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Poppenhausen (Wasserkuppe)
Vertrauen in 800 Metern Höhe
Mit Boris Kiauka sicher über die Flure und Hänge der Rhön: Eine junge Journalistin waget einen Tandem-Gleitschirmflug auf dem Pferdskopf.
Am Himmel sind die Leinen des Gleitschirms unscheinbar. Das tut der Sicherheit aber keinen Abbruch, denn die Kunstfaser ist enorm reißfest. Nadine Buß, Volontärin der Fuldaer Zeitung, wagt mit Boris Kiauka einen Selbstversuch. Thomas Ladewig       -  Am Himmel sind die Leinen des Gleitschirms unscheinbar. Das tut der Sicherheit aber keinen Abbruch, denn die Kunstfaser ist enorm reißfest. Nadine Buß, Volontärin der Fuldaer Zeitung, wagt mit Boris Kiauka einen Selbstversuch. Thomas Ladewig
| Am Himmel sind die Leinen des Gleitschirms unscheinbar. Das tut der Sicherheit aber keinen Abbruch, denn die Kunstfaser ist enorm reißfest.
Redaktion
 |  aktualisiert: 18.08.2022 18:40 Uhr
"Das Einzige, was du falsch machen kannst, ist stehen zu bleiben", erklärt Boris Kiauka, mein Tandempartner, der mir auf dem 874 Meter hohen Pferdskopf Anweisungen für den Start gibt: "Auf mein Kommando läufst du den Hang hinunter." Der Windsack zeigt in unsere Richtung - die Luft bringt jedoch nur ein paar Grashalme zum Tanzen. Ich trage Fleecepullover und Regenjacke.
Meine Hände - kalt wie Eiszapfen.

Auf dem Hang kontrolliert Boris jeden einzelnen Verschluss und zieht die Gurte nach - seine Handgriffe sind routiniert. Fest verzurrt stellt er sich dann hinter mich und klinkt die Karabinerhaken in die Schlaufen ein. Meine Bewegungsfreiheit ist jetzt eingeschränkt. Nun müssen wir fest miteinander verbunden sein.

Der 43-Jährige fliegt seit über 20 Jahren. Mit dem Paraglider ist er unter anderem schon in den Alpen und den Anden gewesen. Heute ist er einer von zwei Geschäftsführern der Flugschule Papillon auf der Wasserkuppe - der größten weltweit. Wie beim 100-Meter-Lauf warte ich auf den Startschuss. Doch: Als hätte jemand auf Zeitlupe-Modus umgestellt, ziehen sich die Sekunden bis zu Boris Signal. Ich spüre mein Herz langsam schlagen. Mein Brustkorb fühlt sich an, als wäre ich kurz unter Wasser getaucht. Angst empfinde ich jedoch keine. Schon am Telefon hatte mir meine Vertrauensperson das Gefühl gegeben, ein langjähriger Freund von mir zu sein. "Nadine, wir sorgen dafür, dass du einen unvergesslichen Flug haben wirst", versicherte er mir. Ob dem so sein wird, das erfahre ich in wenigen Sekunden.

Und dann geht es endlich los: Ein paar Mal wird mein Oberkörper ruckartig nach hinten gezogen. Was genau hinter mir geschieht, kann ich nicht sehen, denn am Umdrehen hindert mich das Geschirr. Ist der Schirm bereits am Himmel, frage ich mich. Plötzlich ertönt das Signal: "Und los!", ruft Boris. Ich kneife meine Augen leicht zu. Wie in einem Tunnel fokussiere ich den Abhang. Mein Ehrgeiz ist geweckt. Als würden meine Beine nicht zu meinem Körper gehören, sehe ich im Augenwinkel nur, wie sie zuverlässig hinablaufen. Es bleibt bei wenigen Schritten, dann werde ich unerwartet und ruckartig nach oben gezogen. Mein Gewicht verlagert sich nach hinten, und ich falle in einen Sitzsack. Mein Blick ist nach unten gerichtet.

Dann geht alles ganz schnell. Im Sekundentakt verändert sich das Landschaftsbild: Wo gerade noch Dotterblumen und Schafgarbe zu sehen waren, ist der Boden jetzt mit zahlreichen Maulwurfshügeln gespickt. Und noch weiter oben verwandeln sich die Felder zu einfarbigen Teppichen. Ich erkenne das Fahrtmuster der Traktoren, die die Felder abgemäht haben. "Siehst du die Rhönschafe?", fragt mich Boris, die erst neben uns und nun unter uns sind. Auch sie werden zu kleinen Punkten. Menschen, Häuser - einfach alles verwandelt sich in eine Miniaturwelt.

Aus der Vogelperspektive wirkt die Welt ganz friedlich, hin und wieder schallen Geräusche nach oben. Ich verliere mich in meinen Beobachtungen, bis Boris an der rechten Armschlaufe zieht. Gleichmäßig machen wir einen Schwenk Richtung Nordosten - auf das Radom zu. Zum ersten Mal richte ich meinen Blick auf. Trotz des suppig-grauen Himmels und der in Nebel getauchten Berge,
Hügel und Bäume kann ich beim nächsten Schlenker locker bis nach Fulda und weiter blicken.

Völlig lächerlich scheinen mir nun die "Was wenn...?"-Fragen, die mir nach meinem Telefonat in den Sinn kamen. Kurz wollte sich meine Vernunft damit Gehör verschaffen: "Was, wenn ich mir vor dem Urlaub ein Bein breche?", "...wenn wir in einen Baumwipfel geweht werden?" oder "...wenn mich mein Tandempartner bei der Landung über den Haufen rennt?" Mit einem Mal waren buchstäblich alle Sorgen verflogen - ebenso wie alle anderen Gedanken.

Während wir tiefer sinken, erkundigt sich Boris, wie es mir geht. "Es fühlt sich so irreal an - als würden Traum und Realität verschwimmen", gebe ich ihm zur Antwort. Wagemutiger bitte ich den 43-Jährigen etwas sportlicher zu fliegen. Mein Körper schüttet jede Menge Adrenalin aus. Wir nehmen Kurs auf die Landebahn. Die Wiese sieht weich gepolstert aus. Doch etwas mulmig wird es mir, als die Landung näher rückt. "Streck die Füße aus", sagt Boris ruhig. Und dann kommen wir dem Boden immer näher, bis wir weich im hohen Gras aufsetzen. Kein harter Aufprall, kein gebrochenes Bein. Statt unbegründeter Sorgen, bleibt ein breites Lächeln - auch noch auf der Fahrt nach Hause. Boris
hatte mit seinem Versprechen recht.

Hintergrund
Flugschule: Papillon ist mit insgesamt 110 Mitarbeitern die weltweit größte Flugschule. Sie verfügt über fünf Standorte in Deutschland, Österreich und Italien und hat ihren Hauptsitz auf der Wasserkuppe.

Sicherheit: "Gleitschirmfliegen ist unter den Flugsportarten die sicherste Art und Weise zu fliegen", sagt Boris Kiauka, der neben Andreas Schubert einer von zwei Geschäftsführern ist. Um Flugschüler
auszubilden, setzt Papillon auf hohe Standards. Für maximale Sicherheit fliegt die Schule prinzipiell nur auf sogenannten A-Schirmen - der sichersten Kategorie.

Kooperation: 2015, als die Flugschule ihr 40-jähriges Bestehen feierte, ist Papillon
eine Kooperation der besonderen Art eingegangen: Chinesen haben das Unternehmen um Rat gefragt. In der Stadt Wuhan ist das Gleitschirmfliegen seitdem als Sport etabliert.
 
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