Vor ein paar Jahren war das Franz Liszt Kammerorchester aus Budapest schon einmal zu Gast beim Kissinger Sommer und es hinterließ einen ausgezeichneten Eindruck. Insofern waren die Erwartungen hoch, als das Ensemble jetzt angekündigt war mit dem Geiger Kristóf Baráti und dem Cellisten István Várdai als Solisten. Und man hatte den Eindruck, dass es jetzt da wieder anknüpfen würde, denn Béla Bartóks Rumänische Volkstänze für kleines Orchester - übrigens das meistgespielte Werk in diesem Jahr: kein Wunder bei dem Teilthema Ungarn - waren eine mitreißende Ouvertüre.
Das Orchester scheint sie in ihrem Standardrepertoire zu haben, denn es spielte lustvoll und souverän mit den Klangfarben und Rhythmen. Es ist aber auch ein dankbares Stück für Musiker und Zuhörer gleichermaßen, denn die sechs Sätze sind starke, sehr unterschiedliche Charaktere, und sie sind in ihrer Länge überschaubar.
Aber dann riss der Traditionsfaden, denn das Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester von Johannes Brahms , ist deshalb so beliebt, weil er da phasenweise seine übliche Nüchternheit aufgegeben hat. Im Grunde ist das Konzert eine "Morgengabe" an den Geiger Joseph Joachim , um die vormals enge, aber in die Brüche gegangene Freundschaft wiederzubeleben - was ihm letztlich auch gelang. Und deshalb ist dieses Konzert über eine glasklare Form hinaus für Brahms 'sche Verhältnisse ungewöhnlich emotional und stellenweise sogar witzig - Brahms war immerhin gebürtiger Hanseat.
Aber um das alles zu zeigen, hätte es einen Dirigenten gebraucht. Nicht, dass das Orchester auffallend unordentlich gespielt hätte. Aber es gab kein schlüssiges Interpretationskonzept, das die emotionale Seite der Musik zum Klingen gebracht hätte. Und dann passierte auch das, was in solchen Situationen des Spielens ohne Dirigenten gerne passiert. Das Orchester wurde immer lauter, weil jeder am liebsten sich selbst hört, und weil eine regulierende Hand fehlt, die sozusagen in objektiver Betrachtung die Klangbalance regelt.
Kristóf Baráti versuchte sich zwar als Dirigent, aber das konnte nicht funktionieren. Nicht nur, weil er kein gelernter Dirigent ist, sondern weil es ihm nicht gelang, Dirigieren und Spielen unter einen Hut zu bringen. Wenn er, mit der Geige unterm Kinn, mit dem Bogen in der rechten Hand über sein Instrument hinweg leitend zu fuchteln versuchte, war das völlig sinnlos, eher irritierend. Und er selbst störte sich bei der Konzentration auf sein Spiel und wurde zum Trittbrettfahrer seines Cello-Kollegen Istvan Várdai. Der konnte natürlich glänzen, weil er alle Zeit und allen Raum zum Gestalten hatte - nicht überraschend, wenn man ihn am Sonntag zuvor im Kloster Maria Bildhausen erlebt hatte.
Der Variationensatz aus dem 1. Streichsextett von Johannes Brahms , der den zweiten, folkloristisch aromatisierten Teil des Konzerts einleitete, war aus einem anderen Grund problematisch. Gespielt war er wirklich gut und erstaunlich differenziert. Aber wenn Brahms eine Streichersinfonie gewollt hätte, hätte er sie komponieren können. Hier ging es ihm um den Reiz des individualisierten Klangs der Instrumente in der Kammermusik, nicht um den nivellierten Klang kompletter Register oder Stimmen.
Und dann wurde es richtig ungarisch, wie es rund um den Balaton singt und klingt, dann mussten die Streicher - außer den Cellisten - im Stehen spielen. Und dann gesellte sich das Sárközy-Trio mit Violine, Cymbalom und Kontrabass, eine der klassischen Besetzungen, dazu. Das war ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber es passte doch ganz gut zusammen, etwa bei Leo Weiners Divertimento Nr. 1, in dem das Trio den virtuosen Startschuss abfeuerte und sich das Orchester auf diese geballte Ladung einließ - so sehr, dass stellenweise sogar das Cymbalom unterging, das ja wirklich Krach machen kann.
Dafür konnte man es umso besser hören bei Zóltan Kodálys "Tanz aus Kallai", den das Trio allein spielte, in dem in wirklich unterhaltsamer und auch mitreißender Weise fast alle Klischees der ungarischen Zigeunermusik versammelt sind von der speziellen Harmonik, über starke Synkopen bis zu rasanten Beschleunigungen. Noch schöner wäre es gewesen, wenn sich der Primas Lajos Sárközy nicht gar so in den Vordergrund gedrängt hätte - wie auch bei David Poppers Ungarischer Rhapsodie für Violoncello und Orchester, wo das Trio auch dabei war, es aber eigentlich um István Várdai ging. Und wie auch bei den drei Ungarischen Tänzen von Johannes Brahms , die ja ursprünglich mal für Klavier komponiert waren, bei denen sich Sárközi zum Erfinder der Virtuosität aufspielen musste. Natürlich konnte das das Publikum zu größter Begeisterung hinreißen. Aber wirklich nötig war es nicht.
Nach einer radikalen Umbaupause gab es noch eine kleine Premiere: die beiden Berliner Schauspieler Michael Rotschopf als Richard Wagner und Max Urlacher als Franz Liszt lasen aus dem Briefwechsel zwischen den beiden Freunden und Verwandten. Und der junge Pianist Xiaolu Zang spielte kleine Sätze von Zeitgenossen. Da erfuhr man in kürzester Zeit so viele über die beiden so gegensätzlichen Männer, dass man genießend zu der Ansicht kam: Daraus sollte man ein eigenes Format machen.