Es war ein sehr schöner und passender Abschluss des Doppeljubiläumsjahrs an der Herz-Jesu-Stadtpfarrkirche: 25 Jahre Stadtkantor Burkhard Ascherl und 25 Jahre Schuke-Orgel. Das Schlusskonzert des 30. Bad Kissinger Orgelzyklus spielte der Chef selber - gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Ascherl nach dem Motto: "Sopran trifft Orgel ". Das Programm war dem Anlass angemessen mit interessanten, weniger bekannten und zum Teil spektakulären Werken vom norddeutschen Orgelbarock bis ins 20. Jahrhundert.
Präludium und Fuge
Mit Präludium und Fuge G-dur von Nikolaus Bruhns, dem bekannten Kollegen in Husum, eröffnete Burkhard Ascherl das Konzert. Und es wurde deutlich, was sich durch die ganze musikalische Stunde zog. Ascherl ist ein Organist, der sich sehr viele Gedanken über Registrierungen zu machen scheint, der, nicht zuletzt aus Notwehr gegen die schwierige Akustik der Kirche, neben einem verkürzten Anschlag mit Klangfarben Strukturen schafft. Dem toccatenhaften Präludium kam das außerordentlich entgegen. Sehr virtuos und federnd vorwärtstreibend wirkte es geradezu wie frisch improvisiert, und auch die Fuge hatte eine erstaunliche Leichtigkeit. Mit der Sopranarie "Gottes Engel weichen nie" aus der Kantate "Man singt mit Freuden vom Sieg" BWV 149 von Johann Sebastian Bach , deren Orchesterpart Burkhard Ascherl für Orgel bearbeitet hat, kam der Leipziger Barock ins Spiel. Man merkte Brigitte Ascherls große Erfahrung auf diesem Gebiet.
Natürlich musste sie von der Empore aus extrem Druck machen, um das Kirchenschiff zu füllen. Aber sie flüchtete sich nicht in ein verstärkendes Tremolo, sondern behielt den klaren, geraden Ton. Und im Zusammenwirken mit der weichen, in langen Bögen spielenden Orgel wurde deutlich, wieviel an Emotionen auch diese Kombination transportieren kann.
Als ein launiges Lied erwies sich "A Song of Sunshine" des Engländers Alfred Hollins, der ein hervorragender Klavier- und Orgelvirtuose gewesen sein muss.
Der Quedlinburger Albert Becker war der am wenigsten bekannte Tonsetzer in diesem Programm, und das ist kein Wunder. Denn gerade weil Brigitte und Burkhard Ascherl das Lied "Meine Seele ist stille zu Gott" op. 25/2 so klar und durchsichtig in einem gewissen Gebetston musizierten, wurde deutlich, dass Becker sicher ein sehr sorgfältiger, den formalen Traditionen verhafteter, aber nicht allzu wagemutiger oder origineller Romantiker war.
Größer hätte der Kontrast nicht sein können: César Francks Orgelchoral Nr. 2 h-moll bot Burkhard Ascherl die Gelegenheit, raffinierte komponierte Architektur zu zeigen. Er machte dieses klangstarke, orchestral gedachte Werk in der Chaconne mit starken Crescendi und abrupter Rhythmik zu einem gut durchhörbaren, aber immer wieder überraschenden Klanggebirge. Und er zeigte in einer Klarheit, die man selten hört, dass Franck am Ende der Fuge beide Themen in Manual und Pedal gegeneinander führt und harmonisch transponiert. Keoine leichte, aber spannende Kost.
Ein hochinteressantes und auch ein bisschen rätselhaftes Stück war die Vertonung des 23. Psalms für Sopran und Orgel von Franz Liszt mit einer Textfassung von Johann Gottfried Herder . Rätselhaft deshalb, wie die rechte Hand des Organisten mit ständig fließenden Arpeggien so etwas wie Barcarolenstimmung erzeugte. Aber man musste sich nur klar machen, dass Liszt das Werk ursprünglich für Sopran, Orgel und Harfe geschrieben hat, deren typische Glissandi in die rechte Hand eingearbeitet waren, und die Burkhard Ascherl auch sehr fließend spielte. Für die Singstimme war damit ein mächtiger Gegner entstanden. Aber die Sopranpartie ist dadurch leichte und schwierig zugleich zu singen. Leicht, weil Liszt, von ein paar Triolen oder Vorschlägen abgesehen, weitestgehend auf Verzierungen verzichtet hat, die ohnehin untergehen würden, und die Stimme wie einen Cantus firmus angelegt hat. Schwer, weil es viel Mut und vor allem Atem kostet, sich mit diesen langen Tönen gegen die Übermacht der Orgel zu stemmen. Brigitte Ascherl schaffte das ausgezeichnet, wobei ihr ihre so präzise Intonation sehr entgehen kam: Sie musste keine Kraft für die Fokussierung der Töne verbrauchen.
Zum Abschluss spielte Burkard Ascherl einen echten organistischen "Aberwitz": das Carillon "tu es petra", den letzten Satz aus den "Esquisses Bytanthines" ("Byzantinische Skizzen"), die der Pariser Organist Henri Mulet zwischen 1914 und 1919 geschrieben hat - eine Toccata, die die Grenzen der Spielbarkeit weitergetrieben hat.
Das ist eine Musik, die nicht die Hände an die Ränder der Manuale auseinandertreibt, sondern im Gegenteil in der Mitte konzentriert und gegeneinander führt und überkreuzt, die in ihrer Linearität die Minimal Music eines Philip Glass vorwegzunehmen scheint. Zwar steht "nur" Allegro drüber, aber es sind durchgehende Sechzehntelfiguren, die mit Unerbittlichkeit vorangetrieben werden müssen - und es gibt in den knapp fünf Minuten nicht eine einzige Stelle, an der man sich mal an der Nase kratzen kann. Stattdessen muss man aus diesem Staccato-Dauerfeuer Melodisches entwickeln, was im Pedal noch relativ einfach geht. Aber auf den Manualen braucht"s enorme Konzentration und Kondition, um sich nicht zu verhaspeln. Burkhard Ascherl spielte dieses Werk mit tollem Zugriff, präzise wie ein Metronom ohne jedes Verzögern oder Innehalten, mit plastischer dynamischer Strukturierung, absolut mitreißend. Und er hatte die Anschläge so stark gekürzt, dass dieses Klangfeuerwerk trotz der problematischen Akustik erstaunlich durchhörbar blieb. Da konnte man richtig gute Laune bekommen.