Bad Kissingen
Wie hätten Sie denn entschieden?
Muss ein Kampfpilot der Bundeswehr bestraft werden, der ein entführtes Passagierflugzeug abschießen, das auf ein Fußballstadion zurast?
Unschuldig schuldig sind seit deren Erfindung im alten Griechenland Helden wie Ödipus oder Antigone in der großen Tragödie. Sie werden wie 2000 Jahre später Hamlet und König Lear für ihre Schuld mit dem Tode bestraft, auch wenn sie in diese durch ein unausweichliches Dilemma getrieben wurden. Für den Major der Bundesluftwaffe Lars Koch führt 2400 Jahre später seine Entscheidung, 164 unschuldige Personen zu opfern, um 70 000 Menschenleben zu
retten, in den Mordprozess gegen ihn in der Großen Strafkammer am Schwurgericht. Der Autor Ferdinand von Schirach, gelernter Strafverteidiger und bestens vertraut mit dem Thema Gericht, hat mit seinem 2015 uraufgeführten Erfolgsstück "Terror" genau diese Tragik in eine heutige Geschichte übertragen, die allen auf den Nägeln brennt.
Was von Schirach zeigt, ist ein Gerichtsverfahren mit dem notwendigen Personal: Angeklagter, Richter, Staatsanwältin und Strafverteidiger, dazu ein Zeugen und eine Nebenklägern. Gerichtsverhandlungen sind mit ihren ritualisierten Prozeduren und genau festgelegten Handlungsabläufen auch im richtigen Leben eine meist sehr spannende Angelegenheit, denn genau in dieser starren Ordnung entwickelt sich in spannender Rede und Gegenrede unsere oft die undurchsichtige Wirklichkeit. Und die wird in unseren Tagen nicht mehr von offenen Schlachten bestimmt, sondern von dem schleichenden, manchmal allgegenwärtig scheinenden Gift des Terrors, des Angriffs auf arglose Menschen.
Oder Fußballfans in der vollen Münchner Allianz-Arena beim Länderspiel, auf die ein Terrorist eine entführte Passagiermaschine zurasen lässt.
Hier wird der Luftwaffenmajor Koch in die Rolle eines antiken Helden gestellt, der völlig allein entscheiden muss, ob er die Maschine abschießt oder den Terroristen zu seinem Ziel gelangen lässt. Er opfert die Passagiere und - das ist Teil des Stücks - die Zuschauer sollen als Schöffen entscheiden, ob er dafür lebenslänglich ins Gefängnis gehen soll oder freigesprochen wird.
Die Kissinger Zuschauer entschieden mit 127 Stimmen dafür und 237 Stimmen dagegen, dass Koch "schuldig" gesprochen wurde, und schlossen sich damit der Mehrheit aus 163 492 Schöffen bei allen bisherigen Aufführungen, die zu 59,9% auf Freispruch plädierten.
Die Abstimmung der Zuschauer entscheidet, der Richter folgt in Urteil und Urteilsbegründung ihrem Ergebnis, denn Autor von Schirach stellt dafür zwei Textfassungen für den Schluss zur Verfügung.
So rückt die Gerichtshandlung dem Publikum sehr nahe auf die Pelle. Regisseur Thomas Goritzky arbeitete mit genauer Personenregie daran, seine Akteure trotz der Einschränkungen durch die Rollenstereotype eines Gerichtsverfahrens als klar umrissene Individuen erscheinen zu lassen.
So war Johannes Brandrup ein immer wieder irritierter, leicht fahriger Vorsitzender, ließ sich Zeit beim Wühlen in den Akten und überspielte mit viel Gefasstheit seinen Ärger über das Zuspät-Kommen des Strafverteidigers Biegler und dessen ironische Kommentare zu den Gepflogenheiten des Prozesses. Mitgefühl beim Verhör der Nebenklägerin, deren Mann im Flugzeug umkam, oder leichte Missbilligung bei der Frage des Zeugen Lauterbach nach seinem
Zeugengeld deutete er nur an, wirkte in seinem Bemühen um Objektivität absolut plausibel. Den Zeugen Oberstleutnant Christian Lauterbach spielte Peter Donath als grimmigen, seiner untadeligen Amtsführung bewussten Vertreter der Bundeswehr, der immer wieder deutlich machte, dass sich Major Koch gegen jegliche von ihm übermittelten Verbote des Abschusses durch alle Vorgesetzten auf Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht klar definierten Rechtslage völlig bewusst
hinwegsetzte.
Lediglich der Hinweis der Staatsanwältin, dass man Koch sein Dilemma hätte ersparen können, wenn Lauterbach veranlasst hätte, dass das Stadion geräumt worden wäre, bringt ihn etwas aus seiner selbstgerechten Haltung. Die Nebenklägerin Franziska Meiser gab Tina Rottensteiner als selbstbewusste junge Frau, die es nicht verwinden kann, dass ihr Mann geopfert
wurde, obwohl er ihr per SMS mitgeteilt hatte, dass die Passagiere das Cockpit stürmen könnten, und die noch immer nicht wahrhaben kann, dass ihr Mann tot ist.
Für die Rollen der beiden Hauptkombattanten im Prozess, Staatsanwalt und Verteidiger, nutzte der Regisseur viele Möglichkeiten, die irgendwie an Gerichtsszenen in Film und Fernsehen erinnerten, wie die
Nachlässigkeit, Unkonventionalität und Unverschämtheit des Strafverteidigers Biegler, bei dem Christoph Schlemmer den durchaus gut argumentierenden, aber auch vom Problem seines Mandanten distanzierten juristischen Fürsprecher gab. Als seine Gegenspielerin Nelson von der Staatsanwaltschaft trumpfte Annett Kruschke lautstark, fast exaltiert und raumgreifend auf und bemühte die gesamte europäische Geistes- und Justizgeschichte, um ihre Forderung nach
"Lebenslänglich" vehement zu untermauern. Christian Meyer als der Angeklagte Lars Koch blieb bei all dem das ruhende Kraftzentrum, da er sowohl sein übermächtiges Schuldbewusstsein angesichts der toten Passagiere , als auch seine Überzeugung von der Richtigkeit seines Handelns durch den Eindruck der erzwungenen Passivität eines Machers und der von ihm akzeptierten Notwendigkeit der Bestrafung durch eine ebenso subtile wie genaue Körpersprache ausdrückte.
Die unmittelbare Einbeziehung der Zuschauer und der Eindruck der unmittelbaren Teilhabe an dem Geschehen sorgten während der Aufführung für gespannte Stille im Raum. Am Ende dieses eindrucksvollen Theatererlebnisses gingen die Diskussionen noch lange nach dem immer wieder aufbrausenden Schlussapplaus weiter; Beweis für die Aktualität des Themas, die ausgezeichnete Aufbereitung durch das Regieteam und die packende Darstellung der engagiert agierenden Truppe von Euro-Studio Landgraf.
Was von Schirach zeigt, ist ein Gerichtsverfahren mit dem notwendigen Personal: Angeklagter, Richter, Staatsanwältin und Strafverteidiger, dazu ein Zeugen und eine Nebenklägern. Gerichtsverhandlungen sind mit ihren ritualisierten Prozeduren und genau festgelegten Handlungsabläufen auch im richtigen Leben eine meist sehr spannende Angelegenheit, denn genau in dieser starren Ordnung entwickelt sich in spannender Rede und Gegenrede unsere oft die undurchsichtige Wirklichkeit. Und die wird in unseren Tagen nicht mehr von offenen Schlachten bestimmt, sondern von dem schleichenden, manchmal allgegenwärtig scheinenden Gift des Terrors, des Angriffs auf arglose Menschen.
Gerechtfertigtes Opfer?
Oder Fußballfans in der vollen Münchner Allianz-Arena beim Länderspiel, auf die ein Terrorist eine entführte Passagiermaschine zurasen lässt.
Hier wird der Luftwaffenmajor Koch in die Rolle eines antiken Helden gestellt, der völlig allein entscheiden muss, ob er die Maschine abschießt oder den Terroristen zu seinem Ziel gelangen lässt. Er opfert die Passagiere und - das ist Teil des Stücks - die Zuschauer sollen als Schöffen entscheiden, ob er dafür lebenslänglich ins Gefängnis gehen soll oder freigesprochen wird.
