Bad Kissingen
Vielfarbiges Kaleidoskop
Beim Gastspiel des Alten Schauspielhauses Stuttgart gab es alles andere als eine trockene Geschichtsstunde über den Reformator Martin Luther.
Es war schon immer eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst, scheinbar klar definierte Dinge aus einem anderen, neuen, vielleicht auch verstörenden Blickwinkel zu betrachten. Zu diesem Zweck besann sich aus Anlass des Lutherjahres 2017 das Alte Schauspielhaus Stuttgart ausgerechnet eines Stückes, das man schon lange, seit fast 50 Jahren, in den Regalen der deutschen Literaturgeschichte verstaut und verstaubt geglaubt hatte. Dieter Fortes Geschichtspanorama "Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung" entsprach bei seiner gefeierten Uraufführung 1970 genau dem Geist der autoritätskritischen Haltung der Studenten.
Wie all die vielen Fäden und Ränkespiele von Kaiser, Papst, den Kurfürsten und vor allem Fugger über ganz Europa hinweg geflochten werden, zeigt Forte in einer Menge klar konturierter kurzer Szenen, die der Chronologie von Fuggers Erhebung zum Reichsgrafen 1514 bis zum Ende des Bauernkrieges 1525 folgen und die bekannten Stationen im Leben Luthers in Wittenberg, Worms, der Wartburg und Rom umfassen.
Forte betont, dass er den Text seines Stückes im Wesentlichen aus Originalquellen zusammengestellt hat, Luthers Leben zeigt er durch seine Auswahl aber aus einem anderen Blickwinkel als gewohnt. Dass das Ganze aber keineswegs zur trockenen Geschichtsstunde auf dem Theater wurde, liegt vor allem daran, dass der Regisseur der Stuttgarter Aufführung, Manfred Langner, das Stück mit viel Gespür für Publikumswirksamkeit, Spannung und Humor inszeniert hat. Er ließ sich auf die im Text vorhandenen Möglichkeiten ein, aus den historischen Gestalten Menschen aus Fleisch und Blut zu machen, die uns mit der Wiedererkennbarkeit von Zeitgenossen unserer Tage ihre Eitelkeiten, Grobheiten, Unflätigkeiten zeigen.
Der Reformator darf auch auf der Bühne der sein, den man aus seinen Briefen schon kennt: Der zweifelnde, den Machtspielchen der Oberen ausgelieferte, gelegentlich auch eitle und rechthaberische Mensch mit ziemlich drastischer Sprache.
Das Tempo der Aufführung war sehr genau getaktet, die vielen Szenenwechsel im einheitlichen bühnenportalhohen, von schweren Holzpfeilern und Tragebalken umgrenzten Raum erfolgten blitzschnell und absolut präzise. Durch eine geschickt temperierte Lichtregie wurde in den Herrschaftsräumen und Bürgerstuben eine individuelle Atmosphäre geschaffen (Ausstattung: Dietmar Tessmann).
Wie durch ein ständig bewegtes, vielfarbiges Kaleidoskop wurde der Zuschauer durch das Europa der Reformation geführt, wurden die Akteure in rascher Abfolge schlaglichtartig in ihren Konturen greifbar, das komplexe Macht- und Beziehungsgeflecht verdeutlicht.
Das Stuttgarter Ensemble fühlte sich wohl in dem vielköpfigen Gefüge; bei denjenigen, die mehrere Rollen zu spielen hatten, bediente sich der Regisseur nicht nur bei deren enormer Wandlungsfähigkeit, sondern auch mal bei den guten alten Tricks der Karikatur und Überzeichnung wie bei Richard Erbens zickigem Papstemissär Miltitz oder seinem spätpubertär-albernen Karl V.
Marcus Born hatte für die sächsischen Kurfürsten Friedrich III. und Bruder Johann den übereifrig sächselnden Machtmenschen und den aalglatten Lavierer zur Verfügung. Armin Jung ließ Ulrich von Hutten vertraulich schwäbeln, war ein unauffällig gerader Wartburg-Burggraf Hans von Berlepsch, aber ein eindrucksvoller kühl argumentierender Kardinal Cajetan. In Gregor Eckerts Mimik als Fuggers devoter Buchhalter spiegelten sich die Hintergedanken seines Herrn; als Reformator Karlstadt war er ganz die ehrliche Haut, die die Reformation auch sozial zu Ende bringen will.
Sophie Schmidt, die einzige Frau im Ensemble, war plausibel sowohl als Brandenburgs Dirne als auch als strenge politische und sexuelle Ziehmutter des Kaiseranwärters Karl. Darüber hinaus fungierte sie aber auch noch als Bindeglied direkt in unsere Zeit, indem sie als forsche Reporterin unserer Tage räumliche und zeitliche Schranken durchbrach und Luther und die Machthaber zu Hintergrundinformationen vor ihr Mikro zu bekommen versuchte.
Reinhard Froboess hatte die beiden mächtigsten Männer der Lutherzeit zu verkörpern und tat das bei Kaiser Maximilian mit habsburgisch-gemütlichem Wienerisch und als Papst Leo X. mit all der Arroganz eines Medici-Abkömmlings, dem die ganze Theologie egal ist; als ernsthafter Revolutionär Heinrich Pfeiffer gab er zudem den ehrlichen Bauernanführer.
Auch die Einzel-Rollen waren durchweg sehr gut besetzt: Markus Vogelbacher war als Spalatin ein äußerlich unbewegter Taktierer mit eiskalter Ausstrahlung, Martin Böhnlein ein narzisstischer, genusssüchtiger machtgeiler, skrupelloser Albrecht von Brandenburg.
Jan Uplegger gab großartig den stoischen, arroganten, leise gefährlichen Drahtzieher Fugger, undurchschaubar und immer aus dem Schatten agierend. Jörg Pauly war als Münzer glaubhaft begeistert, doch hätte man sich ein bisschen mehr Furor in der Darstellung seiner politischen Gefährlichkeitzer vorstellen können.
Die Rolle Martin Luthers war mit Thomas Henniger von Wallersbrunn nicht nur rein äußerlich optimal besetzt. Ernsthaftigkeit und Zweifel, Standhaftigkeit und plötzliche Loyalitätswechsel, Genügsamkeit und Verführbarkeit durch Ansehen und weltliche Güter ließen sich bei seinem Spiel als vereinbar in einer Person erfahren.
Denn dieser Luther beim Theaterring erschien zum Ende der 32. Spielzeit als eine schillernde, greifbare, interessante Figur, völlig unbeschwert durch 500 Jahre Mythen- und Legendenbildung.
Vom Publikum gab es heftigen Schlussapplaus für die Stuttgarter; die Truppe wurde einige Aufzüge lang mit rhythmischem Klatschen gefeiert.
Ränkespiele
Wie all die vielen Fäden und Ränkespiele von Kaiser, Papst, den Kurfürsten und vor allem Fugger über ganz Europa hinweg geflochten werden, zeigt Forte in einer Menge klar konturierter kurzer Szenen, die der Chronologie von Fuggers Erhebung zum Reichsgrafen 1514 bis zum Ende des Bauernkrieges 1525 folgen und die bekannten Stationen im Leben Luthers in Wittenberg, Worms, der Wartburg und Rom umfassen.
Forte betont, dass er den Text seines Stückes im Wesentlichen aus Originalquellen zusammengestellt hat, Luthers Leben zeigt er durch seine Auswahl aber aus einem anderen Blickwinkel als gewohnt. Dass das Ganze aber keineswegs zur trockenen Geschichtsstunde auf dem Theater wurde, liegt vor allem daran, dass der Regisseur der Stuttgarter Aufführung, Manfred Langner, das Stück mit viel Gespür für Publikumswirksamkeit, Spannung und Humor inszeniert hat. Er ließ sich auf die im Text vorhandenen Möglichkeiten ein, aus den historischen Gestalten Menschen aus Fleisch und Blut zu machen, die uns mit der Wiedererkennbarkeit von Zeitgenossen unserer Tage ihre Eitelkeiten, Grobheiten, Unflätigkeiten zeigen.
Der Reformator darf auch auf der Bühne der sein, den man aus seinen Briefen schon kennt: Der zweifelnde, den Machtspielchen der Oberen ausgelieferte, gelegentlich auch eitle und rechthaberische Mensch mit ziemlich drastischer Sprache.
