Mitte März hat sich im Intimen Theater Schloss Maßbach zum letzten Mal der Vorhang geöffnet: für Theodor Storms Dramatisierung des "Schimmelreiters. Seitdem ist die Bühne verwaist. Und auch die nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich so wichtige Freilichtsaison, die normalerweise im Juni beginnt, steht auf ganz wackligen Füßen. Denn niemand kann, trotz aller guten Absichten, heute definitiv sagen, wie sich die Corona-Pandemie weiter entwickeln wird, was für das Theater überhaupt möglich sein wird. Wir haben uns bei Anne Maar , der Chefin des Theaters, nach der Situation und Befindlichkeiten erkundigt. Und auch nach ersten Plänen für die Zukunft. Denn es könnte in einigen Wochen doch wieder losgehen.
Einfach gefragt: Wie gehts?
Anne Maar : Persönlich ganz gut in der letzten Woche. Es geht konkreter in die Planung, es geht wieder los mit dem Proben und Spielen. Es gibt wieder mehr zu tun. Ich war es gar nicht mehr gewöhnt, den ganzen Tag am Schreibtisch und an den E-Mails zu sitzen und dauernd Besprechungen zu haben. Da merke ich, dass ich doch schneller erschöpft bin am Abend. Es gehen ständig ungewohnte Gedanken im Kopf herum: wann der Spielbetrieb wieder beginnt, wie viele Leute man beim Einlass braucht, wer wann wohin geht, wie man die Leute setzt. Oder der Vorverkauf, der nicht mehr online geht, wie der dann abläuft mit den Plätzen, die alle freigelassen werden müssen. Also wie gesagt, wir beschäftigen uns mit Dingen, mit denen ich mich normalerweise nicht beschäftige. Das ist gut, weil es so konkret ist. Ich fand das so unangenehm, überhaupt nichts planen zu können. Man wusste gar nicht: Spielen wir irgendwie, spielen wir irgendwann, unter welchen Bedingungen spielen wir. Und es ist gut, dass wir jetzt wissen, dass wir spielen können; wir haben jetzt ein Probenkonzept, ein Vorstellungskonzept geschrieben, das vom Gesundheitsamt genehmigt werden musste und auch genehmigt wurde. Das jetzt umzusetzen, mit allen zu kommunizieren, das war auch viel Arbeit und steht jetzt bei mir auch ein wenig vor der Freude , dass es jetzt wieder losgeht.
Wie sieht es denn aus mit dem Spielplan? Der ist doch nicht mehr zu halten, auch nicht für nächstes Jahr.
Wir sind immer noch dabei, den Spielplan für die nächste Spielzeit zu ändern. Denn erstens haben wir in dieser Spielzeit ja schon sechs Produktionen abgesagt und verschoben. Wir wollten die nächste Spielzeit mit "Endspiel" von Samuel Beckett beginnen. Das haben wir aber verschoben, weil wir gesagt haben, wir wollen lieber den "Schimmelreiter" wieder aufnehmen. Inzwischen ist aber klar, dass wir den "Schimmelreiter" nicht dann spielen können, wenn wir ihn spielen wollten, weil wir sechs Leute nicht mit Abstand von 1,5 Metern auf die Bühne kriegen - auch die Schauspieler müssen ja Abstand halten. Wir planen jetzt, das zu verschieben zu Lasten eines anderen Stücks. Wir sind immer noch am Basteln, wann wir was überhaupt spielen und was möglich ist mit diesen ganzen Regelungen.
Was war hier los, als die Theaterschließungen verkündet wurden? Gab es so etwas wie eine Schockstarre?
Also erst mal war es ja so, dass wir bis zum 14. März, also relativ lange gespielt haben. Da kam dann auch schon die erste negative Reaktion auf Facebook , so ungefähr: Die Maßbacher spielen noch. Das finden wir unmöglich. In dieser letzten Vorstellung hier im Haus waren dann auch nur noch 20 Zuschauer drin. Es war trotzdem eine sehr gute Atmosphäre mit diesen wenigen Zuschauern. Davor in der Woche hatte es schon angefangen, dass die Gastspielorte alle telefonisch ihre Vorstellungen abgesagt haben. Und am Anfang stand auch noch die Vermutung im Raum: Das wird alles nicht so lange gehen.