Die Kissinger Zuschauer entschieden mit 127 Stimmen dafür und 237 Stimmen dagegen, dass Koch "schuldig" gesprochen wurde, und schlossen sich damit der Mehrheit aus 163 492 Schöffen bei allen bisherigen Aufführungen, die zu 59,9% auf Freispruch plädierten.Die Abstimmung der Zuschauer entscheidet, der Richter folgt in Urteil und Urteilsbegründung ihrem Ergebnis, denn Autor von Schirach stellt dafür zwei Textfassungen für den Schluss zur Verfügung.
Kein Ausweg für das Publikum
So rückt die Gerichtshandlung dem Publikum sehr nahe auf die Pelle. Regisseur Thomas Goritzky arbeitete mit genauer Personenregie daran, seine Akteure trotz der Einschränkungen durch die Rollenstereotype eines Gerichtsverfahrens als klar umrissene Individuen erscheinen zu lassen.
So war Johannes Brandrup ein immer wieder irritierter, leicht fahriger Vorsitzender, ließ sich Zeit beim Wühlen in den Akten und überspielte mit viel Gefasstheit seinen Ärger über das Zuspät-Kommen des Strafverteidigers Biegler und dessen ironische Kommentare zu den Gepflogenheiten des Prozesses. Mitgefühl beim Verhör der Nebenklägerin, deren Mann im Flugzeug umkam, oder leichte Missbilligung bei der Frage des Zeugen Lauterbach nach seinem
Zeugengeld deutete er nur an, wirkte in seinem Bemühen um Objektivität absolut plausibel. Den Zeugen Oberstleutnant Christian Lauterbach spielte Peter Donath als grimmigen, seiner untadeligen Amtsführung bewussten Vertreter der Bundeswehr, der immer wieder deutlich machte, dass sich Major Koch gegen jegliche von ihm übermittelten Verbote des Abschusses durch alle Vorgesetzten auf Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht klar definierten Rechtslage völlig bewusst
hinwegsetzte.
Hinweise auf einen Ausweg
Lediglich der Hinweis der Staatsanwältin, dass man Koch sein Dilemma hätte ersparen können, wenn Lauterbach veranlasst hätte, dass das Stadion geräumt worden wäre, bringt ihn etwas aus seiner selbstgerechten Haltung. Die Nebenklägerin Franziska Meiser gab Tina Rottensteiner als selbstbewusste junge Frau, die es nicht verwinden kann, dass ihr Mann geopfert
wurde, obwohl er ihr per SMS mitgeteilt hatte, dass die Passagiere das Cockpit stürmen könnten, und die noch immer nicht wahrhaben kann, dass ihr Mann tot ist.
Profilierte Kontrahenten
Für die Rollen der beiden Hauptkombattanten im Prozess, Staatsanwalt und Verteidiger, nutzte der Regisseur viele Möglichkeiten, die irgendwie an Gerichtsszenen in Film und Fernsehen erinnerten, wie die
Nachlässigkeit, Unkonventionalität und Unverschämtheit des Strafverteidigers Biegler, bei dem Christoph Schlemmer den durchaus gut argumentierenden, aber auch vom Problem seines Mandanten distanzierten juristischen Fürsprecher gab. Als seine Gegenspielerin Nelson von der Staatsanwaltschaft trumpfte Annett Kruschke lautstark, fast exaltiert und raumgreifend auf und bemühte die gesamte europäische Geistes- und Justizgeschichte, um ihre Forderung nach
"Lebenslänglich" vehement zu untermauern. Christian Meyer als der Angeklagte Lars Koch blieb bei all dem das ruhende Kraftzentrum, da er sowohl sein übermächtiges Schuldbewusstsein angesichts der toten Passagiere , als auch seine Überzeugung von der Richtigkeit seines Handelns durch den Eindruck der erzwungenen Passivität eines Machers und der von ihm akzeptierten Notwendigkeit der Bestrafung durch eine ebenso subtile wie genaue Körpersprache ausdrückte.
Anhaltende Diskussionen
Die unmittelbare Einbeziehung der Zuschauer und der Eindruck der unmittelbaren Teilhabe an dem Geschehen sorgten während der Aufführung für gespannte Stille im Raum. Am Ende dieses eindrucksvollen Theatererlebnisses gingen die Diskussionen noch lange nach dem immer wieder aufbrausenden Schlussapplaus weiter; Beweis für die Aktualität des Themas, die ausgezeichnete Aufbereitung durch das Regieteam und die packende Darstellung der engagiert agierenden Truppe von Euro-Studio Landgraf.Themen & Autoren / Autorinnen