Jakob und Adele haben ihr Storchennest in Hammelburg schon am 7. März in Beschlag genommen, erzählt Jochen Willecke, Vogelexperte des Bund Naturschutz hocherfreut. Und letzten Freitag wurde er Zeuge des keilförmigen Zugs Hunderter von Kranichen am Himmel. Andere gefiederte Gesellen machen sich jedoch noch rar: Der Seidenschwanz ist kaum zu sehen. Auch der Zilzalp müsste schon da sein, sagt der Hammelburger. Und die Stare sollen kürzlich wegen des Schnees gar nicht erst in Deutschland gelandet sein, sondern nach Süden abgedreht haben. „Der Vogelzug hat heuer gestockt“, bringt es der Naturschützer auf den Punkt.
Die lang anhaltende Kälte fordert 2013 auch von den Vögeln, die hier überwintern oder nur kurze Strecken hin und herwandern, ihren Tribut: Stieglitz, Erlenzeisig, Bergfink, Kernbeißer und Rothkehlchen – alle sah Willecke dieser Tage noch in seinem Garten am Futterhäuschen. Denn die Erde war hart, die kleinen Weichfutterverwerter fanden unter diesen rauen Bedingungen rein gar nichts zu schnabulieren.
Solche Wetterunbill wie in diesem Winter hat für manche Piepmätze noch schwerwiegendere Folgen. Etliche Bachstelzen und Rotschwänze verhungerten, weil die Gewässer eine Eisschicht trugen und sie nichts zu picken hatten, weiß der Naturschützer von Leuten, die tote Vögel fanden. Auch Feldlerchen und Kiebitze kamen heuer schon im Januar bei geschlossener Schneedecke in unseren Gefilden an und kämpften ums Überleben.
Am Magnetfeld orientiert
Die Wetterbedingungen sind auch beim Vogelzug sozusagen oft lebenswichtig, macht Willecke klar und erinnert an den Vorfall vor einer Woche im Thüringer Wald, als ein Schwarm Kraniche im dichten Nebel von der Flugrichtung abkamen. Die Tiere orientieren sich ja am Magnetfeld der Erde. Im Nebel funktionierte dieser natürliche Instinkt offenbar nicht mehr und gut ein Dutzend der Vögel prallte gegen Hauswände und wurde schwer verletzt.
Was den Vogelzug angeht, ist irgendwie gerade „alles durcheinander“, sagt Willecke und bringt als Beispiel den Kuckuck. Der kommt eigentlich im April aus seinem Winterquartier in Afrika zurück. Dieses Jahr meldete ein Vogelbeobachter den Kuckuck bereits am 19. März in Gießen, weiß der Hammelburger. Bei uns hat Willecke ihn aber noch nicht gehört oder gesichtet. Und 2012 kam der Langstreckenzieher zu spät hierher zurück. „Alle Nester waren schon bebrütet. Der Kuckuck, der ja seine Eier in fremde Nester legt, hatte kaum Chancen.“
Interessant ist auch das Verhalten der Stare, die im Winter so genannte Kurz- und Mittelstreckenzieher sind. Das heißt, sie fliegen vom Norden Europas in den milderen Südwesten, wie zum Beispiel an die französische Atlantikküste. Manche bleiben auch in Deutschland. Dieses Jahr sollen ganze Schwärme zunächst aus dem Norden hierher geflogen und dann nach Südeuropa abgedreht haben, vermeldete unlängst die deutsche Ornithologen-Gesellschaft in Wilhelmshaven.
Sind Stare nun „intelligenter“, weil sie bei ungünstiger Witterung einfach weiter nach Süden ziehen? Lernfähigkeit sagt man den Staren jedenfalls nach, denn neben einer Unmenge eigener Gesangsmotive besitzt der Star die Fähigkeit, andere Vögel perfekt nachzuahmen. Übrigens: Diese Qualitäten sorgten 2001 sogar für eine urheberrechtliche Auseinandersetzung zwischen dem Verlag Kiepenheuer & Witsch und dem Berliner Konzeptkünstler Wolfgang Müller. Letzterer veröffentlichte damals eine CD mit Starengesang, auf der seiner Ansicht nach die „Ursonate“ des deutschen Malers und Künstlers Kurt Schwitters rezitiert wird.
„Es gibt ja kaum noch ein Frühjahr. Der Winter geht meist urplötzlich in den Sommer über“, sagt Willecke. Die anhaltende Kälte dieses Jahres ist seinen Beobachtungen nach für zahlreiche Vögel eine „Katastrophe“. Heuer sind insgesamt viel weniger Vögel da als sonst um diese Zeit, hat der Hobby-Ornithologe bei seinen Spaziergängen festgestellt. Für die Zukunft wagt er keine konkrete Prognose.
Fortschreitender Klimawandel
Er befürchtet aber, dass wir wegen des fortschreitenden Klimawandels mehr solcher langen frostigen Winter haben werden und es im Sommer zu extremen Trockenheiten kommt. Dann verdörren unter Umständen auch viele Eier in den Nestern. „Wir werden weniger Vögel haben“, vermutet er. Freilich spielen da laut Willecke noch andere Faktoren eine Rolle. Aber bei seinen aktuellen Rundgängen in der Natur glaubt er beobachtet zu haben, dass etliche Vögel, zum Beispiel Stieglitz, Dompfaff und Bluthämpfling, bei uns bereits weniger werden.