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Maßbach
Von einer Überraschung zur nächsten
Mit "Cyrano in Chicago" die Freilichtspielzeit 2022 im Maßbacher Theater Fahrt auf.
Aus der Komödie 'Cyrano in Chicago': In der Bar von Ray ist Cyrus, Rabauke und Journalist, Stammgast.       -  Aus der Komödie 'Cyrano in Chicago': In der Bar von Ray ist Cyrus, Rabauke und Journalist, Stammgast.
Foto: Sebastian Worch | Aus der Komödie "Cyrano in Chicago": In der Bar von Ray ist Cyrus, Rabauke und Journalist, Stammgast.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 23.08.2022 18:42 Uhr

Mit " Schmetterlinge sind frei " hat die Freilichtspielzeit 2022 im Maßbacher Theater Fahrt aufgenommen, mit "Cyrano in Chicago", einer Uraufführung, geht sie in die zweite Runde. Und das ist eine spannende Fahrt auf zwei Gleisen, die am Ende in Maßbach zusammenlaufen.

Das eine Gleis ist der historische Cyrano de Bergerac, den es tatsächlich gegeben hat. Er wurde 1619 in Paris unter dem Namen Hector Savinien de Cyrano geboren - seine Vorfahren hatten Besitztümer in Bergerac - und starb 1655 in Sannois (Val d'Oise). Er war ein ziemlich umtriebiger Mensch, Dandy und Duellant, Dichter und Philosoph der französischen Frühaufklärung. Einen Namen machte er sich, als es für ihn schon zu spät war: mit seinem Hauptwerk, dem zweiteiligen Roman "L'autre monde". Darin berichtet er von seiner vermeintlichen Reise zum Mond und zur Sonne und von den Gesprächen mit den Bewohnern. Was die so alles sagten, gefiel den Zensurbehörden überhaupt nicht. Deshalb konnte das Werk erst 1657 erscheinen. Da war er schon tot. Aber es machte ihn zum " Vater der Science-Fiction-Literatur".

Wenn die drei Musketiere nicht wären

Allerdings würde trotzdem heute niemand mehr von ihm reden, wenn ihn der französische Neoromantiker Edmond Rostand in seinem 1897 in seinem romantisch-komödiantischen Versdrama "Cyrano de Bergerac" zum Titelhelden und Haudegen im Stil der drei Musketiere gemacht hätte. Und wenn er ihm nicht eine Nase ins Gesicht gedichtet hätte, die selbst Pinocchio ehrliche Komplimente abgenötigt hätte. Aber Rostand brauchte diese Nase, weil sich ihretwegen Cyrano für unliebbar hält. Man sieht schon: Da geht es um innere Werte.

Rostands Text war der Grundstein für eine umfangreiche "Cyranothek": Unzählige Texte und Filme entstanden in den folgenden Jahrzehnten - unter anderem "Cyrano in Buffalo" des Amerikaners Ken Ludwig. Und damit kommen wir auf das zweite Gleis namens Rolf Heiermann. Der hat "Cyrano in Buffalo" 2008 für die Maßbacher Freilichtbühne inszeniert. Das Thema scheint ihn so gefangen genommen zu haben, dass er eine eigene Version geschrieben hat: "Cyrano in Chicago". Die hatte jetzt ihre Uraufführung.

Im Amüsiermilieu von 1938

Rolf Heiermann hat erstaunlich viel von dem Rostand'schen Material in seine Fassung übernehmen können - obwohl das letztlich keine Frage ist, denn das Stück steht sehr gut für sich selbst. Aber um das zu erreichen, hat er dankenswerterweise nicht den Versuch gestartet, es gnadenlos und auf Teufel komm raus in die Gegenwart der 2020-er Jahre zu holen. Das hätte nicht so gut funktioniert. Sondern er hat es in den Tagen um den 30. Oktober 1938 im Amüsiermilieu von Chicago angesiedelt mit all seiner Gewalttätigkeit, seinen mafiösen Strukturen, aber auch seiner Musik. Schon deshalb tut man sich leicht mit dem Lachen, weil alles weit genug weg ist. Aber vor allem lacht man über die Dialoge, die Turbulenzen, die Verwirrungen. Obwohl das alles für die Beteiligten auf der Bühne alles andere als zum Lachen ist.

Der Cyrano ist bei Rolf Heiermann der investigative Journalist Cyrus Russo, den Ludwig hohl als einen ziemlichen Haudrauf spielt, der aber von der Mafia verfolgt wird, weil er sich mit dem Bürgermeister angelegt hat. Sein Makel ist nicht die überlange Nase, sondern - das ist für die Maske einfacher und sieht wirklich scheußlich aus - ein Feuermal an der Nase und am rechten Auge. Andererseits hat er ein weiches Herz, weil er als lyrisch begabter Ghostwriter Liebesbriefe für Chris, den Barpianisten und Automechaniker (Yannik Rey), schreibt. Das Problem: Beide lieben die charismatische Sängerin Roxy (Anna Schindlbeck), und keiner kann es ihr sagen: Cyrus nicht, weil er sich wegen seines Feuermals für unliebbar hält; und Chris nicht, weil er nicht den geringsten Sinn für Romantik hat. Wenn da die Liebesbriefe nicht wären ... Wer das durchschaut, ist Ray Garner (Ingo Pfeiffer), der Besitzer der Musikkneipe "Ray's Corner", in der wir uns befinden. Er ist blind, aber er ist auch der Koch, der nicht immer weiß, wo die Pfannengriffe gerade sind, aber solche Dinge sieht er genau.

Jede Menge Konfliktpotential

Dann ist da noch Monty (Alexander Bräutigam), der Sohn des Bürgermeisters, der unbedingt Barpianist werden soll, obwohl er völlig talentfrei ist. Dass er da reinkommt, dafür soll der schmierige, verschlagene, erpressungserfahrene Anwalt Danny De Soni (Marc Marchand) sorgen, der aber sofort zusammenbricht, al seine Felle davonschwimmen. Und da ist Dolores Moreno (Anna Katharina Fleck), die Puerto-Ricanerin mit köstlichem Akzent, die ihre Schäfchen ins Trockene gebracht hat, indem sie sich Ray Garner an den Hals geworfen hat.

Da ist so viel Konfliktpotenzial versammelt, dass es fast für zwei Stücke reichen würde. Und wenn manchmal die Menschen auf der Bühne verständlicherweise die Übersicht verlieren, müssen das die Zuschauer nicht. Sie können die vielen Überraschungen genießen, in die die Akteure immer wieder hineinstolpern, weil sie einfach schon mehr wissen.

Aber das Sextett auf der Bühne kann auch nicht verbergen, dass es trotz oder vielleicht gerade wegen des hohen Tempos ihre Rollen mit Genuss ausspielen. Zumal sie sich in dem zeittypischen, wunderbar abgenutzten und ein bisschen verramschten Bühnenbild von Anita Rask-Nielsen, bei dem man den kalten Rauch geradezu riecht, und in den passenden Kostümen von Jutta Reinhard und ihrem Team bestens aufgehoben fühlen können. Die Maßbacher Freilichtheaterfahrt geht mit Volldampf weiter.

 
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