
Rund ums Wandern gibt es viele Sinnsprüche. Diesen zum Beispiel: "Es gehört wohl zum Schönsten, was es gibt, sich ein Land zu erwandern." Was der Spruch auch meint: Der Reiz des Wanderns liegt in den kleinen Entdeckungen am Wegesrand.

So zu erleben in der westlichen Rhön, wo der Wanderer im Grenzgebiet von Bayern und Hessen auf einen wundersamen Baum, geheimnisvolle Felsen und eine sagenumwobene Quelle trifft. Gemeint ist die "Haubentour" bei Motten im Landkreis Bad Kissingen, die ihren Namen von dem 658 Meter hohen Hügel oberhalb des Ortes hat.
Wie sonst auch in der Rhön, ist das Gebiet durchzogen von allerlei beschilderten Wanderwegen. Die "Haubentour" ist eine davon, wenngleich eine mit Prädikat. Denn die Rundstrecke gehört zu den 28 "Extratouren" in der Region, die nach Darstellung der Tourismusagentur Rhön GmbH ähnlich hochgradig einzustufen sind wie der Premiumwanderweg "Hochrhöner".
Als Einstieg in die "Haubentour" bietet sich der Parkplatz "Steiger" oberhalb des hessischen Dorfes Heubach an. Wer von dort Richtung Frauenstein läuft, kommt bald an einem besonderen Baum vorbei, der so besonders gar nicht aussieht: die Bonifatius-Eiche.
Es soll der Heilige Bonifatius höchstselbst gewesen sein, der wohl im 8. Jahrhundert auf dem Weg von Mainz nach Fulda an dieser Stelle Rast machte. Der Missionar war vor allem in Franken sehr eifrig gewesen, wenn es um die Bekehrung der Menschen zum Christentum ging.
Also wurde der Baum bei Heubach schnell ein besonderer Ort. 1921 brannte er allerdings innen aus. Was wenig später für manchen Passanten von Nutzen war: Sage und und schreibe 29 Schüler samt Lehrer fanden eines Tages in dem hohlen Stamm Schutz, als ein heftiger Regen niederging.
Von der Bonifatius-Eiche zum nächsten Ort der Ungewöhnlichkeiten
Der Heimatverein Heubach fand außerdem heraus, dass der Baum 1923 zugrunde ging - nachdem er wahrscheinlich 2000 Jahre alt geworden war. An seiner Stelle wurde jener Baum gepflanzt, dem der Wanderer heute gegenübersteht. Eine kleine Tafel informiert, was diese Stelle so besonders macht.
Es dauert keine halbe Stunde, so kommt man zum nächsten Ort voller Ungewöhnlichkeiten: Der Frauenstein wäre als Hügel kaum eine Erwähnung wert, wäre da nicht ein aufgelassener Steinbruch zu seinen Füßen und vor allem ein sagenumwobener Felsblock.
Was es mit einem "Taufstein" auf sich hat
Der Steinbruch ist erwähnenswert, weil dort Hochzeiten abgehalten werden können und vor allem, weil es sich dort idyllisch rasten lässt. Der Felsblock wiederum ist Teil einer prähistorischen Grabstätte. Weil sich in einer Vertiefung auf der Oberseite des Felsens Regenwasser sammelt, wird er gerne auch als Taufstein bezeichnet.
Der Frankenapostel Kilian soll hier der Sage nach erste Christen der Region getauft haben. Ein großes Holzkreuz gibt diesem Ort eine fürwahr klerikal-mystische Note.
Der Weg auf den Frauenstein lohnt schon deshalb, weil sich dort wie auf dem Rest der Tour immer wieder beeindruckende Ausblicke auf die Gegend auftun. Gen Osten fangen die Rhön-Klassiker Wasserkuppe, Kreuzberg und Dammersfeldkuppe die Blicke ein, gen Westen der "Monte Kali" bei Neuhof.
Blick frei auf einen künstlichen Riesen
Diese Abraumhalde aus Steinsalz ist mit 200 Metern doppelt so hoch wie zum Beispiel die Türme der Frauenkirche in München. Der künstliche Riese gehört zum Düngemittelkonzern K+S, der in Neuhof unter Tage Kalisalz abbaut.
Wer die Tour ab dem Parkplatz Steiger im Uhrzeigersinn läuft, umrundet Heubach, unterquert die Autobahn Würzburg-Fulda (A7) und muss dann auf zwei Kilometern gut 200 Höhenmeter überwinden. Die Anstrengung lohnt sich: Auf der Großen Haube, auch Mottener Haube genannt, steht seit 2005 ein 24 Meter hoher Aussichtsturm aus Stahl. Wer die 122 Stufen genommen hat, wird mit einem Rundumblick über die Rhön und das Fuldaer Land belohnt.
Schnurgerade immer auf einer Grenze entlang
Auf dem Weg zum Turm läuft man schnurgerade auf der Grenze Bayern/Hessen, wovon die zahllosen Grenzsteine aus dem 18. Jahrhundert zeugen. Auf ihnen prangen Jahreszahlen und die Kürzel KB für Königreich Bayern und KP für Königreich Preußen, wozu die hessische Gegend damals gehörte.
Wie sehr sich hier manches trennt, ist auch im Tal zu erleben: Die Menschen in Motten haben einen schon vom Hessischen geprägten Zungenschlag, die Bewohner im benachbarten Kothen hingegen neigen dem Fränkischen zu.
Das mag an einem topografischen Riegel liegen: Beide Orte bilden eine Gemeinde, doch sie trennt ein Höhenzug mit der Wasserscheide zwischen Weser und Main/Rhein. Indes ist das nur 15 Fahrminuten entfernte Fulda der Magnet für viele Pendler der Gegend, erzählen Einheimische. Bad Kissingen, Schweinfurt oder gar Würzburg und damit Mainfranken seien einfach sehr weit weg.
Von der Wasserscheide hinab zu einer Frauengestalt
Wer von der Wasserscheide hinabwandert nach Kothen, kommt erst am Gewässerlehrpfad der Kleinen Sinn und dann unweigerlich an einem weiteren sagenumwobenen Ort vorbei. Der Felsformation Pilsterstein am Ortsrand soll einst eine weiß gekleidete Frauengestalt entstiegen sein.
Sehr zum Schreck einer Magd, die sich eines Abends dort aufhielt. Die Magd solle aus einem Silberbecher von dem Quellwasser des Pilstersteins trinken, befahl die Gestalt. Denn das Wasser gewähre Gesundheit, Glück und ein langes Leben.
Ob das so ist, bleibt jeder Fantasie überlassen. Die Quelle gibt es heute noch. Allzu nüchtern erwähnt eine Infotafel am Quellhäuschen, dass Proben schon vor gut 50 Jahren eher unauffällige Inhaltsstoffe des Wassers ergeben haben. So oder so, es sind die Sagen und all das Ungewisse, die als kleine Entdeckungen am Wegesrand den Reiz des Wanderns ausmachen.
"Haubentour" - mit Varianten des Autors: