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Bad Kissingen
Hans Jonas war „ein Vorbild und ein Freund“
Das wissenschaftliche Erbe des Philosophen Hans Jonas wird seit drei Jahren in Bad Kissingen betreut. Wie es dazu gekommen ist.
Professor Dietrich Böhler und Ehefrau Bernadette bearbeiten den Nachlass des Philosophen Hans Jonas.       -  Professor Dietrich Böhler und Ehefrau Bernadette bearbeiten den Nachlass des Philosophen Hans Jonas.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Professor Dietrich Böhler und Ehefrau Bernadette bearbeiten den Nachlass des Philosophen Hans Jonas.
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 14.06.2024 12:55 Uhr

Vor 120 Jahren am 10. Mai wurde der Philosoph Hans Jonas (1903 bis 1993) in Deutschland geboren, vor 30 Jahren starb er in den USA. Heute ist dieser Philosoph der „Lieblingsdenker“ der Klimabewegung und der Grünen. Seit drei Jahren wird sein umfangreicher Nachlass vom Philosophen Prof. Dietrich Böhler (81), dem Ehrenvorsitzenden des von ihm 1996 gegründeten Hans-Jonas-Zentrums, und seiner Frau Bernadette (52) von Bad Kissingen aus bearbeitet.

Erstes persönliches Treffen 1990

„Hans Jonas war mein Vorbild und wurde später mein Freund“, erzählt Dietrich Böhler über seine anfangs nur wissenschaftlichen, später persönlichen Kontakte mit Hans Jonas, der von 1955 bis 1976 als Professor in New York lehrte und Verfasser unzähliger Schriften und Bücher war, die heute als Standardwerke der Philosophie gelten. Erst 1979 kam Dietrich Böhler, damals selbst schon Professor in Berlin, im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses mit Jonas' Werken in Kontakt. Ein erstes persönliches Treffen ergab sich 1990 in Norwegen, ein weiteres im Jahr 1992 anlässlich der Verleihung der Ehrenpromotion an Hans Jonas an der Freien Universität Berlin , deren Organisator Böhler als damaliger Dekan war. Damals ernannte der fast 90-jährige Jonas seinen 40 Jahre jüngeren Wissenschaftskollegen zu seinem „späten Freund“.

Offizieller Sitz in Siegen

Diese Freundschaft und intensive Beschäftigung Böhlers mit Jonas' Thesen veranlasste ihn, im Jahr 1996 das Hans-Jonas-Zentrum an der FU Berlin zu gründen. Inzwischen hat das Zentrum zwar seinen offiziellen Sitz an der Universität Siegen , doch wird das wissenschaftliche Erbe von Hans Jonas seit drei Jahren in Bad Kissingen im Büro des heutigen Ehrenvorsitzenden Böhler bearbeitet, dem Initiator und Mitherausgeber der „Kritischen Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas“.

Wohin man in dessen Büro auch blickt, überall – auf dem Schreibtisch , den Beitischen oder in der Regalwand – findet man Jonas' Werke oder die von Dietrich Böhler und Kollegen herausgegebenen Bände, die sich mit dessen philosophischen Thesen beschäftigen: Jeder Mensch hat das Recht auf ein dialogförderndes Leben, aber nur in Verantwortung gegenüber anderen.

Thesen immer noch aktuell

Auch 30 Jahre nach Jonas' Tod sind seine Thesen noch immer aktuell, wie Böhler schon in seiner 2009 veröffentlichten Schrift „Zukunftsverantwortung in globaler Perspektive. Zur Aktualität von Hans Jonas und der Diskursethik“ festgestellt hat. Erst kürzlich hielt Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer bei der Besetzung des Dorfes Lützerath das von Jonas bereits 1979 veröffentlichte Buch „Das Prinzip Verantwortung“ in die Kameras. Sein Standardwerk der Umweltethik war 2020 mit einem Nachwort von Vize-Kanzler Robert Habeck als Neuausgabe erschienen.

Doch das von Hans Jonas propagierte „Prinzip Verantwortung“ gilt nicht allein im Sinne des Klima- und Umweltschutzes. Verantwortung für unsere Welt zu übernehmen, gilt in allen Lebensbereichen, wie das im Juni vergangenen Jahres vom Hans-Jonas-Zentrum in Bad Kissingen durchgeführte Symposium zeigte, das sich eigentlich dem Thema „Diskursverantwortung in Krisen- und Kriegszeiten“ widmen sollte. Doch vier Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde das Thema ganz im Sinne von Hans Jonas in „Diskurs trotz Krieg“ geändert.

Kein reiner Pazifist

Jonas war kein reiner Pazifist, sondern war selbst als junger Kämpfer der Jüdischen Brigade im Verbund mit den britischen Streitkräfte im letzten Kriegsjahr nach Deutschland zurückgekehrt. Zuvor hatte er seinen Aufruf an alle jüdischen Männer („Dies ist unser Krieg“) zum Kampf gegen Hitler und die Nazis verbreitet. Ganz im Sinne seines philosophischen Vorbilds widersprach deshalb kürzlich auch Dietrich Böhler öffentlich dem Friedensappell des Historikers Peter Brandt , der Anfang April unter dem Motto „Frieden schaffen“ den sofortigen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine sowie die Aufnahme von Verhandlungen forderte. Böhler: „ Putin ist der moderne Hitler. Wir dürfen nicht Putins Spiel der Atomkriegsdrohung mitspielen und selbstermächtigte ,Friedensappelle’ über die Köpfe der Ukrainer veröffentlichen.“

Die typische „German Angst“ sei doppelt fatal, ist Böhler überzeugt: Einerseits verdrängt sie das in Deutschland von Hans Jonas und anderen entwickelte verantwortungsethische Denken und andererseits zerstört sie die weltweite Allianz gegen Russland. Der Historiker Peter Brandt , so Dietrich Böhler in seiner Stellungnahme weiter, dürfe mit seinem Friedensappell nicht die Friedenspolitik seines eigenen Vaters Willy Brandt verfälschen: „Dessen Entspannungsarbeit beruhte doch gerade auf der Stärke der NATO und der Allianz mit den USA.“

Zweibändige Ausgabe der Korrespondenz

Aktuell arbeiten Dietrich Böhler und Ehefrau Bernadette in ihrem Bad Kissinger Büro an einer zweibändigen, fast 2000 Seiten starken Ausgabe der internationalen Korrespondenz von Hans Jonas mit Philosophen , Theologen , Kulturwissenschaftlern und Biologen. Böhler: „Wer in der Welt hat nicht mit Jonas korrespondiert? Seine Schubladen waren voll.“ Und wenn sich eine Gelegenheit ergibt, soll irgendwann ein zweites Symposium des Hans-Jonas-Zentrums in Bad Kissingen stattfinden.

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