Genau getaktet
Das Tempo der Aufführung war sehr genau getaktet, die vielen Szenenwechsel im einheitlichen bühnenportalhohen, von schweren Holzpfeilern und Tragebalken umgrenzten Raum erfolgten blitzschnell und absolut präzise. Durch eine geschickt temperierte Lichtregie wurde in den Herrschaftsräumen und Bürgerstuben eine individuelle Atmosphäre geschaffen (Ausstattung: Dietmar Tessmann). Wie durch ein ständig bewegtes, vielfarbiges Kaleidoskop wurde der Zuschauer durch das Europa der Reformation geführt, wurden die Akteure in rascher Abfolge schlaglichtartig in ihren Konturen greifbar, das komplexe Macht- und Beziehungsgeflecht verdeutlicht.
Das Stuttgarter Ensemble fühlte sich wohl in dem vielköpfigen Gefüge; bei denjenigen, die mehrere Rollen zu spielen hatten, bediente sich der Regisseur nicht nur bei deren enormer Wandlungsfähigkeit, sondern auch mal bei den guten alten Tricks der Karikatur und Überzeichnung wie bei Richard Erbens zickigem Papstemissär Miltitz oder seinem spätpubertär-albernen Karl V.
Marcus Born hatte für die sächsischen Kurfürsten Friedrich III. und Bruder Johann den übereifrig sächselnden Machtmenschen und den aalglatten Lavierer zur Verfügung. Armin Jung ließ Ulrich von Hutten vertraulich schwäbeln, war ein unauffällig gerader Wartburg-Burggraf Hans von Berlepsch, aber ein eindrucksvoller kühl argumentierender Kardinal Cajetan. In Gregor Eckerts Mimik als Fuggers devoter Buchhalter spiegelten sich die Hintergedanken seines Herrn; als Reformator Karlstadt war er ganz die ehrliche Haut, die die Reformation auch sozial zu Ende bringen will.
Sophie Schmidt, die einzige Frau im Ensemble, war plausibel sowohl als Brandenburgs Dirne als auch als strenge politische und sexuelle Ziehmutter des Kaiseranwärters Karl. Darüber hinaus fungierte sie aber auch noch als Bindeglied direkt in unsere Zeit, indem sie als forsche Reporterin unserer Tage räumliche und zeitliche Schranken durchbrach und Luther und die Machthaber zu Hintergrundinformationen vor ihr Mikro zu bekommen versuchte.
Reinhard Froboess hatte die beiden mächtigsten Männer der Lutherzeit zu verkörpern und tat das bei Kaiser Maximilian mit habsburgisch-gemütlichem Wienerisch und als Papst Leo X. mit all der Arroganz eines Medici-Abkömmlings, dem die ganze Theologie egal ist; als ernsthafter Revolutionär Heinrich Pfeiffer gab er zudem den ehrlichen Bauernanführer.
Auch die Einzel-Rollen waren durchweg sehr gut besetzt: Markus Vogelbacher war als Spalatin ein äußerlich unbewegter Taktierer mit eiskalter Ausstrahlung, Martin Böhnlein ein narzisstischer, genusssüchtiger machtgeiler, skrupelloser Albrecht von Brandenburg.
Jan Uplegger gab großartig den stoischen, arroganten, leise gefährlichen Drahtzieher Fugger, undurchschaubar und immer aus dem Schatten agierend. Jörg Pauly war als Münzer glaubhaft begeistert, doch hätte man sich ein bisschen mehr Furor in der Darstellung seiner politischen Gefährlichkeitzer vorstellen können.
Die Rolle Martin Luthers war mit Thomas Henniger von Wallersbrunn nicht nur rein äußerlich optimal besetzt. Ernsthaftigkeit und Zweifel, Standhaftigkeit und plötzliche Loyalitätswechsel, Genügsamkeit und Verführbarkeit durch Ansehen und weltliche Güter ließen sich bei seinem Spiel als vereinbar in einer Person erfahren.
Langer Schlussapplaus
Denn dieser Luther beim Theaterring erschien zum Ende der 32. Spielzeit als eine schillernde, greifbare, interessante Figur, völlig unbeschwert durch 500 Jahre Mythen- und Legendenbildung. Vom Publikum gab es heftigen Schlussapplaus für die Stuttgarter; die Truppe wurde einige Aufzüge lang mit rhythmischem Klatschen gefeiert.
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