Für viele Gläubige einer Pfarrgemeinde im Raum Bad Kissingen ist vor einigen Wochen eine Welt zusammengebrochen. Ihr langjähriger Pfarrer wird beschuldigt, eine junge Frau sexuell missbraucht zu haben.
Zugetragen haben sollen sich die Taten zwischen 1968 und 1973 in Polen, wo der Pfarrer damals noch wirkte. Der Mann, er ist seit einigen Jahren im Ruhestand, räumte die Vorwürfe „weitgehend“ ein, sprach aber von „einvernehmlichem Handeln“. Jetzt waren Generalvikar Thomas Keßler und weitere Vertreter des Bistums in der Pfarrgemeinde, um im Gespräch mit Gläubigen den Vorfall aufzuarbeiten.
Dass Keßler, Diözesanrichter Klaus Schmalzl, Gemeindeberater Klaus Roos und Schwester Dagmar Fasel dabei nicht von einer Welle der Empörung erfasst wurden, lag nicht nur an der Gefasstheit der Menschen in einem fast bis auf den letzten Platz gefüllten Pfarrheim. Es lag auch an Zeichen der Demut, welche die Diözese aussandte. Keßler entschuldigte sich mehrfach. Für den mutmaßlichen Täter. Für die lange Zeit vom ersten Hinweis bis zum entschlossenen Umgang damit. Für das späte Gespräch mit der Gemeinde. Und für das „nicht funktionierende Krisenmanagement“ der Diözese.
Kritische Fragen
Dennoch: Kritische Fragen stellten die Besucher des Gesprächsabends schon. Ob bis zur Aufarbeitung auch eineinhalb Jahre vergangen wären, wenn sich der Vorwurf gegen eine einfache Erzieherin im katholischen Kindergarten gerichtet hätte, fragte einer. Unsicherheit, ob er kirchliches Engagement seiner kleinen Schwester weiter unbefangen zulassen könne, formulierte ein anderer. Auch zum geringen Alter des mutmaßlichen Opfers – laut Schmalzl war sie anfangs 15 oder 16 – gab es kritische Anmerkungen.
Gedanken machen sich einige auch über den weiteren Umgang mit dem Ruhestandspriester. Ein Vorwurf lautete, warum man die Sache so lange vor sich „hindümpeln“ lasse und den mutmaßlichen Täter nicht bewege wegzugehen. Keßler, der eine besondere Verbindung zum Raum Bad Kissingen hat, weil er vor seiner Berufung zum Generalvikar hier Dekan war, berichtete dazu, er habe den Mann aufgefordert, den Wohnsitz in seiner früheren Pfarrei aufzugeben. Und in der Tat werde er noch in der ersten Jahreshälfte in betreutes Wohnen wegziehen.
Vorher hatten Keßler und Schmalzl die Entwicklung und den augenblicklichen Stand des Falles beschrieben. Erstmals auf den Fall angesprochen worden ist er von der Frau nach eigenen Angaben noch 2014. Er habe die Sache Klaus Laubenthal weitergegeben, einen Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Uni Würzburg, der Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Diözese ist. Bis zu einem ersten Treffen Laubenthals mit ihr vergingen einige Monate. Die Anhörung des Ruhestandspfarrers erfolgte Ende September.
Dass der Generalvikar mittlerweile als Sanktion das Verbot, öffentlich priesterlich zu wirken, ausgesprochen hat, erzielt nach Angaben von Besuchern des Gesprächsabends noch nicht die volle Wirkung. Außerhalb der ehemals eigenen Pfarrgemeinde habe er trotzdem Seelenämter gehalten. Für die Zukunft werde das „zu verhindern sein“, sagte Keßler.
Zudem kämen auch solche Dinge in die Akten und die gehen nach Abschluss der kirchlichen Voruntersuchung an die Glaubenskongregation nach Rom. Dort werde am Ende über eine Strafe entschieden.
Wie die ausfallen könnte, wollten einige wissen: In schweren Fällen, so die Antwort, könne das bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand gehen. Auch deutliche Kürzungen der Pension seien dankbar.
Keine strafrechtlichen Folgen?
Das Verhalten der Kirche ist die eine Sache. Wie die weltliche Justiz mit dem Fall umgeht, eine andere. Der mutmaßliche Täter hat sich nach Aufforderung des Generalvikars selbst angezeigt. Er sei auch von der Kriminalpolizei verhört worden. Ob der Vorgang für ihn strafrechtliche Folgen hat, ist dennoch fraglich. Häufig, das sagt auch die Diözese, werde die Verfolgung ähnlicher Fälle wegen Verjährung eingestellt. Dass sich die vorgeworfenen Taten in Polen zugetragen haben sollen, macht die Strafverfolgung in Deutschland bestimmt auch nicht einfacher.
Grundsätzlich, so Schmalzl, werde die Kirche Missbrauch mit aller Entschiedenheit verfolgen und nach ihren Möglichkeiten aufklären. Dennoch habe auch ein mutmaßlicher Täter „menschenwürdige Behandlung verdient“, so Keßler. Schmalzl warnte übrigens davor, den Umstand, dass die Frau ihre Vorwürfe erst nach Jahrzehnten vorgetragen habe, als Zeichen für mangelnde Glaubwürdigkeit zu nehmen.
Es sei in solchen Fällen normal, dass das Erlittene über Jahrzehnte tief im Inneren vergraben sei.
Im weiteren Verlauf des Gesprächsabends stellte Schwester Dagmar Fasel, die Präventionsbeauftragte des Bistums, vor, was es seitens der Diözese auf diesem Gebiet gibt. Seit 2013 hätten Frau muss schon fast 5000 Teilnehmer die Angebote genutzt. Die jetzt betroffene Pfarrgemeinde gehörte zu den ersten.
Lasst sie doch endlich nach der Schöpfungsgeschichte leben: Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde!!!!!