Die Idee, dass der Zauberer Draco Malfoy nicht von Geburt an ein Rassist gewesen ist, schießt Eva Schlembach auf dem Weg zur Bushaltestelle in den Kopf. Im weltberühmten Harry-Potter-Roman, den sie fast auswendig kann, hat der Unsympath Malfoy kaum eine Vorgeschichte. Doch die 16-jährige Großwenkheimerin meint, „jeder Mensch ist erst einmal gut“.
Sie schreibt dem Antihelden ein Trauma-Erlebnis auf den Leib: Blutunreine Zauberer töteten seinen geliebten Großvater. In eine bestehende Romanszene fügt Eva den Rückblick in Malfoys Kindheit ein.
Schreiben unter Pseudonym
Das Weiter- und Umspinnen von Romangeschichten heißt Fan-Fiktion. In einem der vielen Foren im Internet ist Eva angemeldet und hat regelmäßige Leser, die ihr Rückmeldung auf die selbst geschriebenen Texte geben. „Die meisten sind echt süß.“ Andere freilich auch nur oberflächlich in ihrer Kritik. Manchmal dauert es keine 15 Minuten und die ersten Antworten sind da. Das gegenseitige Bewerten ist wesentlicher Reiz an Fan-Fiktion. Ihr Pseudonym will Eva allerdings ungern in der Zeitung verbreitet sehen. Das Forum bietet eine Spielwiese, Reaktionen von Freunden und Bekannten würden sie nur hemmen.
Selbst ihrer Schulkameradin in der Q 11 am Mürschter Gymnasium und gleichzeitige Fan-Fiktion-Kollegin Sophia Müller verrät sie an diesem Nachmittag erst jetzt ihren Forumsnamen. Dabei war die Bad Kissinger Freundin diejenige, die sie 2011 an das außergewöhnliche Hobby heranführte: Der erste Link zu einem Fan-Fiktion-Text kam von ihr.
Für Eva folgte das Schmökern in den Texten, dann allmählich das selbst Schreiben. „Meine erste Geschichte war aus heutiger Sicht langweilig.“ Kaum etwas verändert hat Eva damals an der Ursprungsgeschichte. Erst mit der Zeit wird man mutiger, freier in den Textideen.
Sophia Müller schreibt zurzeit an einer Geschichte rund um Jacob Black, einen Werwolf in der Vampir-Saga Twilight. Die Figur mochte sie schon immer, Stephenie Meyers Geschichte weniger. Die ist ihr zu oberflächlich und Jacob kommt zu schlecht darin weg. Darum packte sie ihn mit all seinen Eigenschaften und setzte ihn in ein neues Umfeld, mit anderen Nebenfiguren und anderen Erlebnissen. „A U“, alternatives Universum, nennen Fan-Fiktion-Schreiber das.
Die Fan-Fiktion bietet ein Fantasie-Spieleland der unbegrenzten Möglichkeiten. Nicht nur Romane, auch Filme, TV-Serien und Liedtexte dienen als Grundlage für eigene Geschichten. Eher skeptisch sehen Eva und Sophia es aber, wenn reale Personen in eine fiktive Geschichte gesetzt werden; Prominente werden zuweilen auch vorgeführt.
Nur ein einziges Mal hat Sophia einen solchen Fan-Fiktion-Ansatz als Geburtstagsgeschenk für eine Freundin verfolgt: eine Geschichte, in deren Zentrum die britische Teenie-Boyband „One Direction“ steht. Stolz ist die 16-Jährige darauf nicht, obwohl sie viele Details wie die Teetrinkgewohnheiten der Sänger extra recherchiert hat. Über das überwältigende Feedback hat sie sich trotzdem gefreut. „Auf keinen anderen Text hab ich so viele begeisterte Rückmeldungen bekommen.“
Sophia schreibt auf Englisch
Freundschaften mit den Lesern wollen Eva und Sophia nicht, das Internet bleibt ein unsicherer Raum. Meist bleibt es bei Fachgesprächen im Forum. Die meisten Fan-Fiktion-Schreiber sind Mädchen; mit zweien aus Taiwan und Irland ist Sophia inzwischen allerdings über das Facebook-Netzwerk befreundet.
Sophia schreibt auf Englisch, seit sie ein Schuljahr in der Nähe von Leeds verbracht hat. Auf der internationalen Fan-Fiktion-Webseite kommt sie seither mit Lesern aus aller Welt in Kontakt.
Ein Lieblingsbuch in Sachen Fan-Fiktion? Die Tribute-von-Panem-Saga bietet einiges. Viele Hintergrundinfos werden darin nur angerissen. „Da kann man wahnsinnig viel weiterspinnen“, findet Sophia. Im Englisch-Unterricht hat sie sich schon ein paar Ideen notiert.
Fan-Fiktion – ein Forum für Hobbyschreiber
Unter dem Begriff Fan-Fiktion schreiben Fans für Fans Geschichten aus der Welt ihres Lieblingsromans, ihrer Lieblingsfernsehserie oder ihres Lieblingsfilms. Die Texte stellen sie kostenfrei auf Internetplattformen Lesern aus aller Welt zur Verfügung gestellt. Am häufigsten dienen Bestseller wie „Harry Potter“ oder auch die „Twilight“-Sage als Grundlagewerke.
Gegenseitige Bewertungen und Rezensionen halten die Diskussion um Original und Abwandlung lebendig. Die Frage des Urheberrechts ist zwar ungeklärt, wird aber für gewöhnlich von den Profi-Autoren toleriert, weil die meisten Fan-Fiktion-Foren keinen kommerziellen Zweck verfolgen.
Die Qualität der einzelnen Geschichten ist unterschiedlich. Von Texten voller Rechtschreib- und Grammatikfehlern bis hin zu richtigen Talentgruben ist alles vertreten. Manche Webseiten schreiben Preise für die am meisten gelesenen und am besten bewerteten Texte aus.