Aber dabei blieb es nicht?
Als im Laufe des Märzes so langsam klar wurde, dass die ganze Sache länger geht, das war dann schon etwas Panik: Ja, was machen wir jetzt und wie geht es weiter. Und niemand wusste, wer überhaupt etwas entscheiden konnte. Ich fand das wahnsinnig zermürbend. Wir haben erst einmal für zwei Wochen einen Probenstopp gemacht für "Honig im Kopf", dann noch eine Woche verlängert und schließlich ganz aufgehört - und uns gesagt: Wir fangen erst wieder an, wenn wir wissen, wann wir spielen können.
Was wurde oder wird denn aus dem traditionellen Kinderstück im Sommer?
Für das Kinderstück "Rico, Oskar und die Tieferschatten" waren natürlich Leute engagiert. Denen musste ich Mails schreiben: Tut mir leid, ich kann jetzt noch nicht sagen, wann die Proben anfangen, ob die sich verschieben. Aber dann kam die Absage. Eine Verschiebung war wegen kollidierender Probenzeiten nicht möglich. Und dann spielte noch ein wesentlicher Aspekt mit: Die Schulen werden nicht kommen, die dürfen gar nicht in die Vorstellungen gehen, wir müssen das Stück absagen.
Das gilt ja auch genauso für das Jugendstück im TIP.
Ganz verrückt war's wirklich mit dem Jugendstück "Was glaubst'n Du?!". Wir hatten eine Uraufführung geplant. Der Probenbeginn war auch irgendwann Mitte März. Alle reisten an, am Dienstagvormittag war Konzeptionsprobe. Aber im Laufe des Tages merkte ich: Das ist Quatsch, das wird nicht gehen. Die Schulen werden gar nicht kommen. Und am selben Tag, an dem wir die Proben begonnen haben, haben wir sie auch wieder beendet. Wir haben das Ganze auf nächstes Jahr verschoben. Die Uraufführung eines anderen Jugendstücks, die für nächstes Jahr geplant war, wurde also auf 2022 verschoben. So hat sich der Spielplan für die übernächste Spielzeit aus all den Verschiebungen ergeben, die in dieser Spielzeit und in der nächsten Spielzeit passiert sind.
Wie sieht jetzt das Programm für die Freilichtbühne aus?
Wir werden jetzt nur ein Stück spielen. Das zweite Abendstück hatte ich relativ schnell abgesagt. Ursprünglich dachte ich: Wenn wir "Honig im Kopf" erst so spät spielen können, dann spielen wir es länger auf der Freilichtbühne , und dann nur ein zweites Abendstück, "Cyrano in Chicago". Aber dann wurde klar, dass das nicht funktioniert wegen der Abstandsregelungen. Da hat Rolf Heiermann, der Regisseur , der auch die Bühnenfassung erarbeitet hat, gesagt: "Ich kann das Stück nicht mit Abstand machen. Das ist ein Stück, das spielt in den 30-er Jahren, da verhauen sich Leute, es geht um Liebe, die müssen sich irgendwann verkriechen und küssen können. Das ist auch eine Uraufführung. Das möchte ich nicht unter diesen Bedingungen zum ersten Mal inszenieren." Damit war klar, dass wir dieses Stück eben auch nicht spielen werden.
Wie sieht das dann aus mit dem Jahresetat, der ohnehin schon auf knappe Kante genäht ist? Die Einnahmen aus Kartenverkauf und Gastspielen machen aufs Jahr gerechnet ja immerhin 50 Prozent aus.
Am Anfang war ich ein bisschen panisch, weil ich dachte: Wie soll das alles gehen? Und nach einer Weile haben wir Soforthilfe beantragt und auch sofort bekommen. Zweitens gab es Gespräche mit dem Bayerischen Wissenschafts- und Kunstminister Bernd Sibler , der gesagt hat: Die Zuschüsse werden ganz normal gezahlt, auch wenn wir nicht ganz das machen, was wir in unserem Wirtschaftsplan vorgehabt hätten. Wir haben auch schnell Kurzarbeit beantragt in den verschiedenen Formen: Manche arbeiten gar nicht, manche 10 Prozent, manche 50 Prozent. Außerdem haben wir Einsparungen bei den laufenden Kosten, weil viele Produktionen wegfallen, wir weniger Bühnenbilder und Kostüme brauchen und weniger Gäste verpflichten müssen. So hat sich die Lage wieder entspannt, und ich dachte: Jetzt können wir einfach nur abwarten, bis wir wieder planen können. Ich mache mir jetzt keine Existenzsorgen. Wir werden durchkommen bis Ende des Jahres. Die Frage ist: Wie sieht es nächstes Jahr aus, wenn alle Kommunen kein Geld haben, wenn die Leute kein Geld haben. Was passiert dann?
Lassen sich die Einnahmeausfälle bei der Freilichtbühne wirklich verkraften? Wie viele Besucher dürfen dann überhaupt kommen?
Da passen dann etwa 68 Leute auf die Ränge (normalerweise sind es 313), und wir werden dann bereits ab Mittwoch bis Sonntag spielen - Mittwoch, Donnerstag und Sonntag um 19 Uhr, Freitag und Samstag um 20 Uhr. Dann werden wir sehen, wie es angenommen wird, ob die Leute auch an Wochentagen kommen. Wir haben 59 Vorstellungen damit, und wenn wir diese Vorstellungen alle voll hätten, dann hätten wir 3953 Zuschauer. Ein normales Sommerstück hat eigentlich 4500 Zuschauer und mehr. Die Zahl werden wir nicht erreichen. Aber wir haben halt auch weniger Ausgaben. Man muss aber auch sagen, dass wir wahnsinnig viel Unterstützung von unseren Zuschauern erfahren haben. Die Leute haben gespendet. Wir zeigen jede Woche online eine Inszenierung aus dem Archiv, und dann haben die Schauspieler diesen Blog gemacht, und da gibt es auch immer wieder positive Reaktionen. Das war alles sehr herzerwärmend, dass wir feststellen konnten, dass den Leuten das Theater nicht gleichgültig ist.
Und was habt ihr die ganze Zeit über gemacht?
Wir haben die Zeit auch genutzt, um mit dem festen Ensemble ein bisschen "innere Fortbildung" zu machen. Wir haben einen Workshop gemacht mit einem Figurentheaterspieler. Wir haben uns beim Berliner Theatertreffen online eine Inszenierung angeschaut und darüber geredet, der Sebastian Worch hat mehrmals kleine Vorträge über Aspekte der Theaterarbeit gehalten. Wir haben versucht, in der Zeit nicht nur Masken zu nähen, was wir auch getan haben. Die Schauspieler haben dabei ja mitgeholfen. Das war für sie sehr angenehm, weil sie dachten, sie tun was Sinnvolles und sie haben einfach auch etwas zu tun und warten nicht nur, dass irgendwann mal wieder etwas passiert im Theater. Natürlich geht es uns nicht wirklich gut, denn wir wollen ja eigentlich Theater spielen, das ist ja das wichtigste Anliegen. Und das dürfen wir gerade nicht.
Wie geht es jetzt konkret weiter? Gibt es gesicherte Termine?
Ja, es gibt konkrete Termine. Wir haben am Dienstag (2. Juni) wieder mit den Proben zu "Honig im Kopf" angefangen. Am 3. Juli ist dann Premiere auf der Freilichtbühne (telefonischer Vorverkauf ab 15. Juni unter 09735/235). Die Spielzeit im Intimen Theater werden wir jetzt entgegen den Planungen wohl mit einem Zwei-Personen-Stück eröffnen, wahrscheinlich am 1. Oktober. Das Stück danach, "Nach Paris" des Franzosen Samuel Benchetrit, ein Drei-Personen-Stück, ist coronatauglich inszenierbar. Und dann gucken wir mal weiter, was dann möglich ist.
Das Gesprächführte Thomas Ahnert.