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Bad Kissingen
Wärme, Humor, Fantasie und Neugier: Warum Bad Kissingen der Geschichtenerzählerin Joana Mallwitz zu Füßen liegt
Die Dirigentin bezaubert beim Kissinger Sommer morgens das Publikum beim Gespräch und abends mit einem Sinfoniekonzert, das keine Wünsche offenlässt.
Shooting-Star der internationalen Opern- und Orchesterszene: Joana Mallwitz
Foto: Sima Dehgani | Shooting-Star der internationalen Opern- und Orchesterszene: Joana Mallwitz
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 01.08.2024 02:42 Uhr

Kein männlicher Dirigent wird jemals gefragt, wie er Beruf und Privatleben vereinbare. Die Dirigentin Joana Mallwitz, 38, Shooting-Star der internationalen Opern- und Orchesterszene, verheiratet, Mutter eines Dreijährigen, schon. Sie beantwortet die Frage ebenso freundlich, zugewandt und ernsthaft wie alle anderen Fragen an diesem Vormittag beim Gesprächsformat "Auf einen Kaffee mit..." des Kissinger Sommers. 

Was sie mache, sei kein Beruf, sondern eine "Lebensentscheidung", sagt sie. Es gebe keine Grenze zwischen Privat und Musik. "Und ansonsten versuche ich, das so gut wie möglich hinzukriegen, wie alle anderen auch."

Nächstes Jahr gibt sie ihr Debüt mit Mozarts "Figaro" an der New Yorker Met

Vielleicht ist es diese Fähigkeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, die die Musikerin so erfolgreich, ihre Interpretationen so einzigartig macht. Etwa, wenn sie mal eben die Essenz aller Kunst auf den Punkt bringt: "Es geht am Ende immer um eine Sache: Menschen erzählen anderen Menschen Geschichten."

Joana Mallwitz, die mit 19 in Heidelberg Kapellmeisterin und mit 27 in Erfurt europaweit jüngste Generalmusikdirektorin wurde, die fünf Jahre lang in Nürnberg Furore machte, hat gerade ihre erste - komplett ausverkaufte - Saison als Chefin des Konzerthausorchesters Berlin beendet. Nächstes Jahr wird sie ihr Debüt mit Mozarts "Figaro" an der New Yorker Met geben. An diesem Samstagmorgen liegt ihr der überfüllte Weiße Saal im Regentenbau vom ersten Lächeln an zu Füßen.

'Auf einen Kaffee mit...', das Gesprächsformat des Kissinger Sommers, diesmal mit Joana Mallwitz, Dirigentin, und Alexander Steinbeis, Intendant.
Foto: Mathias Wiedemann | "Auf einen Kaffee mit...", das Gesprächsformat des Kissinger Sommers, diesmal mit Joana Mallwitz, Dirigentin, und Alexander Steinbeis, Intendant.

Am Abend wird sie mit ihrem Orchester Ives, Mendelssohn und Beethoven spielen, und obwohl sie behauptet, an Konzerttagen immer "ganz schrecklich" zu sein, ist sie auf dem Podium mit Intendant Alexander Steinbeis die Entspannung selbst. Es ist diese Mischung aus Wärme, Humor, Fantasie und Neugier auf der Basis einer komplett unprätentiösen Selbstsicherheit, die ihre Präsenz so bannend macht. Sie weiß um die Unerschöpflichkeit der Geschichten, die sich mit Musik erzählen lassen, und sie weiß um ihre Gabe, diese Geschichten zum Leben zu erwecken. Und zwar ohne den "Filter", mit dem sie belegt sind, sei es durch frühere Geschichtenerzähler oder den Nimbus ihrer Bedeutung.

Und so erzählt sie dann auch an diesem Abend. Charles Ives' wunderbare Miniatur "The Unanswered Question" (Die unbeantwortete Frage) könnte bei aller Magie nicht einleuchtender sein. Die Trompete stellt die Frage, die Holzbläser verzetteln sich in Nicht-Antworten, und die Streicher unterlegen das alles mit einem überirdisch schönen, meisterhaft fein gewebten Klangteppich und der Ahnung, dass möglicherweise die Frage schon falsch gestellt ist. Wunderbar.

Die "Eroica" begreift sie nicht als heldischen Kampf, sondern als Organismus

Felix Mendelssohn Bartholdys erstes Konzert für zwei Klaviere ist ein Fest des Könnens und der Souveränität. Die charismatischen niederländischen Brüder Lucas und Arthur Jussen, derzeit wohl angesagtestes Klavierduo überhaupt, brennen ein Feuerwerk an Farben, Timing und Präzision ab, Mallwitz und ihre Berliner sind dabei gelassen engagierte Partner. Dem Jubel des ausverkauften Saals begegnen die Jussens mit einer tief nachdenklichen Bach-Zugabe.

Was sich hier angedeutet hat, bestätigt sich bei Beethovens dritter Sinfonie: Joana Mallwitz fördert einen runden, warmen, dabei vollkommen unsentimentalen Orchesterklang, dosiert sehr durchdacht Laut und Leise, wobei das Leise und gelegentlich die Stille von zentraler Bedeutung sind. Die "Eroica" begreift sie nicht als heldischen Kampf, sondern als einen einzigen, quicklebendigen Organismus, dessen Bestandteile sie mit größtmöglicher Transparenz offenlegt.

Das macht die dramatischen Passagen umso dramatischer, die lyrischen umso anrührender. Und das macht diese Geschichte - bei makelloser Orchesterleistung - zu einer Geschichte der Hoffnung und der Zuversicht. Erfüllender kann ein Konzert nicht sein.

 
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