Das Theater Schloss Maßbach ist zurück in seiner angestammten Heim- und Spielstätte, im Intimen Theater. Auch wenn sich in den Zeiten des Lockdowns und der Corona-Restriktionen die für den Theaterbetrieb hergerichtete Lauertalhalle als höchst praktikabel erwies, war doch so etwas wie Erleichterung und Freude zu spüren, schon beim "Einstieg" in den kleinen Zuschauerraum, aber vor allem, als sich der Vorhang öffnete.
Mit der Komödie "Der Vorname" ("Le prénom") der beiden Franzosen Mathieu Delaporte und Alexandre de la Patellière begann die neue Spielzeit. Seine gefeierte Uraufführung erlebte das Werk im Oktober 2010 am Pariser Théâtre Edouard VII. In Deutschland ist das Stück spätestens 2018 in der Verfilmung von Sönke Wortmann populär geworden.
Französischer Humor
Kein Wunder. Denn das ist mal wieder so ein Stück, bei dem man sich wundert, woraus man alles eine Komödie machen kann. Und auch noch mit französischem Humor . Ohne jedes "Louis-de-Funès-Gezappel", aber trotzdem mit enormem Tempo. Ohne Tür-raus-Tür-rein-Geknalle, sondern höchst pointierten, geistreichen Dialogen zwischen Philosophie und Beleidigung. Mit einer Situation, über die man herzlich bis schadenfroh lachen kann, in der man aber um Himmels willen nicht selbst stecken will. Denn schließlich geht es auch um den Bruch von Tabus, die durchaus in das eigene Leben hineinreichen.
Worum geht's? Auf der Gartenterrasse des Literaturprofessors Pierre Garaud und seiner Frau Elisabeth im besser betuchten Teil des Pariser Westens finden sich zum nachmittäglichen Absacker drei Freunde bzw. Verwandte ein: der Musiker Claude Gatignol, ein Jugendfreund von Elisabeth, sowie ihr Bruder, der Investmentbanker Vincent Larchet. Dessen Lebensgefährtin Anna Caravati stößt erst etwas später dazu.
Selbstdarsteller startet die hitzige Diskussion
Das kommunikative Geplätscher nimmt plötzlich Fahrt auf, als sich Vincent in den Mittelpunkt drängt. Er ist ein Selbstdarsteller, der seine Mitmenschen gerne das ganze Jahr über mit makabren Aussagen in den April schickt und sich an ihrem Entsetzen ergötzt. Er habe eine gute und eine schlechte Nachricht: Anna sei im sechsten Monat schwanger- aber: Das Kind sei tot. Einige Zeit genießt er die Bestürzung, bis er wissen lässt, dass es dem Buben im Mutterleib bestens gehe. Man könnte zur Tagesordnung übergehen, aber dann taucht die Frage auf, wie das Kind denn heißen solle. Natürlich lässt er alle erst einmal sinnloserweise raten, bis er damit rausrückt: Adolphe soll der Junge heißen. Das Entsetzen ist allgemein. Der Name ist hochgradig kontaminiert, den gibt man nicht einem Kind. Auch wenn sich "Adolphe" nicht mit "f" schreibt, ist der Name wohl auf ewig tabu.
Aber wieso nur der? Die Diskussion wird immer hitziger und rutscht immer mehr ins Persönliche. Und weil man so sehr in Fahrt gekommen ist, werden Vergehen bis in die Kindheit ausgegraben, aber nicht wahllos, Tabus werden gebrochen, Beziehungen offengelegt, ,die so nicht geplant waren, ständig muss die persönliche Geschichte umgeschrieben werden. Bis Claude Vincent die Nase blutig schlägt und die Katzenjammer-Phase beginnen kann. Mehr ins Detail gehen sollte man an dieser Stelle nicht, denn die Ereignisse sind wirklich spannend. Nur so viel sei verraten. Ein letzter Blick in die Zukunft zeigt: Die Sache muss glimpflich ausgegangen sein. Man hatte sich wohl schon öfter so gestritten. Der Bub ist inzwischen im Kinderwagen und heißt Françoise, denn er ist ein Mädchen.
Klare Charaktere
Rolf Heiermann hat das Stück inszeniert, und er hat es geschafft, das turbulente Geschehen voller neuer Volten und Wendungen vom Klamauk und Schenkelklopfen absolut fernzuhalten. Natürlich ist das Quintett auf der Bühne von dem Geschehen mehr oder weniger überfordert. Aber der Zuschauer ist es nicht, weil die Pointen ausgespielt werden, weil er genügend Distanz hat, über das Drama zu lachen, weil der Humor durchaus immer eine Prise Ernst hat. Und er hat mit seinen fünf Leuten ganz klare Charaktere entwickelt, die da miteinander kollidieren: Jens Eulenberger als Pierre Garaud, dem immer wieder seine professorale Betulichkeit und Besserwisserei entgleist: Anna Katharina Fleck als Elisabeth Garaud-Larchet, die mit einer wunderbaren Umtriebigkeit immer wieder Öl ins Feuer gießt.
Da ist Simon Brader als Vincent Larchet, der Hallodri und Kotzbrocken, für den die Destruktion und Verunsicherung das Größte ist. Da ist Anna Schindlbeck als Anna Caravati, die von allem eigentlich nur genervt ist und sich fortwünscht. Und da ist Tobias Wollschläger als Claude Gatignol, de, man schon am Gartentor die Opferrolle ansieht, der so gerne vermitteln würde, der aber auch am Ende, womit wirklich niemand gerechnet hat, ... naja, das wird jetzt nicht verraten, denn das setzt dem Ganzen die Krone auf.
Intensives Kammerspiel
Dass aus dem Text ein derart intensives Kammerspiel werden konnte, liegt allerdings nicht nur an der Dichte der Inszenierung, sondern auch am Bühnenbild. Peter Picciani hat für die kleine Bühne eine Terrasse entwickelt, auf der alles vom Notwendigen bis zum Szenekitsch Platz findet - die stylischen Sitzmöbel sind vermutlich noch unbequemer als sie aussehen - die aber durch ihr Eingemauert-Sein zwischen Haus und Garten- oder Garagenmauer zur Metapher der Unentrinnbarkeit wird. Aber andererseits hat er diesen Eindruck durch geschickte Blickmöglichkeiten in das Haus oder über das Gartentor erweitert. Und Jutta Reinhards Kostüme sind genaue Spiegel der Charaktere.
Nein, "Der Vorname" ist ein außerordentlich geistreiches Amüsement geworden, über das man ohne Reue lachen kann, obwohl es den fünf Streithammeln mächtig an die Nieren geht. Wer die Fortsetzung sehen will, muss bis zum 20. Oktober warten. Dann kommt Sönke Wortmanns Film "Der Nachname" in die Kinos.