Er ist einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen und Überlebenden des Holocaust, die in Hammelburg geboren wurden. Am 15. Dezember 1923 erblickte Kurt Arnold Samuel in der Kissinger Straße 8 das Licht der Welt – heute feiert er seinen 89. Geburtstag. Seine Eltern waren Willi und Blanka Samuel. Sein Großvater war der bekannte jüdische Getreidewarenhändler Samuel Sichel.
Im April 1936 floh Familie Samuel mit den Söhnen Gerhard und Arnold in die USA. Kurt Samuel nannte sich fortan Arnold Samuels. Mit großer Wehmut erinnert sich der gebürtige Hammelburger an seine Heimatstadt, die er vor 77 Jahren im Alter von zwölf Jahren verlassen musste.
Im Oktober 1935 schickten ihn seine Eltern in eine jüdische Schule nach Burgpreppach, da der Schulbesuch jüdischer Kinder in Hammelburger Schulen kaum noch möglich war. „Wenn ich an Hammelburg denke, kommen mir Tränen in die Augen“, schreibt Arnold Samuels in seinem Weihnachtsbrief 2012 aus Ocean Shores (Bundesstaat Washington, USA).
„Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit in Hammelburg, bis die Nazis kamen. Ich hatte auch viele nichtjüdische Spielkameraden. Wir spielten in den Straßen und Gassen der Stadt Räuber und Gendarme und jagten in der Weihersau die Pferde des jüdischen Pferdehändlers Willi Finsterwald,“ erinnert sich Arnold Samuels an unbeschwerte und schöne Kindheitstage. „Als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, es war im März 1933 in Hammelburg, wurde schlagartig alles anders. „Du Stinkjude“, hieß es plötzlich aus dem Munde nichtjüdischer Spielkameraden, die der HJ beigetreten waren.“
Arnolds Großvater mütterlicherseits war der bekannte jüdische Getreidewarenhändler Samuel Sichel. Er kam im Alter von 25 Jahren 1876 nach Hammelburg, wo er sich in der Kissinger Straße 13 niederließ und ein „Mehl- und Landes-Produkten-Geschäft“ gründete. Samuel Sichel heiratete Sophie Hommel aus Gersfeld, die beiden hatten vier Töchter.
Drei blieben in Hammelburg wohnen. Rosa wurde die Ehefrau von Nathan Stern, Inhaber des Textilmanufakturwarengeschäftes „Emanuel Stern“ am Marktplatz 8. Für die jüngeren Töchter Fanny und Blanka baute Samuel Sichel ein neues großes Haus in der Kissinger Straße 8 (heute „Bunter Buchladen“). Fanny heiratete den jüdischen Kaufmann Berthold Baumann, der im Alter von 36 Jahren im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Am 8. Juni 1918 starb auch die Großmutter, die Ehefrau Samuel Sichels, Sophie Sichel.
Die jüngste Tochter des jüdischen Getreidewarenhändlers, Blanka, heiratete 1920 den Kaufmann Willi Samuel, der aus Königshofen im Grabfeld stammte. Seine Eltern waren Max und Rosalie Samuel. In den frühen 1920er Jahren übernahm Willi Samuel das Geschäft des Schwiegervaters und kaufte fortan in den Dörfern des Altlandkreises den Bauern die Getreideernte ab. „Antisemitismus gab es zu dieser Zeit überhaupt nicht“, erinnert sich Arnold Samuels. Mit dem Boykott der jüdischen Geschäfte, der in Hammelburg und deutschlandweit am 1. April 1933 begann, versuchten die Nationalsozialisten das Einkaufen in jüdischen Geschäften und den Handel mit jüdischen Kaufleuten zu unterbinden. Aus Archivdokumenten geht hervor, dass noch lange nach dem 1. April 1933 viele Landwirte in der Region Hammelburg ihr Getreide wie gewohnt von Willi Samuel aufkaufen ließen.
Nach Erlass der Nürnberger Rassegesetze 1935 begann die NSDAP-Gauleitung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeitsfront mit der gezielten Liquidierung und Arisierung einzelner Geschäftsbereiche, die noch in jüdischer Hand waren. „Mein Vater wurde Ende 1935 von einem Insider der Partei gewarnt und darüber informiert, dass die Gauleitung den gesamten noch existenten jüdischen Getreidewarenhandel im Gau Mainfranken 1936 liquidieren wird“, erinnert sich Arnold Samuels.
Die Eltern kamen der Gauleitung zuvor und suchten selbst „arische Nachfolger“ für ihr Geschäft: die Würzburger Kaufleute „Redelberger und Reinhard“.
Das Ehepaar Willi und Blanka Samuel mit den Söhnen Arnold und Gerhard wanderte am 15. April 1936 nach New York Brooklyn aus. So hat es Karl Stöckner im Stadtarchiv Hammelburg in den „Fundmaterialien zu einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs“ festgehalten. Dass dieser Wegzug die Rettung vor dem Holocaust war, konnte damals niemand ahnen. Zahlreiche Verwandte Arnold Samuels wurden Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
„That is history. I hope it will never happen again“, schreibt Arnold Samuels. „Das ist Geschichte. Ich hoffe, sie wird niemals wieder passieren.“
Quellen:
Arnold Samuels, PO Box 65, Ocean Shores WA. 98 569, USA
Karl Stöckner, Stadtarchiv Hammelburg, Fundmaterialien zu einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs
Yad Vashem Data Base, Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz