Bad Brückenau
Wenn Genies genial gespielt werden
"Freunde", "Liebende" und "Brüder" waren die ersten drei Jahreszeitenkonzerte des BKO Bad Brückenau in diesem Jahr überschrieben. Und jetzt also "Genie".
Es liegt zwar in der Natur der Sache, dass diese selten paarweise auftreten. Aber jedes Genie braucht jemanden an seiner Seite, der es er- oder verkennt. So gesehen geht der Titel in Ordnung. Und alle vier Komponisten, die an dem Abend zu Wort kamen, gelten zu Recht als Genies - er- oder verkannte.
Eines der anerkannt größten lieferte die Ouvertüre: Joseph Haydn mit seiner Oper "L"isola disabitata" ("Die unbewohnte Insel"), eine Art Robinsonade und eine typische Musik der Aufklärung, die aus jeder Note spricht: auf der einen Seite die ungebändigte Natur mit schroffen Klippen, tosendem Sturm und brausendem Meer, auf der anderen Seite, sobald er erscheint, die sittigende Kraft des zivilisierten Menschen - auch wenn er in der folgenden Oper auch einigen Unsinn treibt. Nach kleinen Irritationen beim Landen spielten die Brückenauer diese Musik mit einem derartigen inspirierten Zugriff, dass man sich des Schmunzelns nicht erwehren konnte.
Im Mittelpunkt stand sicher Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert B-dur KV 595, das letzte, das er selber komponiert und auch uraufgeführt hat. Sicher hat es manchen melancholischen Zug, aber ob das daran liegt, dass Mozart seinen nahen Tod spürte, wie Johannes Moesus in seiner Anmoderation anklingen ließ, ist fraglich. Man neigt vor allem bei jung gestorbenen Komponisten dazu, ihr Werk vom Ende her zu betrachten, auch ihren vorletzten Kompositionen bereits Vermächtnischarakter zu geben. Aber weder Mozart oder etwa Franz Schubert haben auf ihren Tod hin komponiert. Bei dem Klavierkonzert ist das schon deshalb fraglich, weil Mozart mit den ersten Skizzen vermutlich bereits 1788 begonnen hat.
Wenn man in dieser Musik Melancholie findet, dann wohl eher deshalb, weil Mozart in Wien die Fans abhanden gekommen waren, weil er in musikalische und gesellschaftliche Isolation geraten war. Eigene Akademien konnte er aus wirtschaftlichen Gründen schon länger nicht mehr veranstalten; bei der Uraufführung des Konzerts am 4. März 1791 im Jahnschen Saal war er nur Gast. Hätte Mozart da schon an seinen Tod (am 5. Dezember) gedacht, hätte er sich vielleicht nicht mehr um die Stelle des Adjunkten des Domkapellmeisters mit der Hoffnung auf spätere Übernahme des Postens - wider Erwarten erfolgreich - beworben. Dass er das Amt nicht mehr antreten konnte, ist eine andere Geschichte.
Solist des Konzerts war der in München lebende Südkoreaner William Youn, dem ein großer Ruf als Mozartinterpret vorauseilte. In der Ankündigung hieß es: "Auf den Punkt brachte es Radio Bremen in einer CD-Besprechung: ,Bei William Youn klingt es, als würde Mozart persönlich am Klavier sitzen!'" Das ist natürlich Quatsch, weil auch in Bremen heute niemand weiß, wie das damals geklungen hat, zumal sich auch die Flügel erheblich verändert haben. Aber man konnte es sich auch nicht ganz vorstellen, weil sich William Youn schon etwas unter Wert verkaufte. Vor allem im ersten Satz spielte er mit viel zu viel Pedal, was in der nicht ganz unproblematischen Akustik des Saales die Verunklärung beförderte. Und was nicht verbergen konnte, dass ihm nicht allzu viel eingefallen war. Er hat einen schönen Anschlag, aber gestalterisch ließ er sich so gut wie gar nicht auf die Angebote des Orchesters ein. Enger wurde die Zusammenarbeit in dem wunderbar singenden Larghetto, in dem Youns Anschlag sehr schön zur Geltung kam. Und im Finale wirkte der dann geradezu wie aufgewacht. Da musizierte er wirklich schwungvoll mit dem Orchester, und die beiden Kadenzen hatten ausgesprochen persönliche Expressivität. Als Zugabe spielte William Youn Robert Schumanns "Widmung" in der Bearbeitung von Franz Liszt.
Romantisch ging's nach der Pause erst einmal weiter: mit Edvard Griegs Liedern "Herzwunden" und "Letzter Frühling", die der Komponist selbst für Streichorchester als "Zwei elegische Melodien" op. 39 bearbeitet hat. Johannes Moesus nutzte die verschmelzende Akustik des Raumes für wunderbar weiche Klangfarben, mit denen das Orchester nicht nur starke emotionale Kontraste und harmonische Spannungen erzeugte. Ob der Titel "Letzter Frühling" eine schöne Erinnerung oder eine Terminankündigung des Sensenmannes ist, musste offen bleiben: Die Musik endete im verklingenden Pianissimo. Das passt zu beidem.
Höhepunkt war dann überraschenderweise die Es-dur-Sinfonie eines eher verkannten Genies: des Mozart-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus, des Odenwälders, der in Stockholm Karriere machte. Er schrieb eine Musik, die so ganz anders war als die Mozarts, des Gleichaltrigen: im Orchestersatz stark verdichtet, deutlich aus Klangkombinationen und -effekte zielend und unter weitgehender Vermeidung von Floskelhaftigkeit wesentlich stärker mit Überraschungen und Hörerwartungen spielend. Die Brückenauer wussten das zu nutzen, spielten mit Schwung und Pfiffigkeit auf der Basis eines stabilen Bassfundaments die beiden Ecksätze und begleiteten im Mittelsatz mit gutem Gespür fürs Delikate die wunderschön gespielte Oboe, die hier solistisch besonders herausgestellt ist. Man konnte sich geradezu vorstellen, dass Joseph Martin Kraus beim Niederschrieben des dritten Satzes ein bisschen zufrieden geschmunzelt hat. Die Brückenauer sollten ihn sich zum Steckenpferd machen. Er hat genau für sie komponiert. Trotzdem gab"s als Zugabe nicht ganz überraschend Musik eines anderen: den letzten Satz aus der F-dur-Sinfonie von Antonio Rosetti.
Gleich zwei gute Nachrichten hatte BKO-Geschäftsführer Pavol Tkác fürs Publikum, bevor Johannes Moesus den Taktstock zum vierten Jahreszeitenkonzert hob.
Die nachhaltigere zuerst: Seit 2007 stand im König-Ludwig-Saal ein Flügel, der allerdings von seinem Zustand her für größere, seriöse Konzerte nicht einsetzbar war. Jetzt hatte die Staatliche Kurverwaltung Gelder locker gemacht, um dem Steinway eine Generalüberholung zu spendieren und ihn wieder vorzeigbar zu machen. William Youn war der Erste, der mit Mozart das Instrument wieder in Betrieb nahm. Das dürfte jetzt wieder ein paar Jährchen durchhalten.
Etwas kurzlebiger, aber auch wichtig war die zweite Nachricht: Die Musikzeitschrift "Concerti" hat einen Wettbewerb ausgelobt. Sie sucht das "Publikum des Jahres 2017". Der Vorstand des BKO hat sich nach intensiven Beratungen mit dem Freundeskreis dazu entschlossen, daran teilzunehmen - damit es endlich amtlich wird, dass das beste Publikum das Brückenauer ist.
Damit das Orchester gegen die großen "Dampfer" der Szene eine Chance hat, ist die Teilnahme aller Gutmeinenden besonders wichtig - wobei auch Leute abstimmen können, die noch nie ein Konzert des Orchesters besucht haben (falls es die noch geben sollte). Die Teilnahme ist denkbar einfach: im Internet die Adresse www.concerti.de ansteuern und sich dann der Menüführung anvertrauen bis zum Bayerischen Kammerorchester: Es sind insgesamt nur drei Klicks. Alles sollte vor dem 15. November erledigt werden. Denn dann wird das Online-Portal gnadenlos verriegelt. Und daran denken: Wer nicht abstimmt, stärkt nur die Konkurrenz!
Eines der anerkannt größten lieferte die Ouvertüre: Joseph Haydn mit seiner Oper "L"isola disabitata" ("Die unbewohnte Insel"), eine Art Robinsonade und eine typische Musik der Aufklärung, die aus jeder Note spricht: auf der einen Seite die ungebändigte Natur mit schroffen Klippen, tosendem Sturm und brausendem Meer, auf der anderen Seite, sobald er erscheint, die sittigende Kraft des zivilisierten Menschen - auch wenn er in der folgenden Oper auch einigen Unsinn treibt. Nach kleinen Irritationen beim Landen spielten die Brückenauer diese Musik mit einem derartigen inspirierten Zugriff, dass man sich des Schmunzelns nicht erwehren konnte.
Im Mittelpunkt stand sicher Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert B-dur KV 595, das letzte, das er selber komponiert und auch uraufgeführt hat. Sicher hat es manchen melancholischen Zug, aber ob das daran liegt, dass Mozart seinen nahen Tod spürte, wie Johannes Moesus in seiner Anmoderation anklingen ließ, ist fraglich. Man neigt vor allem bei jung gestorbenen Komponisten dazu, ihr Werk vom Ende her zu betrachten, auch ihren vorletzten Kompositionen bereits Vermächtnischarakter zu geben. Aber weder Mozart oder etwa Franz Schubert haben auf ihren Tod hin komponiert. Bei dem Klavierkonzert ist das schon deshalb fraglich, weil Mozart mit den ersten Skizzen vermutlich bereits 1788 begonnen hat.
Wenn man in dieser Musik Melancholie findet, dann wohl eher deshalb, weil Mozart in Wien die Fans abhanden gekommen waren, weil er in musikalische und gesellschaftliche Isolation geraten war. Eigene Akademien konnte er aus wirtschaftlichen Gründen schon länger nicht mehr veranstalten; bei der Uraufführung des Konzerts am 4. März 1791 im Jahnschen Saal war er nur Gast. Hätte Mozart da schon an seinen Tod (am 5. Dezember) gedacht, hätte er sich vielleicht nicht mehr um die Stelle des Adjunkten des Domkapellmeisters mit der Hoffnung auf spätere Übernahme des Postens - wider Erwarten erfolgreich - beworben. Dass er das Amt nicht mehr antreten konnte, ist eine andere Geschichte.
Mozart selbst am Klavier
Solist des Konzerts war der in München lebende Südkoreaner William Youn, dem ein großer Ruf als Mozartinterpret vorauseilte. In der Ankündigung hieß es: "Auf den Punkt brachte es Radio Bremen in einer CD-Besprechung: ,Bei William Youn klingt es, als würde Mozart persönlich am Klavier sitzen!'" Das ist natürlich Quatsch, weil auch in Bremen heute niemand weiß, wie das damals geklungen hat, zumal sich auch die Flügel erheblich verändert haben. Aber man konnte es sich auch nicht ganz vorstellen, weil sich William Youn schon etwas unter Wert verkaufte. Vor allem im ersten Satz spielte er mit viel zu viel Pedal, was in der nicht ganz unproblematischen Akustik des Saales die Verunklärung beförderte. Und was nicht verbergen konnte, dass ihm nicht allzu viel eingefallen war. Er hat einen schönen Anschlag, aber gestalterisch ließ er sich so gut wie gar nicht auf die Angebote des Orchesters ein. Enger wurde die Zusammenarbeit in dem wunderbar singenden Larghetto, in dem Youns Anschlag sehr schön zur Geltung kam. Und im Finale wirkte der dann geradezu wie aufgewacht. Da musizierte er wirklich schwungvoll mit dem Orchester, und die beiden Kadenzen hatten ausgesprochen persönliche Expressivität. Als Zugabe spielte William Youn Robert Schumanns "Widmung" in der Bearbeitung von Franz Liszt.
Romantisch ging's nach der Pause erst einmal weiter: mit Edvard Griegs Liedern "Herzwunden" und "Letzter Frühling", die der Komponist selbst für Streichorchester als "Zwei elegische Melodien" op. 39 bearbeitet hat. Johannes Moesus nutzte die verschmelzende Akustik des Raumes für wunderbar weiche Klangfarben, mit denen das Orchester nicht nur starke emotionale Kontraste und harmonische Spannungen erzeugte. Ob der Titel "Letzter Frühling" eine schöne Erinnerung oder eine Terminankündigung des Sensenmannes ist, musste offen bleiben: Die Musik endete im verklingenden Pianissimo. Das passt zu beidem.
Höhepunkt war dann überraschenderweise die Es-dur-Sinfonie eines eher verkannten Genies: des Mozart-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus, des Odenwälders, der in Stockholm Karriere machte. Er schrieb eine Musik, die so ganz anders war als die Mozarts, des Gleichaltrigen: im Orchestersatz stark verdichtet, deutlich aus Klangkombinationen und -effekte zielend und unter weitgehender Vermeidung von Floskelhaftigkeit wesentlich stärker mit Überraschungen und Hörerwartungen spielend. Die Brückenauer wussten das zu nutzen, spielten mit Schwung und Pfiffigkeit auf der Basis eines stabilen Bassfundaments die beiden Ecksätze und begleiteten im Mittelsatz mit gutem Gespür fürs Delikate die wunderschön gespielte Oboe, die hier solistisch besonders herausgestellt ist. Man konnte sich geradezu vorstellen, dass Joseph Martin Kraus beim Niederschrieben des dritten Satzes ein bisschen zufrieden geschmunzelt hat. Die Brückenauer sollten ihn sich zum Steckenpferd machen. Er hat genau für sie komponiert. Trotzdem gab"s als Zugabe nicht ganz überraschend Musik eines anderen: den letzten Satz aus der F-dur-Sinfonie von Antonio Rosetti.
Flügel generalüberholt und ein Wettbewerb
Gleich zwei gute Nachrichten hatte BKO-Geschäftsführer Pavol Tkác fürs Publikum, bevor Johannes Moesus den Taktstock zum vierten Jahreszeitenkonzert hob.
Die nachhaltigere zuerst: Seit 2007 stand im König-Ludwig-Saal ein Flügel, der allerdings von seinem Zustand her für größere, seriöse Konzerte nicht einsetzbar war. Jetzt hatte die Staatliche Kurverwaltung Gelder locker gemacht, um dem Steinway eine Generalüberholung zu spendieren und ihn wieder vorzeigbar zu machen. William Youn war der Erste, der mit Mozart das Instrument wieder in Betrieb nahm. Das dürfte jetzt wieder ein paar Jährchen durchhalten.
Etwas kurzlebiger, aber auch wichtig war die zweite Nachricht: Die Musikzeitschrift "Concerti" hat einen Wettbewerb ausgelobt. Sie sucht das "Publikum des Jahres 2017". Der Vorstand des BKO hat sich nach intensiven Beratungen mit dem Freundeskreis dazu entschlossen, daran teilzunehmen - damit es endlich amtlich wird, dass das beste Publikum das Brückenauer ist.
Damit das Orchester gegen die großen "Dampfer" der Szene eine Chance hat, ist die Teilnahme aller Gutmeinenden besonders wichtig - wobei auch Leute abstimmen können, die noch nie ein Konzert des Orchesters besucht haben (falls es die noch geben sollte). Die Teilnahme ist denkbar einfach: im Internet die Adresse www.concerti.de ansteuern und sich dann der Menüführung anvertrauen bis zum Bayerischen Kammerorchester: Es sind insgesamt nur drei Klicks. Alles sollte vor dem 15. November erledigt werden. Denn dann wird das Online-Portal gnadenlos verriegelt. Und daran denken: Wer nicht abstimmt, stärkt nur die Konkurrenz!
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