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Bad Kissingen
Wie die vier "Faurés" gestandene Komponisten von ihrem Sockel geholt haben
Mit kreativer Respektlosigkeit gegenüber Beethoven und Brahms überraschte das Fauré-Quartett das Publikum.
Das Fauré-Quartett entschied sich 1995, sein Leben mit Klavierquartett zu sichern. Das war mutig und riskant.       -  Das Fauré-Quartett entschied sich 1995, sein Leben mit Klavierquartett zu sichern. Das war mutig und riskant.
Foto: Gerhild Ahnert | Das Fauré-Quartett entschied sich 1995, sein Leben mit Klavierquartett zu sichern. Das war mutig und riskant.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 20.08.2022 15:11 Uhr

Als 2001 das erste Mal beim Kissinger Sommer zu Gast war, war es auf dem Weg nach oben. Erika Geldsetzer (Violine) Sascha Frömbling (Viola), Konstantin Heidrich (Violoncello) und Dirk Mommertz (Klavier) hatten sich 1995 an der Kölner Musikhochschule zusammengefunden und nach einem gemeinsamen Studium unter anderem beim Alban-Berg-Quartett und nach erfolgreichen Teilnahmen an internationalen Wettbewerben (unter anderem beim Deutschen Musikrat) die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam gemacht.

Und als sie dann im Salon am Schmuckhof Mendelssohn und Fauré spielten, dachte man sich: Doch, aus denen kann durchaus etwas werden. Aber garantieren wollte man es nicht. Jetzt, viele Jahre später, weiß man: Das Fauré-Quartett ist wirklich ganz oben angekommen.

Die Entscheidung von 1995, sein Leben mit Klavierquartett zu sichern, war durchaus mutig und riskant. Denn die Nachfrage nach diesen Quartetten ist nicht allzu groß. Die Komponisten haben nicht allzu viel Material geliefert, und die Veranstalter sahen keine allzu guten Vermarktungschancen. Klavierquartett gilt auch heute noch nicht überall als cool. Umso wichtiger und richtiger war es, dass die Vier an ihrer Entscheidung festgehalten haben.

Man darf aber auch nicht übersehen, dass sie einen enormen Vorteil haben: Klavierquartette , die heute in den Konzertsälen und auf Festivals auftreten, sind - mangels Alternativen - sehr oft Ad-hoc-Ensembles: vier möglichst bekannte oder "hochkarätige Leute", die zufällig am selben Ort ein bisschen Zeit haben und die sich gut auf den Plakaten machen - möglichst noch mit dem Aufdruck: "zum ersten Mal gemeinsam!" Nicht unbedingt eine Empfehlung. Natürlich kann da großartige Musik herauskommen, aber sie wird frei sein von Überraschungen.

Da haben die vier "Faurés" halt den Vorteil, dass sie sich seit 27 Jahren kennen, dass sie nicht nur regelmäßig gemeinsam proben und konzertieren, sondern dass sie auch Zeit haben, der Musik auf den Grund zu gehen, zu experimentieren und wieder zu verwerfen, Sichtweisen auf die Musik zu entwickeln, die wirklich neu sind - wie das bei etablierten Streichquartetten ja auch immer wieder gelingt. Weil sie halt wirklich Überraschungen bieten können.

Wie jetzt im Rossini-Saal, und dann ausgerechnet mit Beethoven , mit seinem Klavierquartett Es-dur op. 16. Da neigt man in dem einleitenden Grave gerne dazu, daraus eine pathetische Intrade zu machen, die dem eigentlichen Hauptsatz nur vorannschreitet. Bei den Faurés klang das ein bisschen lockerer, fragender, als würde die Musik selbst auf das Hauptthema warten und in verschiedene Richtungen sondieren. Und als es dann im Allegro im Klavier wirklich kommt, geradezu erleichtert loszulegen.

Der langsame Mittelsatz war wunderbar, aber nicht süßlich gesungen. Und im dritten Satz, dessen Rondothema jagdliche Anklänge hat, hörte man mal in der Nähe, mal in der Ferne die bunten Haufen vorüberreiten. Beethoven und Gute-Laune-Musik bringt man eigentlich nicht so ohne weiteres zusammen, aber hier funktionierte das bestens. Eine derart kreative Respektlosigkeit erlebt man bei ihm eher selten.

Ein etabliertes Klavierquartett kann es sich auch mal leisten, ein Werk zu spielen, das so gut wie nie in die Programme kommt wie das Klavierquartett Nr. 1 von Josef Suk , und das ist eigentlich schade. Natürlich, wenn man Beethoven gerade derart inspiriert und feurig gehört hat, tut sich der Spätromantiker Suk ein bisschen schwer, dagegen anzutönen. Er hatte durchaus Sinn für dramatische Effekte, aber er war in seinen expressiven Möglichkeiten nicht ganz so weit wie ein Beethoven oder anschließend ein Brahms .

Aber die Faurés schafften es, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, etwa in der Darstellung des Konfliktpotenzials zwischen Klavier und Streichern oder in starken dynamischen Kontrasten, die die Strukturen der Musik plastisch offenlegten. Plötzlich merkte man, was alles in dieser Musik drinstecken kann, wenn man sie ernst nimmt.

Johannes Brahms erging es nicht besser als vorher Beethoven . Er wurde gnadenlos entstaubt, entromantisiert und vom Sockel der Unnahbarkeit geholt. Auch hier wurde kein einziger Takt zelebriert oder pathetisiert; auch hier wurden emotionale Tiefen ausgelotet und weite Spannungsbögen gelegt.

Stand man im ersten und zweiten Satz noch vor der Erkenntnis, dass man auch bei Brahms immer mal schmunzeln kann, dass seine Musik gar nicht so "scher" ist, wie sie gerne gemacht wird, konnte man im abschließenden Rondo alla Zingarese wirklich nur noch staunen, wie schnell und trotzdem plausibel gestaltend vier Musiker spielen können, die sich in jedem Ton kennen. Ein phänomenaler Schluss. Der olle Brahms wäre vielleicht zunächst etwas irritiert gewesen, denn er hatte nur Presto und nicht Prestississimo drübergeschrieben. Aber dann hätte er sich auch gefreut.

Als Zugabe spielte das Quartett vom "Chef", von Gabriel Fauré , das Lied "Notre amour". Naja, sehr schön, aber halt französisch.

 
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