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Kothen
Werberg bleibt doch Heimat
Jedes Jahr gibt es ein Treffen ehemaliger Dorfbewohner aus dem abgesiedelten Ort. Manche würden sofort wieder herziehen, wenn das ginge.
Wo die Schwestern Cornelia Sturm und Anneliese Bolte einst ihre Kindheit verbrachten, wachsen heute nur Gestrüpp und Brennnesseln. Vor ihrem geistigen Auge sehen sie noch Apfel- und Kirchbäume, den Stall und die Haselnusssträucher von einst.       -  Wo die Schwestern Cornelia Sturm und Anneliese Bolte einst ihre Kindheit verbrachten, wachsen heute nur Gestrüpp und Brennnesseln. Vor ihrem geistigen Auge sehen sie noch Apfel- und Kirchbäume, den Stall und die Haselnusssträucher von einst.
| Wo die Schwestern Cornelia Sturm und Anneliese Bolte einst ihre Kindheit verbrachten, wachsen heute nur Gestrüpp und Brennnesseln.
Stephanie Elm
 |  aktualisiert: 18.08.2022 19:00 Uhr
"Werberg bleibt Werberg, auch wenn keine Häuser mehr da stehen", sagt Anneliese Bolte voller Inbrunst und Überzeugung. Sie war aus Oldenburg angereist, um ihren Geburtsort wieder zu sehen. Obwohl sie ihn mit ihren Eltern und Geschwistern 1963 verlassen hatte, sind die Erinnerungen wach geblieben: "Es ist, als wäre es gestern, als ich dem Lehrer jeden Morgen eine Flasche warme Milch bringen musste - und deshalb zu spät zum Unterricht kam". Geschichten über Geschichten sprudeln aus ihr heraus über einen Ort, der seit über 50 Jahren Geschichte ist. Für Anneliese Bolte bleibt er jedoch Heimat : "Wenn man hier ein Haus bauen könnte, ich wäre die erste, die den Vertrag unterschreibt". Auch ihre Schwester Cornelia Sturm, die sich nach der Absiedlung in Kothen niedergelassen hat, würde lieber heute als morgen wieder zurückziehen.
Den Standort ihres ehemaligen Wohnhauses Nr. 33 besuchten die beiden Schwestern. Heute ist er überwuchert von Brennnesseln und Gestrüpp, doch die beiden sehen noch die Apfel- und Kirchbäume, den Stall und die Haselnusssträucher vor ihrem geistigen Auge.
Völlig neue Bilder und Impressionen sahen viele Besucher in den Führungen. Isabelle Geck und Matthias Elm zeigten den Besuchern die bewegte Vergangenheit des ehemaligen Rhöndorfes. Um das Grenzgebiet gegen Angriffe aus dem Würzburger Raum zu verteidigen, wurde die Burg Werberg im 11. Jahrhundert auf dem noch heute zu sehenden Basaltsockel errichtet, die erste urkundliche Erwähnung erfolgte 1327. Im Umfeld der Burg entstand eine neue Siedlung - die Anfänge von Werberg. Doch wurden Ritter Ende des 13. Jahrhunderts überflüssig, Werberg wurde zum Raubritternest, die Burg 1444 zerstört. Von dem Basaltfelsen böte sich auch heute noch eine gute Weitsicht in alle Richtungen, wäre das ehemalige Dorfareal nicht von hohen Bäumen zugewachsen. Vor 80 Jahren wurde Werberg zum ersten Mal abgesiedelt. In den 30er Jahren bestand Werberg aus 270 Einwohnern, 50 Häusern, eigener Schule, Kirche und Kolonialwarenladen. Dass die Werberger ihre Häuser verkaufen und verlassen mussten, sei mit "gemischten Gefühlen" empfunden worden, berichtet Matthias Elm. Zwar seien die Hausbesitzer "nicht billig abgespeist worden", doch - und das wog oft schwerer - "es ging um die Heimat , die Leute wurden entwurzelt".
Der Truppenübungsplatz "Hohe Rhön" wurde eingerichtet. Im Februar 1938 fiel bereits der erste Schuss, bis zum 15. April des Jahres lebten in Werberg noch Menschen. Sofort nach deren Wegzug wurde in dem Rhöndorf die Infrastruktur für die Unterbringung von Soldaten gebaut, ab 1942 wurden 16- bis 17-jährige Kinder im Wehrertüchtigungslager, zu dem Werberg geworden war, für den Krieg vorbereitet. Von der schlimmen Zeit, die die Jugendlichen dort verbrachten, zeugten deren Sprüche, die bei der Wiederbesiedlung 1946 noch an Wänden zu lesen waren: "Werberg - das Grab meiner Jugend".
Für diese Kriegsvorbereitungen mussten die Einwohner "gewaltsam ihre Heimat verlassen", so Isabelle Geck in ihrer Ansprache auf dem Werberger Friedhof. Doch werde Werberg einmal im Jahr wieder zu "einem blühenden Ort". Diakon Donald Löw segnete Gräber und Kreuze auf der Gedenkstätte erneut. Bei seinem ersten Besuch der Friedhöfe auf dem Truppenübungsplatz sei ihm bewusst geworden: "Hier ist etwas, das bleiben muss, sonst ist unsere Zukunft verbaut".
Etwas über 120 Besucher hatten den Weg in das abgesiedelte Werberg gefunden, deutlich weniger als im vergangenen Jahr, womit die Organisatoren jedoch auf Grund der Terminverschiebung gerechnet hatten. Traditionell war das Werberger Treffen bislang immer am letzten Samstag im Juni abgehalten worden. Zudem fanden heuer zeitgleich die Wandertage auf dem Truppenübungsplatz statt, dies soll ab dem nächsten Jahr vermieden werden. Dauerhaft soll ab 2019 das Werberger Treffen am jeweils vorletzten Samstag im Juli angesetzt werden, dem ersten Samstag in der übungsfreien Zeit der Bundeswehr in Wildflecken.
Geblieben war der traditionelle Ausklang an der Werberger Stube. Wer diese nun betrat, wähnte sich in einer anderen Welt. "Überrascht, aber sehr positiv" seien die Reaktionen gewesen, denn gerade der erste Raum des kleinen Museums hatte in der pünktlich abgeschlossenen Umgestaltung die deutlichsten Veränderungen erfahren. Geräumiger und offener ist er geworden, großflächige Bilder und Informationstafeln ergänzen bisherige Ausstellungsstücke. Die Zweite Bürgermeisterin von Motten, Ute Becker, zeigte sich "beeindruckt" von dem neuen Erscheinungsbild des Museums. Wird in diesem "Erinnerungsraum I" die Geschichte bis zur ersten Absiedlung 1938 behandelt, schließt sich im "Erinnerungsraum II" das Geschehen vom Zweiten Weltkrieg über die zweite Absiedlung bis heute an. Ein zusätzlicher Raum wurde hierfür vom Kothener Kindergarten zur Verfügung gestellt, hatte doch Familie Sturm, die sich seit drei Jahren um die Werberger Stube kümmert, den Platzmangel beklagt. Das Organisationsteam hatte seit Ende vergangen Jahres den neuen Raum mit einem Holzboden versehen, die Decke neu verputzt und das Gesamtkonzept modernisiert.
 
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