
Das war er dann also schon wieder, der Kissinger Sommer 2024, der, wie seiner 37 Vorgänger, zu Beginn als nicht enden wollend erschien und am Ende überraschend plötzlich verschwand. Begangen wurde das Finale mit einer Premiere: Zum ersten Mal gastierte das Mozarteumorchester Salzburg beim Kissinger Sommer im Max-Littmann-Saal und zeigte zum Schluss ganz gegen das diesjährige Motto, dass es tatsächlich nicht nur Berlin ist, wo die Koffer stehen.
Das Mozarteumorchester Salzburg
Am Pult stand der Engländer Trevor Pinnock, der vor vielen Jahren, also noch im letzten Jahrhundert, mit dem von ihm 1972 gegründeten „The English Concert“, einem Spezialensemble für Alte Musik, schon einmal mit einem Barockprogramm gastiert hat. Solist war der 29-jährige, aber bereits weltweit gefeierte kanadische Pianist Jan Lisiecki, auch er kein Unbekannter im Kissinger Sommer .
Felix Mendelssohn-Bartholdys „Hebriden-Ouvertüre“ war ein schöner Start in das Konzert, weil es die Freude eines Aufbruchs mit der Dramatik und Gefahr der meerumtosten Felsen der Inseln verbindet – also reichlich Stoff für Kontraste und Spannung.
Viele junge Musiker
Aber es zeigte auch zwei Probleme, von denen das erste eigentlich gar keines ist. Wer in das Orchester schaute, konnte ein erstaunlich niedriges Durchschnittsalter erkennen – oder halt viele junge Leute. Das ist nicht im Geringsten eine Kritik, sondern zeigt eine gute Sache.
Vor allem in der Urlaubszeit setzten die Orchester gerne ihre Akademisten – wenn sie denn welche haben – ein, nicht nur um Personallücken unkompliziert zu füllen, sondern auch ganz im Sinne ihres Ausbildungszieles: die bestens ausgebildeten jungen Leute an die Eigenheiten und Anforderungen der Orchesterarbeit heranzuführen und sie zu integrieren.
Herausforderungen der Praxis
Das merkte man ein bisschen am Klang. Nicht dass es falsche Töne gab oder Defizite in der Virtuosität – das ganz bestimmt nicht oder auch nicht mehr als sonst. Da geht es um Konzentration und um die präzisen Tonlängen bei den Streichern und Bläsern und damit um Sekundenbruchteile.
Denn unterschiedliche Längen machen die Töne nicht falsch, aber weich – die Konturenschärfe lässt ein bisschen nach. Schöne Musik ist das trotzdem. Und es ist richtig und wichtig, den Nachwuchs immer wieder in die Herausforderungen der Praxis zu schicken – auch in die besonderen eines Festivalabschlusses.
Das Problem: Trevor Pinnock
Das eigentliche Problem war Trevor Pinnock. Man kann ihm nicht – und will es auch nicht – seine enormen Verdienste um die Alte Musik kleinreden. Da funktioniert das Dirigieren vom Cembalo oder einem anderen Tasteninstrument aus mit der Körpersprache, denn die Hände sind beschäftigt.
Am Pult eines klassischen Orchesters sind sie frei und könnten viel für die Gestaltung tun. Aber Pinnock, der seine Hände fast durchgehend in Kopfhöhe und höher hielt und parallel bewegte, schlug fast nur den Takt und gab Einsätze – mitunter auch da, wo bereits gefiedelt oder getutet wurde.
Was er überhaupt nicht praktizierte, war das vorauseilende Dirigieren, das die Musiker einfach mitnimmt und das dadurch Spannung schafft. So war die Ouvertüre zwar klangschön, aber nicht mitreißend.

Der Solist Jan Lisiecki
Das Problem setzte sich fort bei Ludwig van Beethovens 1. Klavierkonzert C-Dur op, 15. Aber da ist erst vom Solisten zu reden. Jan Lisiecki spielte seinen Part mit ganz erstaunlicher Frische, zupackend, manchmal ein bisschen krawallig.
Beethoven hätte seine helle Freude gehabt, denn war ja nach Wien gekommen, um die Wiener aus ihrer vor allem behaglichen Unterhaltungsmusik herauszutreiben und ihnen allmählich die neue Subjektivität um die Ohren zu hauen.
Lisiecki spielte mit einem ganz klaren Anschlag, mit einem guten Pedalmanagement, mit plastisch gestalteten Übergängen und schönen dynamischen Kontrasten. Und da er sich offenbar von Trevor Pinnock nicht allzu viel erwartete, trat er in direkten Blickkontakt mit dem Orchester, um so zu wunderschönen Dialogen – vor allem im zweiten Satz – zu kommen.

Noch ein Extrakompliment
Seine Skepsis gab ihm recht. Denn Trevor Pinnock war zu sehr mit seinen Noten beschäftigt, um das Zusammenspiel nicht nur rhythmisch, sondern auch dynamisch zu organisieren. Er schaffte es nicht, es zum kreativen Provokateur des Solisten zu machen und eine sinnvolle Balance zu schaffen.
Im zweiten Satz war das lange Pizzicato aller Streicher so leise, dass es hinter dem nur mezzoforte spielenden Klavier – bis auf die durchsetzungsfähigen tiefen Kontrabasstöne nicht zu hören war. Man konnte das Zupfen nur sehen.
Und dann doch noch ein Extrakompliment an Jan Lisiecki. Er spielte, was völlig unüblich geworden ist, eine eigene, lange Kadenz, aus dem Geist Beethovens auf seine Ideen und Möglichkeiten zugeschnitten. Und als Zugabe spielte er – na was wohl?: Frédéric Chopins „Regentropfenprélude“ op. 28/15. Eine Wiederholung der Kadenz wäre mindestens genauso schön gewesen.
Ein passender Abschluss
Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551, die „Jupiter-Sinfonie“, die Letzte, die er geschrieben hat, war genau der passende Abschluss für das Festival. Und die Salzburger lieferten eine absolut schlüssige Interpretation aus einem Guss, mit starken Charakterisierungen.
Natürlich ist es Unsinn, das Werk als „Vermächtnissinfonie“ zu bezeichnen, denn drei Jahre vor dem 5. Dezember 1791 dachte Mozart keineswegs an seinen Tod. Aber die Salzburger machten deutlich, wie es zu dem Titel kommen konnte.
Die Strukturen waren bestens hörbar, die Themen plastisch gezeichnet und konfrontiert, die Dynamik war ausgesprochen spannend. Und die bestens disponierten Bläser machten eindrucksvoll deutlich, dass sie mit dieser Sinfonie zu einer neuen und wichtigen gestaltenden Kraft im Orchestergefüge geworden waren.
Die viel gespielte Sinfonie
Offenbar spielen die Salzburger die Sinfonie gerne und oft, denn es gab keinerlei Zögern. Trevor Pinnock war da ein bisschen marginalisiert. Oder anders gesagt: Wenn er es gewesen wäre, der die Sinfonie in dieser Qualität mit dem Orchester erarbeitet hat, dann hätte er wenigstens ein paar Mal seinen Blick von der Partitur weg auf das Orchester richten können.
Aber das war ja auch nicht nötig. Die Zugabe war vermutlich ein Vorschlag des Orchesters: Franz Schuberts Entr'acte Nr. 3, B-Dur aus der Schauspielmusik zu Helmina de Chézys „Rosamunde“. Es lief wie geschmiert.
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