Doch zurück zu den beiden Fragen. Die Rosinenbomber wurden während der Berlinblockade 1948/49 von britischen und amerikanischen Radarsoldaten auf der Wasserkuppe sicher durch den Süd-Luftkorridor nach Berlin geleitet und wieder zurück. Und: Von „Knofewetter“ sprechen Flieger, wenn der Berg in dichten Nebel gehüllt ist.
Namensgeber ist Oskar Knofe, ein Offizier der im Ersten Weltkrieg wegen schlechter Wetterlage einen Aufklärungsflug abbrach und nach seiner Rückkehr am Boden von seinem Vorgesetzten gleich wieder in die Lüfte geschickt wurde. Knofe, später Polizeipräsident von Leipzig, war segelflugbegeistert und oft Gast auf der Wasserkuppe, wie dem neuen Buch zu entnehmen ist.
Wer weiß, was aus der Wasserkuppe geworden wäre, hätten nicht der Flugpionier Oskar Ursinus (1878 bis 1952) und Studenten aus Darmstadt 1911 die höchste Erhebung der Rhön für den Segelflug entdeckt? So viel ist sicher: Es gäbe wahrscheinlich fast 100 Jahre später kein 400 Seiten umfassendes Buch über den „Berg der Flieger“. Autor Jenrich ist Diplom-Biologe und Mitarbeiter der hessischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön auf der Wasserkuppe.
Jenrich ging es darum, in seinem Buch die zahlreichen Facetten des höchsten Bergs Hessens herauszustellen. Dies umfasst auch die Geologie, die Flora und Fauna sowie Tierwelt, aber auch die Geschichte der Besiedlung, der militärischen Nutzung und – mit der Wasserkuppe untrennbar verbunden - des Segelflugs. Illustriert werden die Beiträge mit zahlreichen historischen und aktuellen Fotos. Denn, so Jenrich: Nur aus der Kenntnis der Geschichte heraus schaffen wir eine eigene Identität und ein Bewusstsein für eine nachhaltige Entwicklung.
Die Pioniere des Segelflugs erklommen 1911 die Wasserkuppe auf Feldwegen – und dies mit ihren Fluggeräten. Straßen gab es noch nicht. Von den Einheimischen wurden sie mehr bemitleidet als bewundert. Seit jenen Tagen hat sich viel getan auf der Wasserkuppe. Manchen Touristen, die den Berg der Flieger per Auto „erfahren“ und dann lediglich die Ladenstraße mit Märchenwiese erkunden, bleibt manches Einmalige der Wasserkuppe verborgen. Etwa die größten zusammenhängenden Borstgrasrasen Hessens mit vielen seltenen Pflanzen.
Die Diskussion der vergangenen Monate um die Nutzung des Gipfelbereichs einschließlich des Radoms zeigt für Jenrich, dass „die Wasserkuppe und ihre Geschichte im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit bewusst sind“. Viele Menschen in der Region hätten zu dem Berg „ eine tiefe emotionale Beziehung“, schreibt der Fuldaer Landrat Bernd Woide in seinem Grußwort. Die Wasserkuppe sei eben mehr als nur die höchste Erhebung der Rhön.
Von den zahlreichen Informationen, die in dem Buch den Lesern präsentiert werden, erhofft Otto Evers, eine positive Folgewirkung. Evers ist Leiter der hessischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön. „Möge es den Verantwortlichen gelingen, die Nachfolgenutzung auch im so genannten Technischen Bereich um die letzte Radarkuppel im Sinne einer nachhaltigen Wissensvermittlung im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön zu gestalten“, schreibt er in seinem Grußwort zum Buch Jenrichs.
Neben den Segelfliegern haben die Wanderer die Wasserkuppe erschlossen. Darauf weist die Präsidentin des Rhönklubs, Regina Rinke, hin. Bereits zwei Jahre nach Gründung des Rhönklubs (1876), sei versucht worden, den Berg touristisch zu erschließen.
Mit Blick auf die „Geschäftigkeit“ auf der Kuppe wünscht sich Rinke die Erstellung eines Wasserkuppenkonzepts. „Schließlich ist uns Rhönern durch die Entmilitarisierung des Gipfelbereiches ein ,Schatz zurückgegeben worden, den wir hüten, gestalten und bewahren sollten‘“. Dass dies nicht immer im Blick war, wird im Buch ebenfalls deutlich. Zum einen wurden die Forstbestände auf dem Berg abgeholzt. Aber auch von Motorradrennen auf dem Rhönring rund um die Wasserkuppe wird berichtet. Sicher war dies nicht im Sinn des heutigen Biosphärenreservats.
Bei Lektüre des Buchs findet man heraus, dass der Vorschlag des Fuldaer Landrats Bernd Woide, einen Leuchtturm auf dem Gipfel zu platzieren, so neu nicht ist. Auch wenn das historische Vorbild kein Leuchtturm, sondern ein Wetterbeobachtungsturm war. Der 30 Meter hohe Turm aus Eisen wurde 1937 errichtet und war eine weit sichtbare Landmarke. 1955 wurde er von den Amerikanern abgerissen, weil der Turm die Beobachtungen mit den Radargeräten störte.
Wer sich bei einer Wanderung rund um den Gipfel über Erdlöcher wundert, die wie Bombentrichter aussehen, erhält im Buch Aufklärung. An Pfingsten 1944 wurde die Wasserkuppe Ziel eines Luftangriffs. 13 Menschen, die meisten Kinder, starben. Weil die Flugzeuge ihr eigentliches Ziel nicht erreichen konnten, wurde die Bombenlast auf die Wasserkuppe – ein Zweitziel – abgeworfen. Denn auf der Wasserkuppe waren ein Flugplatz und eine Fliegerschule.
Eng mit der Segelfliegerei verbunden ist das Wetter. Indem Buch findet sich daher auch ein Beitrag des Deutschen Wetterdienstes über dessen Arbeit auf der Wasserkuppe – seit vielen Jahrzehnten. In einer Tabelle sind Wetterextreme auf dem höchsten Berg Hessens aufgeführt. Der jüngste „Rekord datiert vom 18. Januar. Damals wurde mit 173 Stundenkilometern die „maximale Windspitze“ gemessen. Die „maximale jährliche Sonnenscheindauer“ reicht hingegen fast 50 Jahre zurück. Sie lag 1959 bei 2173 Stunden. Das Minimum an Sonnenschein gab es auf der Wasserkuppe1998 mit 1305 Stunden pro Jahr.
„Joachim Jenrich: Die Wasserkuppe – ein Berg mit Geschichte“, 400 Seiten, Verlag Parzeller, 26,90 Euro