
Man nehme eine klassische Vorgabe plus begnadeten Violinisten plus tanzbare Breakbeats plus experimentierfreudiges Ensemble – und schon hat man ein Rezept, mit dem man das Publikum im ausverkauften Bad Kissinger Kurtheater in Ekstase versetzen kann. Gelungen ist diese kongeniale Mischung der Produktion "Free Vivaldi – Four Seasons meets Streetdance", die Vivaldis Jahreszeiten durch Manuel Druminskis Violine einen zeitgenössischen Rahmen gab, der durch die Tänzerinnen und Tänzer der M.A.K. Company mit tollen Choreographien ausgefüllt wurde.

Wie erschließt man die klassischen Musikrichtungen einem jüngeren Publikum ? Diese Frage stellten sich der Violinist Manuel Druminski und Maryam Anita Khosravi, die die Interpretationen zu Vivaldis Jahreszeiten für das Ensemble der M.A.K. Company choreographisch übersetzte. Beantwortet wurde diese Frage mit einem Crossover aus den verschiedensten Stilrichtungen, der seinen musikalischen Reiz durch die Verbindung klassischer Musik mit wummernden Beats und Hip-Hop-Rhythmen bekommt und damit den Rahmen für die typischen Körperbewegungen bilden, die sich auf den Straßen New Yorks entwickelt haben und mittlerweile eine weltweit anerkannte Tanzform mit eigenen stilistischen Ansätzen ist.

Imaginäres aus dem Jahreszeitenzyklus
Ergänzt wurde die Darbietung durch eindrucksvolle Elemente des Ausdruckstanzes, die die imaginären Bilder des Jahreszeiten-Zyklus teils ballettartig, teils durch fließende Interpretationen visualisierten. Unterstützt wurde die Performance der insgesamt zehn Akteure durch ausgeklügelte Lichtarrangements, die die Tänzerinnen und Tänzer sogar in der Tiefe der Kissinger Bühne zur Geltung brachten, und durch ein animierendes Farbenspiel, das dem wallenden Bühnennebel eine mystische Aura bescherte.
Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten" aus Anfang des 18. Jahrhunderts bestehen aus vier Solokonzerten, für die der Komponist jeweils eine poetische Vorgabe verfasst hat und die als Leitfaden für das musikalische Geschehen zu lesen sind.

Diese als "Sonett" verfassten Stimmungsmalereien für Frühling, Sommer, Herbst und Winter standen jeweils am Anfang der vier Sequenzen des Konzertabends . Dabei lag es in den Händen von Manuel Druminski, diese Stimmungsbilder mit seinem virtuosen Violinenspiel umzusetzen und damit die übrigen Akteure auf der Bühne zu steuern beziehungsweise ihnen einen Raum für die unterschiedlichsten Interpretationen zu überlassen. Druminski stellte dabei Vivaldis Kompositionen nicht in den Mittelpunkt, sondern nutzte sein per Verstärker unterstütztes Instrument und seine eher unscheinbare, aber sichtbare Präsenz für die Überleitungen zwischen den unterschiedlichen Stilrichtungen. Stets waren bei seinem Spiel die klassischen Ansätze spür- und hörbar und wurden durch Streichersätze aus dem digitalen Off unterstützt, jedoch zeigte er auch meisterhaft, wozu die Violine noch in der Lage ist.
Perfekte Synchronität
Nicht nur den Ohren des Publikums wurden durch gekonntes Violinspiel in Verbindung mit einem satten Mix aus spannendem Breakbeats, elektrisierendem Techno, zündendem Funk oder gerappten Hip-Hop sehr viel geboten. Der musikalische Crossover bildete die tanzbare Plattform für den choreographischen Ideenreichtum und die tänzerischen Qualitäten des M.A.K.-Ensembles, das dank der Phantasie von Choreographin Maryam Anita Khosravi als Solisten, als Paare oder in voller Personalstärke alle Stilrichtungen des Breakdance auf der Bühne präsentierte. Das sogenannte "Top Rocking" als Tanzen im Stehen, das die Formation in perfekter Synchronisation darbot, wurde ergänzt durch "Footworks" als Tanzen auf dem Boden mit artistischen Einlagen wie einarmiger Handstand oder der Beinkreisel, die nicht nur die Fitness der Akteure, sondern auch ihre Körperbeherrschung zeigte.

Spektakulär auch die schnellen Drehbewegungen, die als "Powermoves" bekannt sind und mal auf dem Rücken liegend, mal als "Head Spin" auf dem Kopf ausgeführt werden und meist in einer eingefrorenen Bewegung ("Freeze") enden. Doch dies war nur die eine Seite der Medaille, denn ebenso begeisterte das Ensemble mit klassischen Elementen aus dem Ballett oder der emotionalen Kraft, die im modernen Ausdruckstanz steckt. Gerade hier kamen die Stimmungsbilder aus Vivaldis "Sonetten" besonders zur Geltung, wenn Wiesen und Hirten, die drückende Hitze des Sommers, die sich Donner und Blitz entlädt, oder die herbstliche Jagd in den Winter mit Schnee und Eis übergeht.
Zunächst zögerlich
Unabhängig vom brillanten Können aller Akteure sprang der Funke nicht von Anfang an auf das Publikum über. Zögerlich reagierte es anfangs auf die unkonventionelle Mischung aus Klassik und Beat, aus modernem Ausdruckstanz und dynamischem Streetdance. Doch mit jeder Sequenz zeigte sich die Vielseitigkeit, die Modernität und die Symbiose aus einem über 300 Jahre altem Können mit der zeitgenössischen Präsentation dieser jahreszeitlichen Bilderwelten – beispielhaft und eindringlich eingefangen im "Gebet an den Planeten" von Thomas D.
Die Faszination des Publikums steigerte sich bis zum Schluss des Konzerts und entlud sich im frenetischen Applaus mit "Standing Ovations", was die Akteure auf der Bühne sehr berührte.

