Wohnungsknappheit in Hammelburg: Das hätte Marco Lummel, Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugenossenschaft (WGH), zu Beginn seiner Tätigkeit nie für möglich gehalten.
Vor 20 Jahren habe er noch um jeden Mieter kämpfen müssen. Heute erhält er nahezu jeden Tag Anfragen bezüglich freier Wohnungen, die Warteliste wird von Tag zu Tag länger. "Die Nachfrage übersteigt das Angebot schon lange", stellt er fest.
Geringe Mietpreise bei der Wohnungsbaugenossenschaft Hammelburg
Mit ein Grund für die vielen Anfragen sei der durchschnittliche Mietpreis der Wohnungsbaugenossenschaft von 4,66 Euro pro Quadratmeter. "Damit sind wir in Hammelburg noch unter dem Durchschnitt, der bayernweit irgendwo bei sieben Euro liegt." Doch: Wie ist es überhaupt möglich, dass die Mieten der Genossenschaft so verhältnismäßig niedrig sind?
"An vorderster Stelle der WGH steht nicht die Gewinnmaximierung, sondern in erster Linie ist es das Ziel, den Mitgliedern zeitgemäßen und bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen", erklärt Lummel. Trotzdem müsse wahrscheinlich auch die Genossenschaft ihre Mietpreise bald erhöhen. "Wir müssen natürlich schauen, dass unterm Strich etwas übrig bleibt. Wir wollen unsere Häuser schließlich auf dem neusten Stand halten." Die Gebäude in Schuss zu halten, sei allerdings nicht das größte Problem.
Die Herausforderungen der Wohnungs-Branche
Die Herausforderung der nächsten Jahre: neuen Wohnraum schaffen, der für Mieter finanzierbar bleibt. "Um es ganz klar zu sagen: Unter den aktuellen Umständen ist die Umsetzung eines Neubauvorhabens für uns als Wohnungsbaugenossenschaft Hammelburg nicht vorstellbar", wird der Vorstandsvorsitzende deutlich.
Stetig wachsende Standards bei gleichzeitig steigender Inflation würden das Bauen auch in Hammelburg "unfassbar" teuer machen und so zu Mieten im zweistelligen Bereich führen. "Die hohen Kosten machen einen Neubau für uns aktuell also quasi unmöglich."
Zum Vergleich: Das im Jahr 2019 gebaute Gebäude der Wohnungsbaugenossenschaft in der Friedhofstraße hat mit einer Durchschnittsmiete von 7,09 Euro pro Quadratmeter aktuell den höchsten Mietpreis.
"Die Kosten betrugen damals ungefähr 4,35 Millionen Euro", erinnert sich Lummel. Heute, also fünf Jahre später, würde ein identischer Neubau knapp 7,5 Millionen Euro kosten. "Entsprechend kann man hochrechnen, wo die Miete liegen müsste, um eine Kostendeckung zu erzielen."
Die Geschichte der Hammelburger Genossenschaft
Die Wohnungen der Hammelburger Genossenschaft seien seit Jahren voll vermietet - also ohne Leerstände - und die Mieten verhältnismäßig günstig. "Eine sparsame und effiziente Unternehmensführung haben es trotzdem möglich gemacht, unseren Wohnungsbestand in gutem Zustand zu erhalten", berichtet auch Georg Sell, Ehrenvorsitzender des Vorstands.
Er erzählt: Machbar sei das alles nur, weil 36 Bürger der Stadt bereits vor 75 Jahren die Initiative ergriffen haben und die "WBG für den Landkreis HAB eGmbH" gegründet haben. Aber: Das Genossenschaftswesen der Stadt Hammelburg beginnt noch viel früher, nämlich mit der Initiative des damaligen Stadtkaplans und späteren Stadtpfarrers Johannes Martin.
Wohnungsmangel führt zur Gründung
"Er initiierte die Gründung des Darlehenskassenvereins 1903, des Winzervereins 1904 und 1920 die Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft", berichtet Sell. Diese erste WBG baute drei Mietshäuser - die heutige Friedrich-Müller-Straße 10, ein Gebäude in der Kissinger- und eines in der Bahnhofstraße - sowie die nach ihm benannte Johannes-Martin-Siedlung.
Im Zuge der Gleichschaltung unter dem damaligen NS-Regime wurde die Genossenschaft 1938 allerdings wieder aufgelöst, das Eigentum ging an die Stadt über.
Durch Flucht aus den deutschen Ostgebieten kamen später dann, trotz der eh schon engen Wohnverhältnisse, immer mehr Neubürger dazu. Diese Not haben verantwortliche Bürger in Hammelburg erkannt, so Sell.
"Ein vorberatender Ausschuss hatte nach vielen Besprechungen und Sitzungen in die 'Landwirtschaftsschule' eingeladen. An diesem 3. April 1949 wurde von 36 Personen, den Gründungsmitgliedern, die 'WBG für den Landkreis Hab eGmbH' gegründet."
Das erste Hochhaus in Hammelburg
Knapp zwei Monate später war schon der Bau des ersten Anwesens, in der Friedrich-Müller-Straße 8, beschlossen. Schlag auf Schlag ging es weiter. Eines der Highlights: Das erste Hochhaus entstand in der Adolf-Kolping-Straße 8 mit sechs Obergeschossen. "Man kann sich vorstellen, dass es in der Stadt Diskussionen gab", berichtet der Ehrenvorsitzende.
Doch damit nicht genug: Noch ein weiteres Hochhaus wurde errichtet. In der Breslauer Straße entstand ein Gebäude mit neuen Geschossen und 27 Wohneinheiten, "das sogenannte Y-Hochhaus." Heute besitzt die Genossenschaft 41 Mietshäuser, 106 Stellplätze und 13 Garagen plus Geschäftsstelle und eine Gewerbeeinheit.
Verwaltet wurde alles bis Februar 1982 in den Räumen der Raiffeisenbank in der Bahnhofstraße untergebracht. "Mietverträge wurden am Bankschalter unterschrieben, Wohnungsschlüssel da übergeben." Mit Umzug der Bank bezog die Wohnungsbaugenossenschaft dann erstmals eigene Räume im neuen Bankgebäude am Marktplatz. Heute befindet sich die Geschäftsstelle der Genossenschaft in der Friedhofstraße.