aber ebenfalls schnell feststellen. "Behalt Deine Blätter, du blödes Weib", "Dann geht doch in die DDR" oder "Geht heim und kocht Euren Männern was", waren noch die vornehmeren Beschimpfungen, die sich Aktivistinnen mitunter anhören mussten.
Solche Sätze bleiben bis heute im Gedächtnis. "Wir sind als Frauen nicht voll genommen worden", sagt Anita Dietz-Spies. Entmutigt hat das jedoch keine aus der Gruppe.
"Ferdl Betzer hat uns für voll genommen", ergänzt Christine Müller. Der damalige Bürgermeister Münnerstadts habe den Frauen auch das Rathaus geöffnet. Und sogar mit der Jungen Union gab es gemeinsame Diskussionen.
Aufklärungsarbeit geleistet
Der Zuspruch kam häufiger von auswärts als von den Leuten aus der Stadt. Die Anfangsthemen waren vor allem der Nato-Doppelbeschluss und die Gefahr für die Region durch atomare Waffen. Bis heute wundern sich die Frauen, dass es in der Bevölkerung so wenig Sorge darüber gab, dass in der Rhön und in Osthessen die strategischen Planungen davon ausgingen, dass im Falle eines Krieges genau hier die Truppen des östlichen und westlichen Bündnisses aufeinandertreffen könnten mit verheerenden Folgen für die Region.
"Wir haben richtig Aufklärung gemacht", berichtet Anita Dietz-Spies. Die Frauen erinnern sich an Podiumsdiskussionen, die von der Gruppe organisiert wurden oder an die Ostermärsche, die sie mit vorbereitet hatte.
Als Gorbatschow an die Macht kam, schien auch für die Münnerstädter Gruppe der Weltfrieden endlich sicherer. Man war beruhigter. Die Friedensarbeit der Anfangsjahre sei überall eingeschlafen. Auch die Münnerstädterinnen vertrauten auf eine neue, friedvollere Politik.
Einsatz für die Umwelt
Die Themenschwerpunkte richteten sich somit zunehmend auf die Geschehnisse vor Ort. Und diese könnten heute nicht aktueller sein. Mit den Hauseigentümern kämpften die Frauen dafür, dass installierte Sonnenkollektoren trotz Altstadtsatzung auf den Dächern verbleiben konnten. In einer Umweltwoche prangerten sie die Abfallflut an und zeigten Alternativen auf.
Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl engagierte sich die Gruppe für betroffene Familien und holte Kinder zu Ferienaufenthalten nach Münnerstadt und Umgebung. Die Frauen starteten Aktionen gegen die Ansiedlung von Spielhallen in Innenstädten .
Eine wichtige Aufgabe wurde die örtliche Flüchtlingshilfe . Für die Asylbewerber wurden Ausflüge organisiert. Christine Müller, dann schon Kreis- und Bezirksrätin, versuchte, wo es ging, Einfluss zu nehmen, damit die Lebensbedingungen von Flüchtlingen vor Ort verbessert werden.
Positive Bilanz über die Jahre
"Es gab ganz viel Gutes", zieht Anita Dietz-Spies eine positive Bilanz der vergangenen Jahrzehnte. Beide Frauen sprechen von vielen schönen Momenten, die sie in dieser Gemeinschaft erleben durften. Männer aufzunehmen war übrigens immer mal wieder diskutiert worden. "Aber letztlich waren wir uns immer einig, dass wir eine Frauengruppe sind", so Christine Müller.
Wenig erfolgreich war dagegen eine Weihnachtsaktion. Kinder konnten ihr Kriegsspielzeug gegen andere Spielsachen eintauschen. "Das ist völlig in die Hose gegangen", erzählt Anita Dietz-Spies. Die Kinder wollten nicht tauschen.
Der harte Kern trifft sich noch heute wöchentlich, wenn auch mehr zum persönlichen Gespräch. Doch als der Krieg in der Ukraine begann, organisierten die Frauen auf dem Marktplatz eine Mahnwache. Denn dieser Krieg macht sie fassungslos.
Bisher wenig Nachwuchs bei "Frauen stiften Frieden"
Christine Müller kennt Butscha, war selbst viele Male dort für die Tschernobylhilfe und sie hat noch immer Bekannte in der zerstörten Stadt. Beide sind erschüttert vom Ausmaß der Gewalt, vor allem auch gegen Frauen. Die Münnerstädterinnen beobachten mit Sorge, dass der Krieg nun auch hierzulande Fronten schafft - zwischen Putinverstehern und ukrainischen Flüchtlingen.
Hier sehen sie aktuell eine wichtige Aufgabe der Friedensarbeit und hoffen, dass Gespräche auch Versöhnung bewirken können.
Nachwuchs gibt es bei der Gruppe "Frauen stiften zum Frieden an" jedoch nicht. Auch bei der Mahnwache im März waren kaum junge Leute vertreten. So gehen die beiden Frauen derzeit davon aus, dass wohl niemand das Erbe der Gruppe weitertragen wird. Die Hoffnung ist aber, dass eine neue Generation eigene Formen für künftige Friedensarbeit entwickelt.